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„Psülzer Bote" Heidelberg — Mittwoch, den 18. Januar 1933
Nr. 14
Augenblick ablehne. Der Vorschlag der Sowjet-
regierung sei nicht durch Erwägungen des
Augenblicks hervorgerufen, sondern ergebe sich
aus ihrer ganzen Friedenspolitik, weshalb er
auch weiterhin in Kraft bleibe. Die Sowjetre-
gicrung erklärte sich bereit, den japanischen Vor-
schlag der Einsetzung eines japanisch-sowjetrus-
sisch-mandschurischen Komitee? zur Verhütung
von Grenzzwischenfällen zu studieren und zu
erörtern.
SWSWjMMMr MG'
MSiMpaktbesMOmM
Moskau, 17. Jan. Auf den von der Sowjet.
. " ' ch " --- „ .
Nichtangriffspaktes erwiderte die' "japanische
Regierung Ende vorigen Jahres, sie halte den
Augenblick für den Abschluß eines Nichtangriffs-
paktes noch nicht für reif. Augenblicklich würde
die japanische Regierung einen Meinungsaus-
tausch über die friedliche Regelung von Schwie-
rigkeiten vorziehen, die infolge der Berührung
von Truppen beider Parteien entstehen könn-
ten. Sie schlage deshalb die Einsetzung eines ja-
panisch-sowjetrussisch-mandschurischcn Komitees
zur Verhütung von Grenzzwischensällen vor.
In ihrer Antwort bedauert die Sowjetregie-
rung, daß Japan den Antrag auf Abschluß eines
Nichtangriffspaktes für den gegenwärtiges
— Wolfsplage in Galizien. Aus ganz Ost-
galizien werden starke Schneefälle gemeldet.
Auch die Wolfsplage macht sich wieder bemerk-
bar. So wurde 'an einem der vergangenen
Tage in einer Entfernung von nur sechs Kilo-
meter von Lemberg ein großes Rudel Wölfe
beobachtet, das vermutlich von den Karpathen
bis vor die galizische Hauptstadt gezogen ist.
Eine Wölfin, die Wei Hunde zerrissen hatte,
wurde von den Einwohnern gestellt und getötet.
— Minden-Schecks in Amerika. Eine New-
porter Bonk hat kürzlich den ersten Scheck in
Bl-inden-Punktier-Schrif-t m Zahlung genom-
men. Die Bank zögerte zunächst, erkannte aber
schließlich an, daß es sich um einen im Sinne des
Gesetzes geschriebenen und vom Aussteller un-
er etwas zu sagen haben sollte, warum sollte
man ihn sich nicht anhören? Man hat eben
seine Erfahrungen mit Hitler gemacht und «st
schließlich kuriert worden.
Dm Kanzler-General ist mehr als General,
er ist auch Diplomat: seine Diplomatie ist an
und für sich sehr einfach und besteht darin, cs
mit niemand zu verderben und die Menschen,
auf die er angewiesen fein wird, nicht, wie sein
Vorgänger, vor d»"n Kopf zu stoßen; auf der
anderen Seite sollte er aber den General doch
etwa? mehr hsrvorkehren, nicht etwa mit Säbel-
rasseln und Sporenklirren, sondern indem er
dem Parlament eine Schlacht liefert und end-
lich Klarheit schafft, wie Brüning eS von
Anfang bis Ende seiner Amtszeit getan hat.
Da der derzeitige Reichskanzler außerdem eine
ausgezeichnete Kenntnis der anonymen politi-
schen Minieravbeit besitzen dürfte, würde er sich
leicht in die Lage versetzen, unliebsamen Ueber-
raschungsn vorznbcugen, die der Welt zum
zweiten Male ein so beschämendes Schauspiel
wie den Sturz Brünings ersparen könnten Da-
bei würde er sich weiter das Vertrauen des
Volkes erwerben, daS leicht glauben könnte, die
Hinauszögerung der Entscheidung im Reichstag
sei doch eines drr Resultate der Kölner Bespre-
chung zwischen Hitler und von Popen. Es mag
richtig erscheinen, Neuwahlen im Interesse
einer ruhigen Entwicklung auszuweichen, aber
die stetige Tätigkeit von unermüdlichen Intri-
ganten und unzufriedenen Miauen erschüttert
das Zutrauen der Massen mindestens ebensosehr
wie ein aus die Spitze getriebener Parlamen-
tarismus.
Dr. Franz C. Heidelberg.
BMwMe Mr dir mlnlW Wlzel
Warschau, 17. Januar. Im Verlauf der
Aussprache über das Budget des Innenministe-
riums im Haushaltsausschuß des Sejms be-
schwerte sich der Sozialist Giollosz über den in
Polen herrschenden Polrzeigeist. Kein Bereich
des Privatlebens sei sicher vor Angriffen der
Behörden. Giollosz erzählte dann, daß die Poli-
zei in Krakau Verhaftete 20 Minuten gepeinigt
habe. Die ohnmächtigen Ovfer seien dann von
den Polizisten in mit Wasser gefüllte Bottiche
geworfen worden. Bei der Bevölkerung herrsche
der Eindruck, daß man sich nirgends'über die
Mißbräuche der Polizei beschweren könne.
Von einer parlamentarischen Seite wird
uns geschriebn:
Lippe war das letzte deutsche Land, das seit
dem Jahre 1929 und somit nach den zwischen-
zeitlichen, den großen Ausstieg der National-
sozialisten kennzeichnenden Reichstagswahlen
sich seinen Landtag wählte.
Die Wahlhandlung war durch die Agitation
der Nationalsozialisten, die auf rund 100 000
Wähler ihren gesamten propagandistischen Ap-
parat mit seinen gewaltigen persönlichen und
sachlichen Mitteln und unter Einsatz aller füh-
renden Persönlichkeiten der Partei bis zu Hitler
selbst einwirken ließen, schon von Anfang an
in Beziehung zur großen Politik gebracht wor-
den. Lippe sollte der Prüfstein dafür sein, ob
der mit den Reichstaaswahlen vom November
1932 eingetretene Abstieg der Nationalsozia-
listen sich weiter forpetze, oder ob doch noch
nicht die Grenzen der Ausdehnungsfähigkeit der
nationalsozialistischen Bewegung erreicht seien.
