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Pfälzer Bote für Stadt und Land (68) — 1933 (April bis Juni)

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Nr. 100-124 (2. - 31. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.68778#0336
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hatte die Augen zugemacht und-ah, er schlief; ich iah es an den
regelmäßigen Bewegungen seiner Brust. Er hatte in letzter Nacht
näht viel geruht. Hier konnte er ein kleines Nickerchen wagen, weil
ich wachte und wir auf dem Herweg in der ganzen Gegend nichts Ver-
dächtiges bemerkt hatten.
Jetzt sollte ich ein Beispiel davon erleben, wie scharf die Sinne der
Menschen und der Tiere im wilden Westen sind. Das Maultier steckte
mitten im Gebüsch, so daß ich es nicht sehn konnte, und knusperte die
Blätter von den Zweigen; es war kein geselliges Tier, mied die
Pferde und war am liebsten allein. Mein Schimmel stand in meiner
Nähe und mähte mit seinen scharfen Zähnen das Gras ab. Sam
schlief, wie ich bereits gesagt habe.
Da ließ das Maultier ein kurzes, seltsames, ich möchte sagen, war-
nendes Schnauben hören, und im Nu war Sam aufgewacht und stand
auf den Beinen.
„Ich schlief; die Mary schnaubte; das hat mich aufgeweckt. Es
kommt ein Mensch oder ein Tier. Wo ist mein Maultier?"
„Da in den Büschen. Kommt!"

Wir krochen ins Gesträuch und sahn nun die Mary, wie sie, vorsichtig
hinter den Zweigen verborgen, hindurch blickte. Ihre langen Ohren
bewegten sich lebhaft, und der Schwanz ging auf und nieder. Als ste
sah, daß wir kamen, war sie beruhigt; Schwanz und Ohren standen
still. Das Tier hatte sich wirklich in guten Händen befunden, und Sam
konnte sich beglückwünschen, anstatt eines Pferdes diese Mary gefangen
zu haben.

Als wir durch die Zweige blickten, sahn wir sechs Indianer, einen
hinter dem andern, vom Norden her, wohin wir wollten, auf unsrer
Fährte geritten kommen. Der Vorderste von ihnen, eine nicht hohe,
aber muskelkräftige Gestalt, hielt den Kopf gesenkt und schien die
Augen nicht von der Fährte zu wenden. Sie trugen alle lederne Leg-
gins und dunkle Wollhemden. Bewaffnet waren sie mit Flinten,
Messern und Tomahawks. Ihre Gesichter glänzten vor Fett; quer
über jedes ging ein blauer und ein roter Strich hinweg.
Schon wollte diese Begegnung mir Sorge machen, da sagte Sam,
ohne seine Stimme vorsichtig zu dämpfen:

„Welch ein Zusammentreffen! Das rettet uns, Sir!"
„Retten? Wieso? Wollt Ihr nicht leiser werden? Die Kerls sind
schon so nahe, daß sie uns hören müssen."

„Das sollen sie auch. Es sind Kiowas. Der Voranreiter ist Bao,
was in ihrer Sprache Fuchs bedeutet, ein tapfrer und auch schlauer
Krieger, wie ja schon sein Name sagt. Der Häuptling dieser Leute
heißt Tangua, ein unternehmender Jndsman, ein guter Freund von
mir. Sie tragen die Kriegsfarben im Gesicht und sind also wahr-
scheinlich Kundschafter. Ich habe freilich nichts davon gehört, daß
irgend ein Stamm gegen den andern aufgetreten ist.
Das Wort Kiowa wird Kei—o—weh ausgesprochen. Dieser rote
Stamm scheint ein Mischvolk von Shoshonen und Pueblo-Indianern
zu sein; es sind ihm im Jndianerterritorium Reservationen angewie-
sen worden, aber es schweifen trotzdem noch viele Abteilungen in den
texanischen Wüsten, namentlich im sogenannten Pan-Handle herum
und bis nach New-Mexiko hinein. Diese Trupps sind sehr gut beritten
und reich an Pferden. Sie werden den Weißen durch ihre Raublust
gefährlich, und darum sind die Ansiedler in den Grenzgebieten ihre er-
bittertsten Feinde. Auch mit den verschiednen Apatschenstämmen stehn
ste auf schlechtem Fuß, da sie auch das Eigentum und Leben ihrer roten
Brüder nicht zu schonen pflegen. Sie sind mit einem Wort Räuber-
banden. Wodurch sie das geworden sind, braucht man nicht zu fragen.
Die sechs Kundschafter waren jetzt nahe herangekommen. Wie sie
uns retten sollten, leuchtete mir nicht ein. Sechs Indianer konnten
uns wenig oder nichts helfen. Bald freilich sollte ich erfahren, wie
Sam Hawkens es gemeint hatte. Für jetzt freute ich mich nur darü-
ber, daß sie Sam kannten und wir also von ihnen wahrscheinlich nichts
zu fürchten hatten.

