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Indirekte Rede aus allgemeinsprachwissenschaftlicher Sicht

2.3 Definition der indirekten Rede
Es scheint vorteilhaft, eine modifizierte Paraphrasen-Hypothese mit dem von Ronca-
dorschen Begriff des pragmatischen Bezugspunktes zu verbinden, etwa wie folgt:
Indirekte Rede liegt dann vor, wenn eine Redewiedergabe in mindestens einem Punkt nicht
den pragmatischen Bedingungen der primärtextlichen Sprechsituation adäquat ist und diese
Abweichung als eine spezifische Interferenz des Obertextes erklärt werden kann. In allen
anderen Fällen ist von einer direkten Rede auszugehen.
Dabei ist die "primärtextliche Sprechsituation" keine Entität, die zu irgendeiner Zeit
eine reale Existenz besitzen/ besessen haben muß, sondern sie ist schlicht diejenige
Situation, die sich aus der im Obertext erfolgten Nennung der (angeblichen) pragmati-
schen Größen Lokuteur, Interlokuteur, Sprechort, Sprechzeit usw. für die primärtextli-
che Ebene ergibt.
Die Klausel der spezifischen Interferenz soll all diejenigen Phänomene ausschließen, die
im Zuge der bloßen Tatsache der Wiedergabe einer Rede auftreten können, wie etwa
die physiologische Unfähigkeit des wiedergebenden Sprechers, gewisse Züge der Vor-
lage zu imitieren. Spezifisch ist eine Interferenz nur dann, wenn sie durch die im spe-
ziellen Einzelfall vorliegende obertextliche Sprechsituation bedingt ist.
2.4 Direkte und indirekte Rede: Diskrete Kategorien oder Pole
eines linearen Kontinuums?
Es ist die Auffassung möglich, direkte Rede und indirekte Rede seien distinkte Klas-
sen.50 Nach Plank (1986) jedoch bewegen sich Redewiedergaben in einem Kontinuum
zwischen zwei Polen. Zwischen der originalgetreuen Reproduktion bis hin zu den
"sprecher-indexikalischen Formen"51 und der vollkommenen Anpassung aller deikti-
schen Elemente existiere eine Reihe von Zwischenformen. Plank versucht nun die
Kategorien der Deixis in einer skalaren Hierarchie anzuordnen52, die universelle Gel-
tung haben soll 53 Ein Anhänger der Kontinuumshypothese ist auch von Roncador
(1988) (vgl. Kap. 2.2.4).
Nun ist es aber durchaus nicht selbstverständlich, daß solch eine lineare Reihung über-
haupt herstellbar ist. Schon für das Deutsche zeigt die folgende, auf drei Merkmale ver-
kürzte Tabelle, daß die erlebte Rede nicht einfach eine Zwischenform auf halbem Wege
zwischen direkter Rede und indirekter Rede ist:54
50 So z.B. Benagel (1923-1932,3,695), Jespersen (1924,290).
51 S. Anm. 30.
52 PLANK (1986, 296).
53 Plank (1986,297).
54 Plank (1986, 300f.) wertet erlebte Rede als in das Kontinuum nicht integrierbare Ausnahmeform,
 
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