Schon von vornherein war aber die Frage
nach der gegenwärtigen Kraft Les National-
sozialismus und seiner Zukunft falsch gestellt.
Denn darüber konnte kein Zweifel sein, daß
eine Massierung der propagandistischen Kräfte
in einem ganz kleinen Gebietsausschnitt des
Deutschen Reiches kein Resultat zustande brin-
gen konnte, das als allgemein gültig für die
politische und Parlamentarische Situation und
Konstellation in ganz Deutschland angesehen
werden könnte. Und wenn nun nach dem Wahl-
ergebnis die Nationalsozialisten zwar gegen-
über den November-Reichstagswahlen 1932 um
fünftausend Stimmen zugenommen haben, so
beweist das für die allgemeine Lage der natio-
nalsozialistischen Bewegung um deswillen nichts
Entscheidendes, denn selbst mit der jetzt gegen-
über den Novemberwahlen verbesserten Ziffer
haben die Nationalsozialisten ihren Höchststand
bei den Jüli-Reichstagswahlen des Jahres 1932
nicht wieder erreicht, sie stehen noch mit vier-
tausend Stimmen dahinter zurück.
Das wirklich Entscheidende aber ist, daß die
Nationalsozialüsten auch diesmal trotz der aller-
stärksten Anstrengungen keine Schwächung
der sogen, „marxistischen Front" erreicht haben.
Sozialdemokraten und Kommuni-
sten halten, zusammengenommen, genau diesel-
ben Stimmenziffern, wie sie bei den ReichS-
tagswahlen vom Juli und November 1932 er-
langt worden sind. Eine Verschiebung ist nur
insofern eingetreten, als die Sozialdemokraten
gegenüber den Novemberwahlen rund 5000
Stimmen gewannen und damit an ihren Stand
von den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932
wieder herangekommen sind, während die Kom-
munisten um etwa 3000 Stimmen verloren. Ter
Lippe und die große poliiik
Zuwachs der Sozialdemokraten setzt sich offen-
bau aus diesen 3000 Stimmen von oen Kom-
munisten wieder zu der ursprünglichen Partei
hinübergewechselten Wählern und ferner aus
einem tatsächlichen neuen Zustrom von Wählern
zusammen.
Das Verblüffende an dem Lippe'schen Wahl-
ergebnis ist der außerordentlich starke Ver -
lust der Deutschnationalen Volks-
partei, die rund 4000 Stimmen gegenüber
den Novembevwahlen 1932 verloren hat und
mit knapp 6000 Stimmen noch weit unter dem
Reichstagswahlergebnis vom 14. September
1930 mit damals 7500 Stimmen sich bewegt.
Es scheint fast so, als wenn der nationalsoziali-
stische Stimmenzuwachs zum allergrößten Teil
auf den Abgang von Wählern bei der Deutsch-
nationalen Volkspartei zurückzuführen sei.
Ein Teil der ehemaligen deutschnationalen
Wähler scheint überdies zur Deutschen
Volks Partei übergegangen zu sein, die mit
4300 Stimmen sich um 700 Stirnen gegenüber
den Novemberwahlen 1932 erholt und ihre
Stimmen gegenüber den Juli-Reichstagswah-
len 1932 sogar fast verdoppelt hat. Freilich
hat auch die Deutsche Bolkspart-ei die Stimmen
der Reichstagswahlsn vom 14. September 1930
mit damals 6600 Stimmen nicht wieder erreicht,
und in starkem Abstand bewegen sie sich gegen-
über den bei der letzten Lipp-eschen Lanotagswahl
vom 6. Januar 1929 aufgebrachten über 10 000
Stimmen.
Einen Zuwachs von nahezu 300 Stimmen hat
auch die Deutsche Staatspartei gegen-
über den Novemberwahlen 1932 erlangt, die
damit ebenfalls wieder auf den Stand des
Reichstagswahlergcbnisses vom 31. Juli 1932
gekommen ist. Bemerkenswert ist auch der
Stimmenzuwachs des Christlich - sozia-
len Volksdienstes mi; 500 Stimmen ge-
genüber den Novemberwahlen 1932 und mit den
insgesamt 4500 Stimmen verfügt der Christlich-
soziale Volksdienst noch über fast 1000 Stimmen
mehr als bei den Juliwahlcn 1932.
*
Was lehrt nun diese Lippe'sche LandtagÄvcchl?
Erstens zeigt sie eine Radikalisierung
der Rechten und zum zweiten eine Ab-
schwächung des Radikalismus der
Linken, dazwischen beobachtet man eine
bemerkenswerte Konzentrierung zu den Mittel-
parteien hin. Auch diese Wahl hat wiederum
bewiesen, daß die Nationalsozialisten eine Zer-
trümmerung des Marxismus nicht zuwege brin-
gen, daß sie vielmehr der ihnen politisch am
nächsten stehenden Gruppe, nämlich den Deutsch-
nationalen, am stärksten Abbruch tun. Diese
nun bei allen Wahlen beobachtete Rivalität der
Mrige
oder WrlamntaMms?
Seit dem letzten Wechsel in der politischen
Leitung des Reiches und der maßvoll vernünf-
tigen Rundfunkrede des Reichskanzler von
Schleicher hat sich die deutsche Oeffentlich-
Ait von einem sanften Schlummer übermannen
lassen, der nach einem Jahre zahlreicher und
höchst unproduktiver Wahlkämpfe als wohl-
tuend empfunden werden mußte; der Burg-
frieden war formell aufgehoben, aber, von
einigen sehr bedauerlichen Fällen abgesehen,
dachte niemand daran, ihn zu stören. Da krachte
mit lautem Knall die Bombe, die die Schläfer
aufscheuchte: Adolf Hitler und Franz von
Papen hatten sich in der altehrwürdigen
Domstadt Köln ein Stelldichein gegeben, wovon
die Öffentlichkeit, sehr zum Leidwesen der bei-
den Herren, sehr rasch erfuhr.
