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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 89-101 (3. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0405
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1869.

Dienstag dm 31. August

Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

Weitere Rückblicke auf die rühmlichen Thaten
des vr. Caspar Bluntschli auf dem Gebiete —
der Vergangenheit.
„Noch lebten die Erinnerungen an die unangenehmen Erfahrun-
gen, welche der Schweiz der Mißbrauch des Asyl- und Vereins-
rechts zugezogen, und doch konnten viele Fremdlinge sich weiter
einer ganz unverdienten Duldung erfreuen. Zürich machte eine
neue, bedenkliche Erfahrung auf seinem eigenen Gebiete. Aus dem
Westen der Schweiz war (Ende 1843) einer der thätigsten Welt-
verbesserer, der ehemalige Schneidergeselle Wilhelm Weitling aus
Mecklenburg, nach Zürich gekommen, wo er communistische Propa-
ganda emsiger trieb als sein schon früher aufgegebenes Handwerk.
Seinen „Garantien der Harmonie und Freiheit" folgte nunmehr
„das Evangelium des armen Sünders", voll Blasphemien und
eines die Religion wie die Person Christi herabwürdigenden In-
halts, das die Polizei auf der Herausgabe ertappte. Die wichtig-
sten Papiere wurden bei ihm vorgefunden und Dr. Bluntschli
mit dem Commissionsberichte beauftragt. Diesem eben so schwieri-
gen als umfassenden Geschäfte unterzog sich Bluntschli mit dem
glänzendsten Erfolge, einer Umsicht und einem politischen Muthe,
der nichts als die objective christliche Wahrheit dabei im Auge
hatte.
Er deckte den ganzen Zusammenhang der antichristlichen Ver-
schwörung in den verschiedenen Gattungen der Vereine auf, welche
aber Alle die gleiche Tendenz verfolgten, nämlich „die Befreiung
der ganzen Menschheit, die Abschaffung des Eigenthums, der Erb-
schaft, des Geldes, der Belohnungen, der Gesetze u. Strafen und
eine gleiche Vertheilung der Arbeiten und Genüsse nach den
natürlichen Verhältnissen."
Nicht sowohl unter den einheimischen Schweizern fanden nach
Bluntschli diese unlauteren Strebungen Anklang, als unter deutschen
Literaten, Flüchtlingen oder Neubürgern in der Schweiz, Herwegh,
Becker, Koller, Julius Fröbel, Seiler, Schulz und Andere.
Die „jung-deutschen Vereine" beabsichtigten vorzugsweise „die
politische Einheit und Republikanisirung Deutschlands."
Die Presse in und außerhalb der Schweiz arbeitete, bald
offen, bald mit kluger Zurückhaltung in diesem Sinne oen Ver-
schwörern in die Hände. „Vor Allem speculirte die Partei auf das
„Elend": „Zwei Wege", so schreibt W. „werden dieses Elend be-
schleunigen: erstens die Industrie und bessere Schulen. Erstere
frist gleich einen Drachen alle Mittelmäßigkeiten, die Kleinmeisterei

„Stur nit z'Haus geh'n!"
Ein Bild Wiener Lebens.
(Nach dem „Neuen W. Tagblatt".)

(Fortsetzung.)
Dort kann's heute „fidel" sein — dort wollte man schon lange hin. Also
auf! Man geht hin, mit dem kategorischen Vorsatze, sich unterhalten zu müs-
sen. Man bleibt ein, zwei, drei Stunden. Man trinkt viel und vielerlei; man
nöthigt sich und die Freunde zum Trinken und zur Lustigkeit, bis. man plötz-
lich unisono zu der unwiderlegbaren Ueberzeugung kommt, daß man sich trotz
alledem und alledem — langweile. Wohin jetzt? Zum Sperl? Könnte ver-
rathen werden. Auf eine Flasche Wein zu Bauer! Gut, aber dort sperrt man
zeitig zu; es ist auch kein rechtes „Leben" dort, und alles so still, so modest,
fast zimperlich sittsam und ängstlich — also wo anders hin; denn es ist erst
halb Zwölf, und da kann ein vernünftiger Mensch doch nicht schon schlafen
gehen!
Da stellt man den gemeinsamen Antrag, es z. B. in der Josephstadt beim
* * * zu versuchen, wo man bis 1 Uhr sicher offen hält. Es ist zwar weit,
aber die Wanderung wird muthig angetreten. Bittere Enttäuschung. Zufälli-
ger Weise wurde heute früher Feierabend gemacht — mithin rasch in die Alser-
vorstadt zum Zum Glück ist's dort noch so „halb lebendig", obwohl
k>ie Kellner schon ziemlich schlaftrunken Herumwanken. Dennoch gelingt es, eine
Flasche und sogar noch eine zweite und dritte auszustechen. Aber nun wird's
"E Miene, zu schließen. Der Hausknecht rasselt mit dem
Lchlusselbund, die Gasstammen werden bis auf eine einzige, die über ihren
Häuptern flackert, ausgelöscht; will man nicht in Gefahr gerathen, zum Auf-
druck gemahnt zu werden, muß man nolsns vol6N8 es selbst thun. Zudem
erklärt der Zählkellner, daß der Keller bereits geschlossen und weder Wein noch
Bier mehr zu haben sei. Man versucht noch einen Ausweg und nimmt die
Hiobspost von der lustigen Seite, man macht dis cordialsten Spässe und über-
redet schließlich den Kellner, wenigstens ein paar Gläser Slibowitz (Zwetschen-