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Sie waren auf unsrer Herfährte gekommen und sahn nun unsre
Rückspur , die ins Gebüsch führte. Daraus schlossen sie natürlich, daß
sich Menschen darin befanden. Sofort rissen ste ihre kräftigen und be-
weglichen Pferde herum und jagten zurück, um aus der Tragweite
unsrer Gewehre zu kommen. Da trat Sam vor das Gebüsch hinaus,
hielt beide Hände hohl an den Mund und stieß einen schrillen, weithin
schallenden Ruf aus, der ihnen bekannt zu sein schien, denn sie hielten
ihre Pferde an und schauten zurück. Er rief abermals und winkte
ihnen. Sie verstanden beides, den Ruf und den Wink; sie sahn Sam,
dessen eigentümliche Gestalt nicht zu verkennen war, und kamen im
Galopp zurück. Ich hatte mich neben Sam gestellt. Sie stürmten auf
u.,L »r. n» -chderreiten wollten; wir blieben ruhig stehn;
uns ihre Pferde in die Haken, schnellten aus
laufen.
Sam ist hier?" fragte der Anführer. „Wie
er raten Freunde und Brüder?"
, hat mich getroffen, weil er sich auf meiner
tete Sam.

t," a

„Wir glaubten, e
neinte der.Luchs"

s sei die Spur der roten Hunde, die wir suchen,"
in gebrochnem, aber versiändlischem Englisch.