In einer politisch normalen Zeit würde man
sich vielleicht gewundert haben, wieso zwei Män-
ner, die sich auf das Heftigste befehdeten, Plötz-
lich und ohne vorherige Bereinigung der At-
mosphäre, wieder zusammenfinden könnten. Seit
einigen Jahren ist alvr eine Wandlung in der
Auffassung von politischem Wohlanstand einge-
treten und außerdem ist der eine der beiden
Partner, der „Kavalier ohne Furcht und Tadel"
in der Versenkung verschwunden, ohne sond.'r-
lich beweint worden zu fein und dem anderen,
Worttalent ersten Grades, droht ein ähnliches
Schicksal. Dabei ist sicher, daß Herr Hitler,
allein durch di« Tatsache der Unstwredung schon,
mehr aufgab, als Herr von Pa-Pen, der sich
trotz aller Ungeschicklichkeit, die sich ihm nach-
sagen läßt, doch nie sich zu unverantwortlichen
Krastsvrüchen hinreißen ließ, wie dies umgek-echrl
Herr Hitler getan hat. Was Herrn Hitler be-
trifft, so zeigt sich hier einmal wieder, wie
schwach seine Rolle, insbesondere nach dem
Straßer-Konflikt geworden ist, wenn
er, der einstige Kämpfer gegen Parlanvntaris-
nr-us, diesen durch die Intrige zu ersetzen ver-
sucht. Tenn es kann als sicher gelten: die Ent-
deckung der Kölner Unterredung war den Be-
teiligten sehr unangenehm.
Es ist bezeichnend für das Schla-fbefürfnis der
bürgerlichen Parteien, daß sie die augenblickliche
-Lage, in der sich Hitler und der Nationalsozia-
lismus befinden, nicht auszunützen verstehen.
Der Nationalsozialismus ist stark im Abflauen
und es wäre vtzt der gegebene Augenblick da,
zum Angriff übcrzugshen und die Stimmen zu-
rückzuerobern, die vor drei Fahren abzuwan-
dern begannen. Statt dessen findet man ein all-
gemeines Bedauern über das jähe Ende, das
d-P hoffnungsvolle Bewegung findet und hört
nicht selten, gerade von denen, die noch vor
kurzer Zeit gegen diesen Gedanken waren und
beispielsweise -die Koalitionsverhandlungen des
Zentrums mit Spott oder Argwohn verfolgten,
es sti nunmehr an -der Zeit, diese Bewegung in
die Verantwortung endgültig einzuspann-en.
Man hat vollständig den Kopf verloren und
läßt die Dinge treiben.
Währenddessen sitzt Herr Hitler in der
Kl-smme, in die ihn -die revolutionären Heiß-
sporne um drm fanatischen Dr. Goebbels manöv-
riert haben; Adolf Hitler besaß eben nicht das
blinde Vertrauen der Blassen, wie er glaubte;
es gab zu viele, die auch irgendwelche Leistun-
gen oder zumindest den WilPn und Ansätze
hierzu sehen wollten; und viele hatten Herrn
Gregor Straßer, nicht Herrn Hitler gewählt,
-was mangels eines geeigneten Wahlsystems nicht
restlos erkennt worden ist. So ging ein lang-
sames Erwachen durch Deutschland, als Straßer
, kurzerhand vor di« Türe gesetzt wurde Für
Hitler blieb nichts anderes übrig, als an Hinter-
türchen anzuklopfen und geheimnisvolle Unter-
redungen zu führen, weil er ek.-n gar zu gerne
in di« Regierung möchte. Daß sein erster Weg
zu Herrn von Papen führte, wird den kaum
noch verwundert haben, der die Methoden und
Grundsätze der NSDAP, stnnt und di« Bereit-
willigkeit von Papens, den der Reichskanzler
noch kurz zuvor seinen Freund genannt hatte,
läßt bedenkliche Schlüsse und Zweifel an die
Aufrichtigkeit des einstigen Husarenoffiziers zu,
dst auch durch Dementis nicht zerstreut werden
können.
, Man darf es heute als sicher bezeichnen, daß
die Kölner Unterredung ohne Wissen noch
Zutun der Reichsregierunq statlfand; ebenso
sicher ist, daß der Vermittler -des Stelldicheins,
Freiherr von Schröder, nur von einflußreichen
und interessierten Kreisen vorgeschoben wurde:
hinter dem ganzen Vorgang stehen jene Groß-
industriellen, dis beträchtliche Teile ihres
Kapitals in dst Hitler'sche Bewegung gesteckt
haben, weil sie sich tausendfältigen Gewinn
davon versprachen. Hitler ist diesen Herren
über Nacht zu unzuverlässig geworden und so
versuchen sie, ihm in Gestalt des Exreichskanz-
lers von Papen chn-e Art Vormund oder Gou-
vernante vorzusetzen, was angesichts der Un- . . -
berechenbarkeit Hitlers nicht unverständlich er- regierung Ende 1931 gemachten Vorschlag eines
scheinen muß. Jedenfalls hatte Herr von Papen ---------
bald nach der Unterredung mit Hit-.'r auch eine
Unterredung mit den Großindustriellen Dr.
Springorum und Dr. Bögler. Seme
Mutter dürft« in Düsseldorf vergeblich au-' sti-
mm Besuch gewartet haben, wenn sie überhaupt
warte','.
Bitter muß es Hitler sein, daß Gregor Stra-
ßer sich mit den zuständigen Reichsstellen unter-
halten durfte, während man dem „Führer" er-
klärte, eine Unterredung zwischen ihm und dem
Reichskanzler käme nur auf „Initiative der Na-
tionalsozialisten" in Frage; mit anderen Wor-
bsnr man braucht Hitler gar nicht, aber wes»
beiden äußeren Nechtsgruppen wird nicht zu
einer schon vielfach erhofften Milderung der Ge-
gensätze zwischen diesen beiden Fronten, sonders
zu einer Verschärfung führen.
