Pfälzer Volksblatt.
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Organ für Walfrßeit, Frerlieli L KM. M-.LLLLS
«erdelbera monatlich 5« H mit Trägerlohn, durch « ' Rabattbewilligung.
.»^-die^Post bezogen viertelj, ^LIM franco. Expeditian: ZwingerftratzeT.^^^.
lk. 45. Wklderg, N»eM, dm 25. Kv»r 1897. I 1. Ws.
Auf das
„Pfälzer Bottsblatt"
Eanu schon für den Monat
März
«bonnirt werden. Bestellungen nimmt jede Postavstalt
sowie unsere Expedition in Heidelberg, Zwingerstraße 7,
Entgegen.
Probermmmern werden auf Wunsch gerne Porto-
srei Jedermann zugesandt.
Die Initiative des deutschen Reiches in der
Kreta-Frage
Hat leider nicht zu dem gewünschten Ergebniß geführt,
die Möglichkeit deS AuSvrucheS eines Völkerbrandes
ZA Orient im Keime zu ersticken. Nachdem im An-
sauge augenscheinlich die Uebernahme der Führung
«urch Deutschland von den andern Großmächten dank-
aar anerkannt worden ist, haben diese andern Groß-
mächte nicht die Entschlossenheit gefunden, ihre ur-
sprüngliche» Absichten durchzuführen, sobald dazu ei-
tvar mehr nothwendig wurde, als papierene Waruungs-
Und Droh Noten. Doch das ist Sache der Groß-
mächte selber, und es wäre ganz verfehlt, nun von
aiesem Ausgange aus, rückwärts schauend die Jnitia-
"be Deutschlands tadeln zu wollen.
Der Angriff Griechenlands auf Kreta war ein
unzwe.felhafter Rechtsbruch. Nachdem die Großmächte
Hie Beruhigung Kreta's in die Hand genommen
Hatten, und nachdem sie bereits die Türkei mit voller
Wirkung von der Entsendung von Truppen nach
Aeta abgehaltcn hatten, kann eine Rücksicht der
Menschlichkeit in Bezug auf die Bevölkerung Kreta's
bvn Griechenland in keiner Weise mehr geltend ge-
macht werden, um sein Vorgehen zu entschuldigen.
^Ul Gegeutheil, es liegt auf der Hand, daß ganz
undere Beweggründe für die Abenteuerer-Politik der
^geblichen staatsmännischen Erben der ThemistokleS
vnd PnikleS maßgebend waren. Wenn die begonnene
Dfdnung der Verhältnisse Kreta's durch die Groß-
mächte Erfolg halte, so hätte Kreta höchst wahrfchein-
M eine größere oder geringere Selbständigkeit er-
halten, ohne doch völlig aus dem Verbände des os-
manischen Reiches gelöst zu werden. Die Insel Sa-
mos, die unter einem einheimischen Fürsten eine
solche bedingte Selbständigkeit bereits genießt, wäre
das Vorbild gewesen. Wie Samos sich ruhig und
verhältnißmäßig zufriedenstellend entwickelt, so hätte
dieses erwünschte Schicksal auch Kreta gewinkt. Da-
bei wäre Kreta weit besser gefahren, als wenn es
von dem bankerotten Griechenland mit seiner ganz
unglaublichen Wirthschaft im Innern und seiner mehr
als schnöden Behandlung auswärtiger Gläubiger
annectirt und dadurch iu die griechische Mißwirthschaft
hineingrzogen würde. Doch das war es gerade, was
den Herren in Athen nicht in den Kram paßte. Nicht
daS Glück Kreta's haben sie im Auge, dem eine
untergeordnete Selbständigkeit am zuträglichsten sein
würde, sondern lediglich ihren eigenen Bortheil und
ihre unbändige Großmannssucht. Dieser schönen
Charaktereigenschaft moderner Nationalitäts-Phantasten
glauben sie f-öhnen zu dürfen, ohne sich im mindesten
darum zu kümmern, ob sie dadurch vielleicht einen
Weltbrand entfachen. Von diesem Standpunkt aus
wird das sonst unbegreifliche Vorgehen Griechenlands
auch politisch verständlich. Sollte Kreta jemals
griechisch werden, so durfte es vor allem jetzt nicht
selbständig werden.