„Welche Hunde meint mein roter Bruder?"
„Die Apatschen vom Stamm der Mescaleros." ,
„Warum nennt ihr sie Hunde? Ist ein Streit ausgebrochen zwischen
ihnen und meinen Brüdern, den tapfern Kiowas?"
„Das Kriegsbeil ist ausgegraben zwischen uns und diesen räudigen
Coyoten."
„Uff! Das freut mich zu hören! Meine Brüder mögen sich zu uns
setzen, denn ich habe ihnen Wichtiges zu sagen."
Der „Fuchs" sah mich forschend an und fragte:
„Ich habe dieses Bleichgesicht noch nie gesehn; es ist noch jung; ge-
hört es bereits unter die Krieger der weißen Männer? Hat es sich
schon einen Namen erworben?"
Hätte Sam meinen deutschen Namen genannt, so hätte das keine
Wirkung hervorgebracht. Da besann er sich auf das Wort, das Wheeler
ausgesprochen hatte, und antwortete:
„Dieser ist mein liebster Freund und Bruder; er ist jüngst erst über
das große Wasser gekommen und ein großer Krieger bei seinem Volk.
Er hatte noch nie in seinem Leben einen Büffel oder einen Büren ge-
sehn, und dennoch hat er vorgestern mit zwei alten Büffelbullen ge-
kämpft und sie erlegt, um mir das Leben zu retten, und dann gestern
den grauen Grisly des Felsengebirges mit dem Messer erstochen, ohne
daß ihm dabei die Haut geritzt worden ist."
„Uff, uff!" riefen die Roten bewundernd, und Sam fuhr, allerdings
in überschwänglicher Weise, fort:
„Seine Kugel verfehlt niemals ihr Ziel, und in seiner Hand wohnt
so viel Kraft, daß er jeden Feind mit einem einzigen Hieb seiner Faust
zu Boden schmettert. Darum haben ihm die weißen Männer des
Westens den Namen Old Shatterhand gegeben."
So, da war ich ja ganz ohne meine Einwilligung mit einem Kriegs-
namen ausgerüstet worden, den ich seit jener Zeit da drüben stets ge-
tragen habe. Das ist so Sitte im Westen. Oft kennen die besten
Freunde gegenseitig ihre wirklichen Namen nicht.
Der „Fuchs" reichte mir die Hand und sagte in freundlichem Ton:
„Wenn Old Shatterhand es erlaubt, werden wir seine Freunde und
Brüder sein. Wir lieben solche Männer, die ihre Feinde mit einem
Schlag niederschmettern. Darum wirst du hochwillkommen sein in
unfern Zelten."
Das hieß mit andern Worten: Wir brauchen Spitzbuben von einer
solchen Körperkraft, wie du sie besitzest; darum komm zu uns! Wenn du
mit uns und für uns mausest, stiehlst und raubst, sollst du es leidlich
gut bei uns haben. Trotzdem antwortete ich so ziemlich mit jener
Würde, die ich mir später ganz zu eigen gemacht habe:
„Ich liebe die roten Männer, denn sie sind die Söhne des großen
Geistes, dessen Kinder auch die Bleichgesichter sind. Wir sind Brüder
und wollen uns beistehn gegen alle Feinde, die uns und euch nicht
achten!"
Ein wohlgefälliges Schmunzeln ging über sein mit Fett und Farbe
beschmiertes Gesicht, als er mir hierauf versicherte:
„Old Shatterhand hat wohl gesprochen. Wir wollen die Pfeife des
Friedens mit ihm rauchen."
Hierauf setzten sie sich mit uns ans Wasser. Er zog eine Pfeife her-
vor, deren lieblich-niederträchtiger Duft meine Nase schon von weitem
empörte, und stopfte sie mit einer Mischung, die aus zerstoßnen roten
Rüben, Hanfblättern, geschnittnen Eicheln und Sauerampfer zu be-
stehn schien, versetzte sie in Brand, stand auf, tat einen Zug, blies den
Rauch gen Himmel und gegen die Erde und sagte:
„Da oben wohnt der gute Geist, und hier auf der Erde wachsen die
Pflanzen und die Tiere, die er für die Krieger der Kiowas bestimmt
hat."
Hierauf tat er vier weitere Züge und fuhr fort, nachdem er den
Rauch nach Norden, Süden, Osten und Westen geblasen hatte:
,Fkach diesen Gegenden hin wohnen die roten und weißen Männer»
die diese Tiers und Pflanzen unrechtmäßiger Weise für sich behalten.
Wir werden sie aber aufsuchen und uns nehmen, was uns gehört. Ich
habe gesprochen. Howgh!"
Welch eine Rede! Ganz anders als alle, die ich bisher gelesen hatte
oder spater so oft gehört habe. Dieser Kiowa sagte ja hier mit offnen
Worten, daß er die sämtlichen Erzeugnisse des Tier- und Pflanzen-
reichs als Eigentum seines Stamms betrachtete und darum den Raub
nicht nur für sein Recht, sondern sogar für seine Pflicht hielt. Und ich
sollte nun dieser Leute Freund sein! Aber wer unter die Musikanten
gerät, muß mitblasen.
Der „Fuchs" reichte Sam die unfriedliche Friedenspfeife. Der Mann
tat wacker seine sechs Züge und sagte:
„Der große Geist achtet nicht auf die verschiedne Haut der Menschen,
denn die können sie sich mit Farbe beschmieren, um ihn zu täuschen,
sondern er sieht das Herz an. Die Herzen der Krieger vom berühmten
Stamm der Kiowas sind tapfer, unerschrocken und treu. Das meinige
hängt an ihnen wie mein Maultier an dem Baum, an dem ich es an-
gebunden habe. So wird es hängen bleiben, allezeit, wenn ich mich
N'cht irre. Ich habe gesprochen. Howgh!"
Das war nun freilich Sam Hawkens, der listig-lustige kleine Mann,
rer jedem Ding und jedem Verhältnis eine erträgliche Seite obzuge-

