[Kapitel 6 ] Wahrheit ist Unmittelbarkeit: Das Photo als Schlüssel des Himmelreiches
Erkennest dann der Sterne Lauf. Und wenn Natur dich unterweist,
dann geht die Seelenkraft dir auf.
— J. W. Goethe, Faust
Die Abwendung vom Naturalismus ist wiederholt als Vektor in Strindbergs
Leben seit Mitte der achtziger Jahre angesprochen worden. Die Photographie
als vermeintlich ideales naturalistisches Medium blieb nicht davon verschont.
Die positivistische Desillusionierung verstärkte sich zu einem Mißtrauen
gegenüber der angeblich so objektiven Abbildungstechnik, dem Apparat als
solchem. Das technische Bild im Sinne Flussers, zu dem auch die Photogra-
phie gehört, braucht scheinbar nicht entziffert zu werden, da sich seine Be-
deutung selbst auf ihm abbildet. Das Objekt ist Ursache und Folge des Bildes,
die Bedeutung lückenlos mit dem Zeichen, dem Photo, verbunden: »Die Welt
reflektiert [...] Strahlen, welche mittels optischer, chemischer und mechani-
scher Vorrichtungen [...] festgehalten werden [...], das heißt, sie scheinen auf
der gleichen Wirklichkeitsebene zu liegen wie ihre Bedeutung.« Scheinbar
sind also keine Symbole der Welt auf dem Photo zu sehen, sondern ihre
Symptome. Folge: Das Bild wird nicht als Bild, sondern als Fenster angesehen.
Die Kritik der Bilder wird damit zur Weltanalyse und verliert ihren kritischen
Charakter. Trotzdem ist das Photo auch noch Symbol. Flusser erklärt, daß
sich zwischen Bild und Welt immer noch etwas schiebt, das analysiert werden
muß: der Apparat. Sein Inneres gilt es zu erhellen. Auch die Mechanik
verbürgt keine Unmittelbarkeit.1 Strindberg teilte nach seinem Absturz aus
dem Positivismus dieses Mißtrauen. Konsequenterweise versuchte er,
den Anteil des verfälschenden technischen Apparates an der Photographie zu
mindern, um ein Maximum an unmittelbarer Wahrheit zu erhalten, so viel
Natur wie möglich ins Bild zu bringen und seinen Bildprozeß mit natürlichen,
das heißt alchemistischen Mitteln zu betreiben.2
7. Kristallographien
Die eine Variante dieser Bestrebungen war die Kristallographie. Strindberg
war fasziniert von diesen anorganischen Formen, die trotzdem in vielem an
organische erinnerten. Die Worte vom Kristallwald und der Eisblume fangen
diese äußere Ähnlichkeit ein:
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Erkennest dann der Sterne Lauf. Und wenn Natur dich unterweist,
dann geht die Seelenkraft dir auf.
— J. W. Goethe, Faust
Die Abwendung vom Naturalismus ist wiederholt als Vektor in Strindbergs
Leben seit Mitte der achtziger Jahre angesprochen worden. Die Photographie
als vermeintlich ideales naturalistisches Medium blieb nicht davon verschont.
Die positivistische Desillusionierung verstärkte sich zu einem Mißtrauen
gegenüber der angeblich so objektiven Abbildungstechnik, dem Apparat als
solchem. Das technische Bild im Sinne Flussers, zu dem auch die Photogra-
phie gehört, braucht scheinbar nicht entziffert zu werden, da sich seine Be-
deutung selbst auf ihm abbildet. Das Objekt ist Ursache und Folge des Bildes,
die Bedeutung lückenlos mit dem Zeichen, dem Photo, verbunden: »Die Welt
reflektiert [...] Strahlen, welche mittels optischer, chemischer und mechani-
scher Vorrichtungen [...] festgehalten werden [...], das heißt, sie scheinen auf
der gleichen Wirklichkeitsebene zu liegen wie ihre Bedeutung.« Scheinbar
sind also keine Symbole der Welt auf dem Photo zu sehen, sondern ihre
Symptome. Folge: Das Bild wird nicht als Bild, sondern als Fenster angesehen.
Die Kritik der Bilder wird damit zur Weltanalyse und verliert ihren kritischen
Charakter. Trotzdem ist das Photo auch noch Symbol. Flusser erklärt, daß
sich zwischen Bild und Welt immer noch etwas schiebt, das analysiert werden
muß: der Apparat. Sein Inneres gilt es zu erhellen. Auch die Mechanik
verbürgt keine Unmittelbarkeit.1 Strindberg teilte nach seinem Absturz aus
dem Positivismus dieses Mißtrauen. Konsequenterweise versuchte er,
den Anteil des verfälschenden technischen Apparates an der Photographie zu
mindern, um ein Maximum an unmittelbarer Wahrheit zu erhalten, so viel
Natur wie möglich ins Bild zu bringen und seinen Bildprozeß mit natürlichen,
das heißt alchemistischen Mitteln zu betreiben.2
7. Kristallographien
Die eine Variante dieser Bestrebungen war die Kristallographie. Strindberg
war fasziniert von diesen anorganischen Formen, die trotzdem in vielem an
organische erinnerten. Die Worte vom Kristallwald und der Eisblume fangen
diese äußere Ähnlichkeit ein:
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