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nach Verbesserung der Lage, ein scharfes Auge für Vermehr-
ung der Einnahmen und Ausnützung der gegebenen Kräfte:
das ist die gesunde Basis eines Geschäfts und des Fort-
schritts, damit wird er einst mein tüchtiger Nachfolger und
Erbe — was er aber in seinen Freistunden treibt, das
kümmere auch dich nicht. So vernünftig ist er, daß er
nichts thut, was ihn vors Gericht führt und daß er sich
nicht in sentimentale Heirathspläne einläßt."
Frau Gülden erwiderte ein bischen seufzend : „Ja, ja,
du magst Recht haben, aber seine Sitten sind eben doch —"
„Was Sitten? lachte ihr Gemahl, „was sind Sitten?"
Was fragt unsere Zeit nach Sitten? Wenn einer gewissen-
haft seine geschäftlichen Pflichten erfüllt und sein Ziel ver-
folgt, so bedarf's weiter nichts. Das Privatleben geht
Niemanden etwas an, so lange es dem Geschäft keinen Ein-
trag thut."
„Da sagt man doch den Kindern bei der Erziehung
ganz anders," warf seine Fra« ein.
„So lauge sie Kinder sind, wohl, aber wenn sie er-
wachsen, so kommen sie von selbst darauf. Das ist einmal
der Zug unserer modernen Zeit, das bestätigen unsere ge-
lesensten Schriftsteller," wehrte Herr Gülden kühl ab.
„Das dürfte der Pastor nicht hören," lächelte die Frau.
„Der kann zufrieden sein. Komme ich nicht fast alle
Monate in die Kirche? Ladest du ihn nicht oft genug zu
Tisch? Nehmen wir nickt an seinen Sammlungen theil?
Und im Grund wird er auch nicht viel anders denken.
Uebrigens lasse ich mir auch von ihm nichts diktiren. Ich
habe meinen Glauben so gut wie er und behaupte, daß ich
ein ganz guter Christ bin."
In diesem Augenblick unterbrach ihn seine Frau: „ Was
ist dort?" fragte sie plötzlich, indem sie hinausdeutete. Beim
Eingänge des Dorfes hatten sich Leute angesammelt, welche
ein Haus umstanden.
In wenigen Augenblicken war die Kutsche dort. Herr
Gülden fragte einen der Versammelten, was es gebe.
„Ein Weib liegt am Sterben in dem Hause, es ist
plötzlich etwas an sie gekommen," war die Antwort. Herr
Gülden stieg aus der Kutsche, befahl dem Kutscher, seine
Frau langsam ins Dorf hinein zu fahren, und näherte sich,
von Neugierde getrieben, dem Häuschen. Alles machte Platz,
eine gewisse Aufregung, fast Schadenfreude, leuchtete aus
den Blicken, mit denen die Leute ihn ansahen. Er ging in
das Zimmer. Da lag auf einem am Boden liegenden
Strohsack ein Weib, todtbleich, schon röchelnd. Der Priester
kniete bei ihr und betete langsam vor. Er hatte sie offen-
bar eben noch versehe«. Ein Manu beugte sich dann und
wann über sie, ihr den Schweiß von der Stirn wischend.
Der Mann war — Herr Gülden sah es jetzt erst zu seiner
großen Verlegenheit — sein Weber Kurz, die Sterbende
dessen Frau. Kurz sah ihn nicht.
Die Frau war ihrem Manne entgegengegangen. Ent-
setzt über sein Aussehen und seine Mittheiluugen wegen der
abermaligen Lohnherabsetzung war das durch Arbeit, Ent-
behrung und Kränklichkeit ohnehin schon aufgeriebene Weib
zusammengebrochen in einem furchtbaren Anfalle. Mau
hatte sie in das Häuschen gebracht, und da lag sie nun
sterbend.
Gülden wollte wieder hinaus — aber es ging nicht.
Die Leute standen dicht wie die Mauern, fast drohend hinter
ihm; er sollte offenbar gezwungen sein zu bleiben. Wollte
er hinauskommeu, so konnte das nur geschehen durch ge-
walthätiges Auftreten — und das hätte erst recht die Auf.
merkfamkeit in dresem Augenblick auf ihn gezogen, So
konnte er hoffen, von dem Weber Kurz vielleicht unbemerkt
zu bleiben, wenn er ruhig blieb.