Die Zusammenhänge des Wahlergebnisses von
Lippe mit den nun in Fluß kommenden inner-
politischen und parlamentarischen Entscheidun-
gen sind allerdings doch viel enger, als es das
kleine Territorium, um das es sich bei den jetzi-
gen wa-hlpolitischen Vorgängen handelt«, im
Rahmen des gesamldeutschen Gebietet angebracht
erscheinen ließe. Man kann es sehr wohl ver-
stehen, wenn in Regierungs-kreisen gerade aus
Gruno dieses Ergebnisses von Lippe nicht übel
Lust verspürt wird, nun die Probe aufs Exem-
pel im gesamten Reichsgebiet zu machen.
Eine Propaganda, bei der, wie Unterrichtete wis-
sen wollen, jede einzelne von den nationalsozia-
listischen Stimmen, gemessen an den Unkosten,
mit etwa 15—20 M. bezahlt werden muß, kann
sich eine im Geld schwimmende Organisation
vielleicht noch im Umkreist von IM 000 zu um-
werbenden Seelen erlauben, aber nicht im vier-
hundertfachen Ausmaß, also bei 40 Millionen
Wählern!
Und die Entradikalisierung der Linken, die in
Lippe in einer Stärkung der sozialdemokrati-
schen Stimmen zum Ausdruck gekommen ist,
könnte wiederum bestimmten politischen Kräften
die R-echtstrtigung einer Probe aufs Ganze leicht
machen.
Man muß bei alledem ja auch bedenken, daß
die berufsständische Schichtung in Lippe kein
Spiegelbild für die Verhältnisse im ganzen
Reiche ist. Der erheblich ländliche Charakter
dieses Gebietsteiles zeigt die Wirkung der gerade
in letzter Zeit verstärkten nationalsozialistischen
Propaganda in den rein bäuerlichen Gegenden
und erklärt auch den Rückgang der Kommuni-
sten. Und ebensowenig, wie' man aus dem
Wahlergebnis in Lippe auf einen allgemeinen
Rückgang der Kommunisten zu schließen berech-
tigt wäre, ebenso wenig wäre ein solcher Schluß
dahin gerechtfertigt, daß das Anwachsen der na-
tionalsozialistischen Stimmen in Lippe nun auch
ein generelles Anwachsen im Reiche sichere. Dar-
über ist selbstverständlich nicht zu verkennen, daß
die nationalsozialistische Bewegung auch heut«
noch eine gewaltige Kraft darstellt, mit der
unter allen Umständen zu rechnen ist.
Daß dieser Kraft aber Grenzen gezogen sind,
dafür ist gerade das Lippe'sche Wahlergebnis «in
unleugbarer Beweis. Und wenn aus dieser Er-
kenntnis die Nationalsozialisten die Folgerung
zögen daß sie die von ihrer Bewegung erfaßten
ehrlich ringenden und strebenden Elemente in
die Front derjenigen Krä'te des deutschen Vol-
kes ein-gliedern müssen, die vereint Volk und
Land helfen wollen, dann würden wir tatsächlich
an einer Wende sieben. Die nächsten Tage müs-
sen zeigen, ob die Gemeinsamkeit der Verant-
wortung zur Ueberwindung -er uns allen ge-
meinsamen Not mehr ist als eine Phrase.
terzeichneten Scheck handelte. Damit ist «In wei-
terer Schritt zum Schutze der Winden getan,
denn nur so k-ann sich der Blinde selbst davon
überzeugen, daß er hinsichtlich Les Scheckbetra-
ges nicht getäuscht -wird.
Smm eines Msters
Tie Mönche vom St. Bernhard gehen nach
Tibet.
(Bon unserem schweizer. Korrespondenten.)
c. Genf, Anfang Januar 1933.
K K. Vox mehr als zwei Jahren, i-m Jahve
1930. ging zuerst die Nachricht in die Welt, daß
die -Mönche vom Kloster St. Bernhard ihren-
Wohnsitz verlassen und ins tibetanische Hochland
übersiedeln würden. Damals bestand -das Klo-
ster St. Bernb-ard, dessen Insassen mit ihren be-
rühmten Hunden schon manchen Verirrten und
Erfrierenden gerettet haben, -gerade neunhun-
dert Jahre lang. Die moderne Technik, die alle
schweizer. Wpenstraßen und -Pässe dem Ver-
kehr erschlossen -hat. machte die Arbeit der Mön-
che, dst -der Rettung Verirrter und Verwehter
gilt, an ihrem bisherigen Sitz fast überflüssig,
und d-a-malz zogen bekanntlich Schlüsselbewahrer
und Alinostnempsäitger des Klosters St. Bern-
hard nach Tibet, u-m dort einen neuen Wir-
kungsplatz auszusuchcn. Nach unzäbl-ip-en Stra-
pazen, nach einer Reist, die sie teils auf Skiern,
teils zu Pstr-d und im Karren, teils -auch zu
Fuß zurückleg-ten, entdeckten die beiden Ab-ge-
sandten, die einmal nur mit knapper Not dein
Tod im Schneesturm entrannen, endlich den ge-
eigneten B-auvlatz iür das neu? Bergk-loster und
-b-ospital an» dem Si-La-P-aß im Him-alava-Ge-
biet. Der Si-La-Paß ist einer der bedeutendsten
und zugleich -gefahrvollsten Paß-Ueber-gäng-e "des
Himalaya, und demnächst soll, wie jetzt mi-tg-e-
t-eilt wird, dst erste Mönchsaruppe mit fünfund-
zwanzig der besten Bernhardinerburde das Klo-
ster St. Bernhard verlassen und sich zum Si-La-
Paß begeben, nm dort den Bau des neuen Hau-
ses, das ganz nach dem Muster des alten errich-
tet werden wird, in Angriff zu nehmen. Ist der
Bau str-tiagestellt, so wird der Rest der Mönche
mit den Hunden auz der Schweiz nach Tibet
übersiedeln, um sich dort der neuen, nefachrv-ollen
und verdienstlichen Ausgabe zu widmen. Die
innigsten Wünsche und der beißest« Dank der
ganzen Schweiz sowie aller, die jemals mit dem
Kloster St. Bern-bard und seinen Insassen Be-
kanntschaft gemacht haben, wird die Mönche a-nf
ihren ferneren Wegen begleiten .. .