I


winnen verstand. Seine Rede wurde mit einem allgemeinen, wieder-
holten „Uff, uff, uff!" belohnt. Leider beging er die Freveltat, nun
auch mir das tönerne Stinktier in die Hand zu schieben. Ich war ge-
zwungen, in den sauren Apfel zu beißen, und nahm mir vor, meine
edle Würde zu bewahren und die Züge meines männlich ernsten Ge-
sichts zu beherrschen. Ich rauche sehr gern, und mir ist nie im Leben
eine Zigarre zu stark gewesen. Ich konnte also erwarten, daß mich auch
diese indianische Friedensröhre nicht über den Haufen werfen würde.
Ich erhob mich, machte mit der linken Hand eine zur Andacht auffor-
dernde Bewegung und tat den ersten Zug. Ja, es stimmte, die vorhin
angegebnen Bestandteile, nämlich Rüben, Hanf, Eicheln .md Sauer-
ampfer, waren alle in dem Pfeifenkopf anwesend; aber einen fünften
Hauptstoss hatte ich nicht genannt; jetzt roch und schmeckte ich, daß auch
ein Stückchen Filzschuh dabei sein müsse. Ich bNes den Rauch auch
gegen den Himmel und gegen die Erde und sagte dann:
„Vom Himmel kommt der Sonnenstrahl und der Regen; von hm
kommt jede gute Gabe und aller Segen. Die Erde empfängt die
Wärme und Nässe und spendet dafür den Büffel und den Mustang, den
Bären und den Hirsch, den Kürbis, den Mais und vor allem die edle
Pflanze, aus der die klugen roten Männer den Kinnikinnik bereiten,
der aus der Friedenspfeife den Duft der Liebe und Verbrüderung
spendet."
Ich hatte nämlich gelesen, daß die Indianer' ihren Mischtabak
Kinnikinnik nennen, und brachte diese Kenntnis heut schleunigst am
richtigen Platz an. Nun sog ich mir den Mund zum zweitenmal voll
Rauch und blies ihn gegen die vier Himmelsgegenden. Der Geruch
war noch voller und vertrackter als vorhin; ich glaubte bestimmt, daß
noch zwei weitere Bestandteile anzuführen se-ien, nämlich Kolopho-
nium und abgeschnittene Fingernägel. Nach dieser trefflichen Ent-
deckung fuhr ich fort:
„Im Westen ragt das Felsengebirge empor, und im Osten dehnen
sich die Ebenen; im Norden leuchten die Seen, und im Süden wallt das
große Wasser des Meeres. Wäre alles Land mein, was zwischen diesen
vier Grenzen liegt, ich würde es den Kriegern der Kiowas schenken,
denn ste sind meine Brüder. Mögen sie in diesem Jahr zehnmal so viel
Büffel und fünfzigmal so viel Grislybären jagen, wie sie Köpfe zäh-
len. Die Körner ihres Maises mögen wie Kürbisse sein und ihre Kür-
bisse so groß, daß man aus der Schale eines einzigen zwanzig schnei-
den kann. Ich habe gesprochen. Howgh!"
Mir verursachte es keine unbezahlbaren Ausgaben, ihnen diese Herr-
lichkeiten zu wünschen, sie aber freuten sich darüber, als ob sie sie wirk-
lich bekommen hätten. Meine Rede war die geistreichste, die ich in