Die Leute beteten laut, manche knieten auf dem Boden.

Jetzt schlug die Sterbende die dunklen Augen auf.
Ernst und tief schaute sie ihren Mann an. Nu« hob sie
langsam das Sterbe-Kreuzchen in der Hand zum Mund und
küßte es ; dann legte sie die Rechte um den Nacken ihres
Mannes und zog iyn näher an sich. Jetzt küßte sie ihren
Mann — es war der Abschied der Ehegatten für diese
Welt.
„Anton, Gott behüte dich, Gott segne dich und die
Kinder: die Anna, das Trautcheu, den Franz, den Joseph,"
kam's deutlich aus ihrem Munde. Sie ließ sich etwas
aufrichten.
Todtenstille ringsum ward's bei den letzten Worten des
Sterbenden.
„Mein Gott," betete sie, „ich sterbe; wie du willst,
will ich auch, so weh es thut. Mein armer Mann, meine
Kinder, ich empfehle sie dir . . . Schmerzhafte Mutter,
tröste sie . . . Anton," begann sie wieder, „deineHand—"
Er gab ihr die Rechte; sie umschloß sie mit den beiden
Händen.
„Du mußt mir versprechen:-du willst nicht
murren gegen Gott —"
-„Ich verspreche es," sprach der Weber mit halb-
erstickter Stimme nach einer Pause.
„Du willst nicht ungeduldig, — nicht unzufrieden
werden mit unserm Los, Gott hat's gegeben ..."
Und als ihr Mann und die andern Leute düster
schwiegen^ schaute sie auf und sagte fast übernatürlich klar
und deutlich: „Ich habe gelebt nach dem Glauben — ich
sterbe ruhig mit Gottes Gnade .... Hört es . . . Ich
habe nichts Gutes gehabt auf dieser Welt — arm, — arm
— viele Kinder — Sorgen, — Tag und Nacht Arbeit,
wenig Essen — Hunger — Hungerlöhne, — aber es reut
mich nicht — nein, ich will, was Gott will-ich habe
den Frieden gehabt — mein gutes Gewißen, Gott Lob und
Dank, ich kann die Welt leicht verlaßen."-
Der Priester trat näher, als die Kranke schwieg; er
sprach ihr vor: „Ja, tröfte dich, dein Lauf ist vollendet,
du hast den Glauben bewahrt — den guten Kampf gekämpft
— das Ziel erreicht, das wahre, das einzige Ziel des
Menschen: den Himmel, die ewige Seligkeit — ein seliges
Sterben, die Hoffnung auf ein gnädiges Gericht —"
„Das Ziel erreicht"-murmelte die Sterbende,
„versprich mir: Geduld — im Glauben."
„Geduld im Glauben, ich verspreche dir's jetzt", sagte
der Weber schluchzend.
„Bräuchft keine — Reichthümer," fuhr sie fort, — —
„keine Rache — o, wünsche ich allen Menschen — selig zu
werden — euch allen," wandte sie sich an die Umstehenden
— „betet, glaubet — liebet — alle — alle" —
In diesem Augenblicke erschaute sie den Fabrikherrn,
der durch eine Bewegung der hinter ihm Stehenden aber-
mals weiter nach vorn gedrängt war, unmittelbar an dem
Sterbelager.
— „Auch Sie! — Auch Sie," sprack sie und hob die
Hand auf, hindeutend auf den todtesblaß Dastehenden.
„Gerechtigkeit — gegen — Menschen-gebt
den verdienten Lohn — meinem armen Manu — meinen
Kindern — —"
„Und allen, ich sage es Ihnen!" rief sie fast laut aus,
„heraus, heraus — mit unrecht Gut —" Ihr Auge ruhte
einen Moment ernst auf dem Fabrikherrn. „Ick — habe
— keinen — Haß — im Herzen — ich bete auch für
Sie —"
„Und du!" —sie faßte ihres Mannes Hände noch-
mals und warf dem Priester einen Blick zu. Er segnete sie,
sie sank zurück — „Jesus, sei mir gnädig — Maria, —
unbefleckt — Sankt Joseph —" ' -
 
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