„Psülzer Bote" Heidelberg — Mittwoch, den 18. Januar 1933
Nr. 14
Augenblick ablehne. Der Vorschlag der Sowjet-
regierung sei nicht durch Erwägungen des
Augenblicks hervorgerufen, sondern ergebe sich
aus ihrer ganzen Friedenspolitik, weshalb er
auch weiterhin in Kraft bleibe. Die Sowjetre-
gicrung erklärte sich bereit, den japanischen Vor-
schlag der Einsetzung eines japanisch-sowjetrus-
sisch-mandschurischen Komitee? zur Verhütung
von Grenzzwischenfällen zu studieren und zu
erörtern.
SWSWjMMMr MG'
MSiMpaktbesMOmM
Moskau, 17. Jan. Auf den von der Sowjet.
. " ' ch " --- „ .
Nichtangriffspaktes erwiderte die' "japanische
Regierung Ende vorigen Jahres, sie halte den
Augenblick für den Abschluß eines Nichtangriffs-
paktes noch nicht für reif. Augenblicklich würde
die japanische Regierung einen Meinungsaus-
tausch über die friedliche Regelung von Schwie-
rigkeiten vorziehen, die infolge der Berührung
von Truppen beider Parteien entstehen könn-
ten. Sie schlage deshalb die Einsetzung eines ja-
panisch-sowjetrussisch-mandschurischcn Komitees
zur Verhütung von Grenzzwischensällen vor.
In ihrer Antwort bedauert die Sowjetregie-
rung, daß Japan den Antrag auf Abschluß eines
Nichtangriffspaktes für den gegenwärtiges
— Wolfsplage in Galizien. Aus ganz Ost-
galizien werden starke Schneefälle gemeldet.
Auch die Wolfsplage macht sich wieder bemerk-
bar. So wurde 'an einem der vergangenen
Tage in einer Entfernung von nur sechs Kilo-
meter von Lemberg ein großes Rudel Wölfe
beobachtet, das vermutlich von den Karpathen
bis vor die galizische Hauptstadt gezogen ist.
Eine Wölfin, die Wei Hunde zerrissen hatte,
wurde von den Einwohnern gestellt und getötet.
— Minden-Schecks in Amerika. Eine New-
porter Bonk hat kürzlich den ersten Scheck in
Bl-inden-Punktier-Schrif-t m Zahlung genom-
men. Die Bank zögerte zunächst, erkannte aber
schließlich an, daß es sich um einen im Sinne des
Gesetzes geschriebenen und vom Aussteller un-
er etwas zu sagen haben sollte, warum sollte
man ihn sich nicht anhören? Man hat eben
seine Erfahrungen mit Hitler gemacht und «st
schließlich kuriert worden.
Dm Kanzler-General ist mehr als General,
er ist auch Diplomat: seine Diplomatie ist an
und für sich sehr einfach und besteht darin, cs
mit niemand zu verderben und die Menschen,
auf die er angewiesen fein wird, nicht, wie sein
Vorgänger, vor d»"n Kopf zu stoßen; auf der
anderen Seite sollte er aber den General doch
etwa? mehr hsrvorkehren, nicht etwa mit Säbel-
rasseln und Sporenklirren, sondern indem er
dem Parlament eine Schlacht liefert und end-
lich Klarheit schafft, wie Brüning eS von
Anfang bis Ende seiner Amtszeit getan hat.
Da der derzeitige Reichskanzler außerdem eine
ausgezeichnete Kenntnis der anonymen politi-
schen Minieravbeit besitzen dürfte, würde er sich
leicht in die Lage versetzen, unliebsamen Ueber-
raschungsn vorznbcugen, die der Welt zum
zweiten Male ein so beschämendes Schauspiel
wie den Sturz Brünings ersparen könnten Da-
bei würde er sich weiter das Vertrauen des
Volkes erwerben, daS leicht glauben könnte, die
Hinauszögerung der Entscheidung im Reichstag
sei doch eines drr Resultate der Kölner Bespre-
chung zwischen Hitler und von Popen. Es mag
richtig erscheinen, Neuwahlen im Interesse
einer ruhigen Entwicklung auszuweichen, aber
die stetige Tätigkeit von unermüdlichen Intri-
ganten und unzufriedenen Miauen erschüttert
das Zutrauen der Massen mindestens ebensosehr
wie ein aus die Spitze getriebener Parlamen-
tarismus.
Dr. Franz C. Heidelberg.
BMwMe Mr dir mlnlW Wlzel
Warschau, 17. Januar. Im Verlauf der
Aussprache über das Budget des Innenministe-
riums im Haushaltsausschuß des Sejms be-
schwerte sich der Sozialist Giollosz über den in
Polen herrschenden Polrzeigeist. Kein Bereich
des Privatlebens sei sicher vor Angriffen der
Behörden. Giollosz erzählte dann, daß die Poli-
zei in Krakau Verhaftete 20 Minuten gepeinigt
habe. Die ohnmächtigen Ovfer seien dann von
den Polizisten in mit Wasser gefüllte Bottiche
geworfen worden. Bei der Bevölkerung herrsche
der Eindruck, daß man sich nirgends'über die
Mißbräuche der Polizei beschweren könne.
Von einer parlamentarischen Seite wird
uns geschriebn:
Lippe war das letzte deutsche Land, das seit
dem Jahre 1929 und somit nach den zwischen-
zeitlichen, den großen Ausstieg der National-
sozialisten kennzeichnenden Reichstagswahlen
sich seinen Landtag wählte.
Die Wahlhandlung war durch die Agitation
der Nationalsozialisten, die auf rund 100 000
Wähler ihren gesamten propagandistischen Ap-
parat mit seinen gewaltigen persönlichen und
sachlichen Mitteln und unter Einsatz aller füh-
renden Persönlichkeiten der Partei bis zu Hitler
selbst einwirken ließen, schon von Anfang an
in Beziehung zur großen Politik gebracht wor-
den. Lippe sollte der Prüfstein dafür sein, ob
der mit den Reichstaaswahlen vom November
1932 eingetretene Abstieg der Nationalsozia-
listen sich weiter forpetze, oder ob doch noch
nicht die Grenzen der Ausdehnungsfähigkeit der
nationalsozialistischen Bewegung erreicht seien.