meinem Leben gehalten habe, und so wurde sie denn auch mit einem
Jubel ausgenommen, der in Anbetracht der von den Indianern stets
bewahrten kalten Ruhe beispiellos war. So viel hatte ihnen noch kein
Mensch, am allerwenigsten ein Weißer, gewünscht und gar schenken
wollen; darum wollten die immer wiederkehrenden, anerkennenden
„Uff, uff!" kein Ende nehmen. Der „Fuchs" drückte mir wiederholt die
Hand, versicherte mich seiner Freundschaft für alle Zeiten und riß bei
seinen Howgh, Howgh den Mund so weit auf, daß es mir glückte, die
Friedenspfeife los zu werden, indem ich sie ihm zwischen die langen,
gelben Zähne schob. Er schwieg sofort, um den Inhalt in denkbarer
Sammlung weiter zu genießen.
Das war meine erste „heilige Handlung" bei den Indianern, denn
das Rauchen der Friedenspfeife wird bei ihnen in Wirklichkeit als
eine Feierlichkeit betrachtet, die sehr ernste Gründe und ebenso ernste
Folgen hat. Wie oft habe ich später das Kalumet rauchen müssen und
bin mir dabei des Ernstes, der Würde der Handlung voll bewußt ge-
wesen. Hier aber hatte sie mich gleich von vornherein angewidert, und
dann war mir bei Sams Herzen, das „wie ein Maultier am Baum
hing", der Vorgang gar drollig erschienen. Meine Hand stank nach der
Pfeife, und meine ganze Seele jubelte ün stillen darüber, daß sie nun
im Mund des Häuptlings und nicht in dem meinigen steckte. Ich zog,
um selbst die Erinnerung an den Geschmack der Pfeife zu vernichten,
eine Zigarre aus der Tasche und brannte sie an. Welch begierige
Augen richteten da die Roten auf mich! Der „Fuchs" öffnete den
Mund so weit, daß ihm die Pfeife herausfiel; als geschulter Krieger
hatte er die Geistesgegenwart, sie aufzufangen und wieder zwischen die
Lippen zu stecken, aber es war ihm anzusehn, daß ihm in diesem Augen-
blick eine einzige Zigarre lieber war als tausend Friedens- und Kin-
nikinnikpfeifen.
Da wir mit Santa Fe in Verbindung standen, von woher wir im
Ochsenwagen unsre Vorräte bekamen, war es mir nicht schwer gewesen,
mich mit Zigarren zu versorgen. Sie waren billig, und ich gönnte
nnr diesen Genuß, während sich die andern im Brandy betranken. Ich
hatte heut früh welche mitgenommen und mich, weil wir möglicher-
weise erst morgen zurückkehren konnten, gleich für zwei Tage versehn;
also konnte ich das sichtlich ungeheure Verlangen der Roten stillen;
ich reichte jedem von ihnen eine Zigarre. Der „Fuchs" legte die
Pfeife sofort weg und brannte die seinige an; seine Leute aber verfuh-
ren anders; sie steckten die Zigarren nicht bloß mit der Spitze in den
Mund, sondern schoben sie ganz hinein, um sie zu kauen. Der Geschmack
der Menschenkinder ist eben verschieden. Ein altes Wort sagt, der eine