und speit einen Bankerott um den andern. Und letztere steigern
die Bedürfnisse zum Leben. Arme Bauern, die bis jetzt wie das
Vieb lebten (!!) und sich glücklich fühlten, lassen ihre Kinder stu-
diren oder wenigstens aufklären: das gibt Unzufriedenheit, Plätz-
lijagd, verzweifelte Kerle — mit einem Worte: gute Schulen ar-
beiten dem Communismus in die Hände. Je höher daher die Be-
dürfnisse steigen, desto größer die Verzweiflung." „Der Commissions-
bericht machte diesen Eindruck; die Leute griffen an die Taschen.
Wenigere mochten sich die am Schluffe derselben enthaltenen guten
Räthe merken: „die Erziehung in der Familie und in der Schule
auf eine solide sittliche Grundlage zu stellen und dem christlich-
religiösen Leben alle erforderliche Pflege angedeihen zu lassen."
Vergl. Baumgartner: die Schweiz B. III, S. 122 ff.
Hat Dr. Bluntschli sich diese „guten Räthe" selbst gemerkt?
Der muthige Mann sah sich bei der radicalen Reaction gegen das
Jahr 1839 genöthigt, 1845 seine Entlassung aus dem Staatsrath
in Zürich einzureichen (S. 246). Der Parteifanatismus verfolgte
ihn durch die ganze Schweiz, so z. B. wurde „der Landeshaupt-
mann Roth von Teufen (Appenzell a. R.) von seinem Amt ent-
fernt und fragte man nach der Ursache, so war keine andere zu
finden, als daß er kurz feinen Freind Staatsrath Bluntschli bei
sich beherbergt hatte. Bluntschli aber hatte sich geweigert, die
Katholiken der Schweiz als rechtlos zu behandeln und ihnen den
offenen Krieg zu machen ( S. 267).
Man darf sich daher nicht wundern, daß der unbezweifelt
reich begabte Mann damals warme Freunde unter allen rechtlichen
Leuten in der Schweiz zählte, wovon Manche kaum an einen Um-
schlag seiner Gesinnungen glauben können. Sein politischer Muth
hat sich seitdem nichts destoweniger ausschließlich gegen den Katho-
licismus gewendet, was allerdings ein geringeres Maß von Muth
erfordert.
Vielleicht deßhalb, weil jene von Bluntschli schonungslos auf-
gedeckten religiössocialen Schäden gehoben, deren Gefahren abgewen-
det sind?
Kein Vernünftiger wird dies glauben. Oder haben die Grund-
sätze der kathol. Kirche eine Veränderung in dem Sinne des radi-
calen Communismus erlitten? Auch das nicht.
Die Sache ist viel einfacher: Nun die Verfolgungen von
dieser Seite gegen Dr. Bluntschli haben aufgehört, und andere
bieten keine materielle Gefahr für ihn.

§ branntwein aus dem südlichen Ungarn — Slavonien —) zu bringen. Das
wird doch noch möglich sein! Es ist möglich. Man trinkt ihn stehend und
repetirt die Dosis, bis der Kellner ungeachtet der generösesten Honorirung sich
mit den gemessensten Befehlen des „Herrn" entschuldigt, daß nun — es ist
zwei Uhr vorüber — geschloffen werden muß; es ist auch der Polizei wegen,
und „der Herr hat ohnehin schon ein paar Mal Straf' zahlen müssen." So
geht man denn in „Gottes Namen", aber man ist in der Ansicht vollkommen
übereinstimmend, daß in Wien kein rechtes Leben mehr sei, daß Wien ein
Dors sei, ein fades Nest, ein Krähwinkel, wo die Leute beim Ave - Maria-
läuten in's Bett steigen, daß es in Wien nicht mehr auszuhalten sei
u. s. w.
Nun steht man auf der Straße. Vom Schlafe keine Spur, vom Nach-
hausegehen noch weniger. Was jetzt? Im Cafe *** ist's vielleicht noch (oder
schon) offen. Die Marktweiber, die dort den ersten jener vielfältigen Imbisse
nehmen, zu denen sie Tags über durch ihr anstrengendes Geschäft gezwungen
werden, sind ihr Trost, ihre Hoffnuug. Man macht sich abermals auf den
Weg und marschirt ungeachtet aller gesetzlichen Warnungsrufe singend (man
singt bereits) in die Stadt zurück. Victoria! Sie sehen Licht! Licht! Es ist
„offen!" Wie die Falconiere auf ihre Beute, stürzen sie auf den erleuchteten
Punkt los. Die Thüre auf! Und lachend und lärmend gleich plündernden
Kosaken stürmen sie durch das Local zu einem Winkeltischchen. Man sieht in
den Spiegel, man schaut einigermaßen wüst aus, ja einer macht sogar die
begründete Bemerkung: „verlumpt!" Aber der Andere lacht und ruft: „Mar-
queur! Vier kleine Pünsche und einen Tschai! Und Cigarren!" — Tschai
(russisch-Thee), in Wien eine Mischung chinesischen Thee's mit sehr viel Rum
—. Man trinkt auf's neue, man verschüttet taumelnd die Hälfte, die Virginier
brennt nicht — heiß ist's auch in dem verfl . . . Loch; — „Wasser! Mar-
queur! Frisches Wasser! Und ein paar Gläser Rum!"
Da kommt man — es ist bereits 3 Uhr — abermals zu der Ueberzeu-
gung, daß man sich noch immer nicht, was man sagt, „so recht unterhalten
habe." Es werden deshalb neue Vorschläge gemacht, mitunter sogar frivole,
aber nicht acceptirt, da zwei der Gesellschaft zu schlafen beginnen. Was nun?
Eine Partie Kegel! Nein, Pyramide — große Pyramide, kleine Pyramide —
alles nichts! Besetzpartie! Auch nichts! Also große Kegel! Marqueur! Große
Kegel und drei kleine Schwarze! Aber schnell! (Schluß folgt.)
 
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