Schon von vornherein war aber die Frage
nach der gegenwärtigen Kraft Les National-
sozialismus und seiner Zukunft falsch gestellt.
Denn darüber konnte kein Zweifel sein, daß
eine Massierung der propagandistischen Kräfte
in einem ganz kleinen Gebietsausschnitt des
Deutschen Reiches kein Resultat zustande brin-
gen konnte, das als allgemein gültig für die
politische und Parlamentarische Situation und
Konstellation in ganz Deutschland angesehen
werden könnte. Und wenn nun nach dem Wahl-
ergebnis die Nationalsozialisten zwar gegen-
über den November-Reichstagswahlen 1932 um
fünftausend Stimmen zugenommen haben, so
beweist das für die allgemeine Lage der natio-
nalsozialistischen Bewegung um deswillen nichts
Entscheidendes, denn selbst mit der jetzt gegen-
über den Novemberwahlen verbesserten Ziffer
haben die Nationalsozialisten ihren Höchststand
bei den Jüli-Reichstagswahlen des Jahres 1932
nicht wieder erreicht, sie stehen noch mit vier-
tausend Stimmen dahinter zurück.
Das wirklich Entscheidende aber ist, daß die
Nationalsozialüsten auch diesmal trotz der aller-
stärksten Anstrengungen keine Schwächung
der sogen, „marxistischen Front" erreicht haben.
Sozialdemokraten und Kommuni-
sten halten, zusammengenommen, genau diesel-
ben Stimmenziffern, wie sie bei den ReichS-
tagswahlen vom Juli und November 1932 er-
langt worden sind. Eine Verschiebung ist nur
insofern eingetreten, als die Sozialdemokraten
gegenüber den Novemberwahlen rund 5000
Stimmen gewannen und damit an ihren Stand
von den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932
wieder herangekommen sind, während die Kom-
munisten um etwa 3000 Stimmen verloren. Ter
Lippe und die große poliiik
Zuwachs der Sozialdemokraten setzt sich offen-
bau aus diesen 3000 Stimmen von oen Kom-
munisten wieder zu der ursprünglichen Partei
hinübergewechselten Wählern und ferner aus
einem tatsächlichen neuen Zustrom von Wählern
zusammen.
Das Verblüffende an dem Lippe'schen Wahl-
ergebnis ist der außerordentlich starke Ver -
lust der Deutschnationalen Volks-
partei, die rund 4000 Stimmen gegenüber
den Novembevwahlen 1932 verloren hat und
mit knapp 6000 Stimmen noch weit unter dem
Reichstagswahlergebnis vom 14. September
1930 mit damals 7500 Stimmen sich bewegt.
Es scheint fast so, als wenn der nationalsoziali-
stische Stimmenzuwachs zum allergrößten Teil
auf den Abgang von Wählern bei der Deutsch-
nationalen Volkspartei zurückzuführen sei.
Ein Teil der ehemaligen deutschnationalen
Wähler scheint überdies zur Deutschen
Volks Partei übergegangen zu sein, die mit
4300 Stimmen sich um 700 Stirnen gegenüber
den Novemberwahlen 1932 erholt und ihre
Stimmen gegenüber den Juli-Reichstagswah-
len 1932 sogar fast verdoppelt hat. Freilich
hat auch die Deutsche Bolkspart-ei die Stimmen
der Reichstagswahlsn vom 14. September 1930
mit damals 6600 Stimmen nicht wieder erreicht,
und in starkem Abstand bewegen sie sich gegen-
über den bei der letzten Lipp-eschen Lanotagswahl
vom 6. Januar 1929 aufgebrachten über 10 000
Stimmen.
Einen Zuwachs von nahezu 300 Stimmen hat
auch die Deutsche Staatspartei gegen-
über den Novemberwahlen 1932 erlangt, die
damit ebenfalls wieder auf den Stand des
Reichstagswahlergcbnisses vom 31. Juli 1932
gekommen ist. Bemerkenswert ist auch der
Stimmenzuwachs des Christlich - sozia-
len Volksdienstes mi; 500 Stimmen ge-
genüber den Novemberwahlen 1932 und mit den
insgesamt 4500 Stimmen verfügt der Christlich-
soziale Volksdienst noch über fast 1000 Stimmen
mehr als bei den Juliwahlcn 1932.
*
Was lehrt nun diese Lippe'sche LandtagÄvcchl?
Erstens zeigt sie eine Radikalisierung
der Rechten und zum zweiten eine Ab-
schwächung des Radikalismus der
Linken, dazwischen beobachtet man eine
bemerkenswerte Konzentrierung zu den Mittel-
parteien hin. Auch diese Wahl hat wiederum
bewiesen, daß die Nationalsozialisten eine Zer-
trümmerung des Marxismus nicht zuwege brin-
gen, daß sie vielmehr der ihnen politisch am
nächsten stehenden Gruppe, nämlich den Deutsch-
nationalen, am stärksten Abbruch tun. Diese
nun bei allen Wahlen beobachtete Rivalität der
Mrige
oder WrlamntaMms?
Seit dem letzten Wechsel in der politischen
Leitung des Reiches und der maßvoll vernünf-
tigen Rundfunkrede des Reichskanzler von
Schleicher hat sich die deutsche Oeffentlich-
Ait von einem sanften Schlummer übermannen
lassen, der nach einem Jahre zahlreicher und
höchst unproduktiver Wahlkämpfe als wohl-
tuend empfunden werden mußte; der Burg-
frieden war formell aufgehoben, aber, von
einigen sehr bedauerlichen Fällen abgesehen,
dachte niemand daran, ihn zu stören. Da krachte
mit lautem Knall die Bombe, die die Schläfer
aufscheuchte: Adolf Hitler und Franz von
Papen hatten sich in der altehrwürdigen
Domstadt Köln ein Stelldichein gegeben, wovon
die Öffentlichkeit, sehr zum Leidwesen der bei-
den Herren, sehr rasch erfuhr.