habe ihn vorn, der andre hinten; jetzt sah ich, daß dieses Wort wirklich
wahr ist, denn die Kiowas hatten ihn hinten. Ich schwur im stillen,
ihnen nie wieder etwas zu schenken, was zum Rauchen, aber nicht zum
Essen da ist.
Jetzt waren alle Förmlichkeiten erfüllt und die Roten in der beste«
Stimmung. Sam begann also mit der Frage:
„Meine Brüder sagen, daß das Kriegsbeil zwischen ihnen und de«
Mescalero-Apatschen ausgegraben sei. Ich weiß nichts davon. Seit
wann ruht es nicht mehr in der Erde?"
„Seit der Zeit, die die Bleichgesichter zwei Wochen nennen. Mein
Bruder Sam wird sich in einer abgelegnen Gegend befunden haben»
daß er es nicht erfahren konnte."
„Das ist richtig. Die Völker lebten aber doch in Frieden. Was ist
der Grund, daß meine Brüder zu den Waffen gegriffen haben?"
„Die Hunde von Apatschen haben vier von unfern Kriegern getötet.^
„Wo?"
„Am Rio Pecos."
„Da stehn doch nicht eure Zelte?"
„Aber die der Mescaleros."
„Was wollten eure Krieger dort?"
Der Kiowa besann sich keinen Augenblick, der Wahrheit gemäß zrk
antworten:
„Es zog eine Schar von unfern Kriegern aus, um des Nachts di«
Pferde der Mescalero-Apatschen zu überfallen. Diese stinkenden Hunde
aber wachten gut; sie wehrten sich und töteten unsre tapfern Männer-
Darum ist zwischen uns und ihnen das Kriegsbeil ausgegraben wor-
den."
Also die Kiowas hatten Pferde stehlen wollen, waren aber ertappt
und vertrieben worden. Daß dabei einige von ihnen ihr Leben gelassen
hatten, daran waren sie selber schuld. Dennoch sollten das die Apat-
schen büßen, die in ihrem Recht waren, indem ste ihr Eigentum ver-
teidigt hatten. Am liebsten hätte ich das den Spitzbuben ehrlich ins
Gesicht gesagt; ich öffnete wohl auch schon den Mund dazu, denn Sam
winkte mir warnend zu und fragte weiter:
„Wissen die Apatschen davon, daß eure Krieger gegen sie ausgezo-
gen sind?"
„Denkt mein Bruder, daß wir es ihnen gesagt haben? Wir falle«
heimlich über sie her, töten ihrer so viele, wie wir können, und neh-
men dann alles mit, was wir von ihren Tieren und Sachen brauchen."
Der „Fuchs" sah mir lächelnd ins Gesicht.
Mein junger Bruder Old Shatterhand ist erst vor kurzem über
das große Wasser herübergekommen und weiß also wohl noch nicht, wie
die Menschen diesseits dieses Wassers denken und leben. Ja, wir haben
viele Pferde; aber es kamen weiße Männer zu uns, die Pferde kaufe«
wollten, so viel Pferde, wie wir nicht entbehren konnten. Da erzähl-
ten sie uns von den Pferdeherden der Apatschen und sagten uns, daß
sie für ein Apatschenpferd uns ebensoviel Waren und Brandy gebe«
würden wie für ein Kiowapferd. Da sind unsre Krieger fort, um
Apatschenpferde zu holen."
Also richtig! Wer war schuld an dem Tod der bisher Eefallnen und
an dem Blutvergießen, das nun noch bevorstand? Weiße Pferdehänd-
ler, die mit Brandy bezahlen wollten und die Kiowas förmlich auf de«
Pferderaub hingewiesen hatten! Ich hätte wohl meinem Herzen Lust
gemacht, aber Sam winkte mir sehr nachdrücklich zu und erkundigt
sich:
„Mein Bruder, der „Fuchs", ist als Kundschafter ausgezogen?"
„Ja."
„Wann folgen eure Krieger nach?"
„Sie sind um den Ritt eines Tages hinter uns."
„Von wem werden sie angeführt?"
„Von Tangua, dem tapfern Häuptling, selber."
„Wieviel Krieger hat er bei sich?"
„Zweimal hundert."
„Und ihr glaubt, die Apatschen zu überraschen?"
„Wir werden über sie kommen wie der Adler über die Krähen, di«
ihn nicht bemerkt haben."
„Mein Bruder irrt. Die Apatschen wissen es, daß sie von den Kio-
was überfallen werden sollen."
Der „Fuchs" schüttelte ungläubig den Kopf.
„Woher sollten sie es wissen? Reichen ihre Ohren bis zu den Zelte«
der Kiowas?"
„Ja."
„Ich verstehe meinen Bruder Sam nicht. Er mag mir sagen, wie er
dieses Wort meint."
„Die Apatschen haben Ohren, die gehn und auch reiten können. Wir
haben gestern zwei solche Ohren gesehn, die bei den Zelten der Kiowas
gewesen sind, um zu lauschen."
„Uff! Zwei Ohren? Also zwei Späher?'
„Ja."
„So muß ich augenblicklich zum Häuptling zurück. Wir haben nur
zweihundert Krieger mitgenommen, weil wir nicht mehr brauche«,
wenn die Apatschen nichts ahnen. Wenn sie aber gerüstet sind, so
brauchen wir weit mehr."
 
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