In einer politisch normalen Zeit würde man
sich vielleicht gewundert haben, wieso zwei Män-
ner, die sich auf das Heftigste befehdeten, Plötz-
lich und ohne vorherige Bereinigung der At-
mosphäre, wieder zusammenfinden könnten. Seit
einigen Jahren ist alvr eine Wandlung in der
Auffassung von politischem Wohlanstand einge-
treten und außerdem ist der eine der beiden
Partner, der „Kavalier ohne Furcht und Tadel"
in der Versenkung verschwunden, ohne sond.'r-
lich beweint worden zu fein und dem anderen,
Worttalent ersten Grades, droht ein ähnliches
Schicksal. Dabei ist sicher, daß Herr Hitler,
allein durch di« Tatsache der Unstwredung schon,
mehr aufgab, als Herr von Pa-Pen, der sich
trotz aller Ungeschicklichkeit, die sich ihm nach-
sagen läßt, doch nie sich zu unverantwortlichen
Krastsvrüchen hinreißen ließ, wie dies umgek-echrl
Herr Hitler getan hat. Was Herrn Hitler be-
trifft, so zeigt sich hier einmal wieder, wie
schwach seine Rolle, insbesondere nach dem
Straßer-Konflikt geworden ist, wenn
er, der einstige Kämpfer gegen Parlanvntaris-
nr-us, diesen durch die Intrige zu ersetzen ver-
sucht. Tenn es kann als sicher gelten: die Ent-
deckung der Kölner Unterredung war den Be-
teiligten sehr unangenehm.
Es ist bezeichnend für das Schla-fbefürfnis der
bürgerlichen Parteien, daß sie die augenblickliche
-Lage, in der sich Hitler und der Nationalsozia-
lismus befinden, nicht auszunützen verstehen.
Der Nationalsozialismus ist stark im Abflauen
und es wäre vtzt der gegebene Augenblick da,
zum Angriff übcrzugshen und die Stimmen zu-
rückzuerobern, die vor drei Fahren abzuwan-
dern begannen. Statt dessen findet man ein all-
gemeines Bedauern über das jähe Ende, das
d-P hoffnungsvolle Bewegung findet und hört
nicht selten, gerade von denen, die noch vor
kurzer Zeit gegen diesen Gedanken waren und
beispielsweise -die Koalitionsverhandlungen des
Zentrums mit Spott oder Argwohn verfolgten,
es sti nunmehr an -der Zeit, diese Bewegung in
die Verantwortung endgültig einzuspann-en.
Man hat vollständig den Kopf verloren und
läßt die Dinge treiben.
Währenddessen sitzt Herr Hitler in der
Kl-smme, in die ihn -die revolutionären Heiß-
sporne um drm fanatischen Dr. Goebbels manöv-
riert haben; Adolf Hitler besaß eben nicht das
blinde Vertrauen der Blassen, wie er glaubte;
es gab zu viele, die auch irgendwelche Leistun-
gen oder zumindest den WilPn und Ansätze
hierzu sehen wollten; und viele hatten Herrn
Gregor Straßer, nicht Herrn Hitler gewählt,
-was mangels eines geeigneten Wahlsystems nicht
restlos erkennt worden ist. So ging ein lang-
sames Erwachen durch Deutschland, als Straßer
, kurzerhand vor di« Türe gesetzt wurde Für
Hitler blieb nichts anderes übrig, als an Hinter-
türchen anzuklopfen und geheimnisvolle Unter-
redungen zu führen, weil er ek.-n gar zu gerne
in di« Regierung möchte. Daß sein erster Weg
zu Herrn von Papen führte, wird den kaum
noch verwundert haben, der die Methoden und
Grundsätze der NSDAP, stnnt und di« Bereit-
willigkeit von Papens, den der Reichskanzler
noch kurz zuvor seinen Freund genannt hatte,
läßt bedenkliche Schlüsse und Zweifel an die
Aufrichtigkeit des einstigen Husarenoffiziers zu,
dst auch durch Dementis nicht zerstreut werden
können.
, Man darf es heute als sicher bezeichnen, daß
die Kölner Unterredung ohne Wissen noch
Zutun der Reichsregierunq statlfand; ebenso
sicher ist, daß der Vermittler -des Stelldicheins,
Freiherr von Schröder, nur von einflußreichen
und interessierten Kreisen vorgeschoben wurde:
hinter dem ganzen Vorgang stehen jene Groß-
industriellen, dis beträchtliche Teile ihres
Kapitals in dst Hitler'sche Bewegung gesteckt
haben, weil sie sich tausendfältigen Gewinn
davon versprachen. Hitler ist diesen Herren
über Nacht zu unzuverlässig geworden und so
versuchen sie, ihm in Gestalt des Exreichskanz-
lers von Papen chn-e Art Vormund oder Gou-
vernante vorzusetzen, was angesichts der Un- . . -
berechenbarkeit Hitlers nicht unverständlich er- regierung Ende 1931 gemachten Vorschlag eines
scheinen muß. Jedenfalls hatte Herr von Papen ---------
bald nach der Unterredung mit Hit-.'r auch eine
Unterredung mit den Großindustriellen Dr.
Springorum und Dr. Bögler. Seme
Mutter dürft« in Düsseldorf vergeblich au-' sti-
mm Besuch gewartet haben, wenn sie überhaupt
warte','.
Bitter muß es Hitler sein, daß Gregor Stra-
ßer sich mit den zuständigen Reichsstellen unter-
halten durfte, während man dem „Führer" er-
klärte, eine Unterredung zwischen ihm und dem
Reichskanzler käme nur auf „Initiative der Na-
tionalsozialisten" in Frage; mit anderen Wor-
bsnr man braucht Hitler gar nicht, aber wes»
beiden äußeren Nechtsgruppen wird nicht zu
einer schon vielfach erhofften Milderung der Ge-
gensätze zwischen diesen beiden Fronten, sonders
zu einer Verschärfung führen.
Die Zusammenhänge des Wahlergebnisses von
Lippe mit den nun in Fluß kommenden inner-
politischen und parlamentarischen Entscheidun-
gen sind allerdings doch viel enger, als es das
kleine Territorium, um das es sich bei den jetzi-
gen wa-hlpolitischen Vorgängen handelt«, im
Rahmen des gesamldeutschen Gebietet angebracht
erscheinen ließe. Man kann es sehr wohl ver-
stehen, wenn in Regierungs-kreisen gerade aus
Gruno dieses Ergebnisses von Lippe nicht übel
Lust verspürt wird, nun die Probe aufs Exem-
pel im gesamten Reichsgebiet zu machen.
Eine Propaganda, bei der, wie Unterrichtete wis-
sen wollen, jede einzelne von den nationalsozia-
listischen Stimmen, gemessen an den Unkosten,
mit etwa 15—20 M. bezahlt werden muß, kann
sich eine im Geld schwimmende Organisation
vielleicht noch im Umkreist von IM 000 zu um-
werbenden Seelen erlauben, aber nicht im vier-
hundertfachen Ausmaß, also bei 40 Millionen
Wählern!
Und die Entradikalisierung der Linken, die in
Lippe in einer Stärkung der sozialdemokrati-
schen Stimmen zum Ausdruck gekommen ist,
könnte wiederum bestimmten politischen Kräften
die R-echtstrtigung einer Probe aufs Ganze leicht
machen.
Man muß bei alledem ja auch bedenken, daß
die berufsständische Schichtung in Lippe kein
Spiegelbild für die Verhältnisse im ganzen
Reiche ist. Der erheblich ländliche Charakter
dieses Gebietsteiles zeigt die Wirkung der gerade
in letzter Zeit verstärkten nationalsozialistischen
Propaganda in den rein bäuerlichen Gegenden
und erklärt auch den Rückgang der Kommuni-
sten. Und ebensowenig, wie' man aus dem
Wahlergebnis in Lippe auf einen allgemeinen
Rückgang der Kommunisten zu schließen berech-
tigt wäre, ebenso wenig wäre ein solcher Schluß
dahin gerechtfertigt, daß das Anwachsen der na-
tionalsozialistischen Stimmen in Lippe nun auch
ein generelles Anwachsen im Reiche sichere. Dar-
über ist selbstverständlich nicht zu verkennen, daß
die nationalsozialistische Bewegung auch heut«
noch eine gewaltige Kraft darstellt, mit der
unter allen Umständen zu rechnen ist.
Daß dieser Kraft aber Grenzen gezogen sind,
dafür ist gerade das Lippe'sche Wahlergebnis «in
unleugbarer Beweis. Und wenn aus dieser Er-
kenntnis die Nationalsozialisten die Folgerung
zögen daß sie die von ihrer Bewegung erfaßten
ehrlich ringenden und strebenden Elemente in
die Front derjenigen Krä'te des deutschen Vol-
kes ein-gliedern müssen, die vereint Volk und
Land helfen wollen, dann würden wir tatsächlich
an einer Wende sieben. Die nächsten Tage müs-
sen zeigen, ob die Gemeinsamkeit der Verant-
wortung zur Ueberwindung -er uns allen ge-
meinsamen Not mehr ist als eine Phrase.
terzeichneten Scheck handelte. Damit ist «In wei-
terer Schritt zum Schutze der Winden getan,
denn nur so k-ann sich der Blinde selbst davon
überzeugen, daß er hinsichtlich Les Scheckbetra-
ges nicht getäuscht -wird.
Smm eines Msters
Tie Mönche vom St. Bernhard gehen nach
Tibet.
(Bon unserem schweizer. Korrespondenten.)
c. Genf, Anfang Januar 1933.
K K. Vox mehr als zwei Jahren, i-m Jahve
1930. ging zuerst die Nachricht in die Welt, daß
die -Mönche vom Kloster St. Bernhard ihren-
Wohnsitz verlassen und ins tibetanische Hochland
übersiedeln würden. Damals bestand -das Klo-
ster St. Bernb-ard, dessen Insassen mit ihren be-
rühmten Hunden schon manchen Verirrten und
Erfrierenden gerettet haben, -gerade neunhun-
dert Jahre lang. Die moderne Technik, die alle
schweizer. Wpenstraßen und -Pässe dem Ver-
kehr erschlossen -hat. machte die Arbeit der Mön-
che, dst -der Rettung Verirrter und Verwehter
gilt, an ihrem bisherigen Sitz fast überflüssig,
und d-a-malz zogen bekanntlich Schlüsselbewahrer
und Alinostnempsäitger des Klosters St. Bern-
hard nach Tibet, u-m dort einen neuen Wir-
kungsplatz auszusuchcn. Nach unzäbl-ip-en Stra-
pazen, nach einer Reist, die sie teils auf Skiern,
teils zu Pstr-d und im Karren, teils -auch zu
Fuß zurückleg-ten, entdeckten die beiden Ab-ge-
sandten, die einmal nur mit knapper Not dein
Tod im Schneesturm entrannen, endlich den ge-
eigneten B-auvlatz iür das neu? Bergk-loster und
-b-ospital an» dem Si-La-P-aß im Him-alava-Ge-
biet. Der Si-La-Paß ist einer der bedeutendsten
und zugleich -gefahrvollsten Paß-Ueber-gäng-e "des
Himalaya, und demnächst soll, wie jetzt mi-tg-e-
t-eilt wird, dst erste Mönchsaruppe mit fünfund-
zwanzig der besten Bernhardinerburde das Klo-
ster St. Bernhard verlassen und sich zum Si-La-
Paß begeben, nm dort den Bau des neuen Hau-
ses, das ganz nach dem Muster des alten errich-
tet werden wird, in Angriff zu nehmen. Ist der
Bau str-tiagestellt, so wird der Rest der Mönche
mit den Hunden auz der Schweiz nach Tibet
übersiedeln, um sich dort der neuen, nefachrv-ollen
und verdienstlichen Ausgabe zu widmen. Die
innigsten Wünsche und der beißest« Dank der
ganzen Schweiz sowie aller, die jemals mit dem
Kloster St. Bern-bard und seinen Insassen Be-
kanntschaft gemacht haben, wird die Mönche a-nf
ihren ferneren Wegen begleiten .. .