Deutschland halte noch kein Schiff in den griechi-
schen Gewässern; es war also am wenigsten mit
eigenen Rücksichten betheiligt. Wenn eS die Initiative
ergriff, so konnte man ihm am allerwenigsten selbst,
süchtige Absichten unterschrieben, zumal da eS in Kreta
persönliche Interessen von Deutschen gar nicht zu
wahren gibt. Es war also nur natürlich, daß die
Augen der übrigen Großmächte, von denen keine die
Initiative ergreifen zu sollen glaubte, zunächst auf das
Auswärtige Amt in Berlin sich richteten. Deutschland
hat sich an der Action der Mächte lediglich und aus-
schließlich im Interesse des Friedens b-theiligt. ES
hat die Initiative nur deshalb ergriffen, weil von
mehreren Seiten ihm angedeutet wurde, daß für
manche andere Cabinete gerade die Initiative ein be-
sonders schwieriger Theil der Aufgabe sei. Vielleicht
werden die übrigen Völker schon bald bedauern, daß
ihre Cabinete der ihnen anfangs erwünschten Initia-
tive Deutschlands später so schlecht gefolgt sind.
Durch diese Initiative ist im übrigen die Stellung
Deutschlands zu der gejammten orientalischen Frage
nach keiner Richtung hin verändert worden, so daß
l-tziere auch durch den theilweisen Mißerfolg der
Initiative nicht berührt wird. Daß Deutschland eine
selbständige Rolle in den großen Händeln des Orients
gar nicht spielen kann und das auch gar nicht wollen
darf, liegt auf der Hand. ES ist seine Aufgabe und
sein Beruf, nach besten Kräften für die Erhaltung
des Weltfriedens zu wirken. Je mehr aber eine
Gegend geographisch der deutschen Machtsphäre ent-
rückt ist, um so vorsichtiger wird Deutschland sein
müssen, ehe es sich verantwortlich engagirt. Daß
Deutschland keine selbständige Rolle oder keine be-
herrschende Rolle in der gegenwärtigen Verwickelung
spielen will, beweist zur Genüge der Umstand, daß
nur ein einziger, allerdings recht starker Panzerkreuzer
von ihm in's Mittelmeer geschickt wird.
Die deutschen Vorschläge, welche darauf abzielten,
die Vereinigung Kreta's mit Griechenland zu hindern,
haben in dieser Form keinen Erfolg gehabt. Trotzdem
war ohne allen Zweifel das Ziel dieser Vorschläge
das einzig richtige, sofern man überhaupt nur die
Erhaltung deS Weltfriedens im Auge behält. Die
übrigen Mächte werden sich darüber nicht täuschen
dürfen, und haben wohl schon inzwischen durch aller-
lei Symptome und Aeußerungen amtlicher wie nicht-
amtlicher Natur — deren besondere Art vielleicht schon
recht bald bekannt werden könnte — die Überzeugung
gewinnen müssen, daß die Angliederung Kreta's an
Griechenland ein LoSbrechen der Serben, der Bul-
garen und der staatlich noch nicht organisirten Balkan-
völkerschaften zur unmittelbaren Folge haben würde.
Wenn der Rechisbruch Griechenlands dahin aus«
läuft, daß Kreta definitiv griechisch wird, so kann man
mit voller Bestimmtheit darauf rechnen, daß Serbien
und ähnliche Völkerschaften sich nicht werden zurück-
halten lassen, auf dem gleichen Wege ihr Glück und
die Zaghaftigkeit der zunächst betheiligten Großmächte
zu versuchen.
DaS ist die eminente Gefahr, welche daS Vor-
gehen Griechenlands mit sich brachte, und aus dieser
rechtfertigte sich vollkommen der Versuch, sie im Keime
zu ersticken. Dieser Einsicht werden sich auch die
übrigen Großmächte nicht entziehen und danach ihr
weiterer Verhalten einrichten. Man kann daher mit
einiger Bestimmtheit darauf rechnen, daß diejenigen
der Mächte, denen die Erhaltung des Friedens am
Herzen liegt — und da- ist von allen Continental-
Mächten wohl zunächst anzunehmen — ihr Augenmerk
darauf richten werden, daß der griechische Einfall nicht
Griechenland einen Bortheil verschafft, dessen Kosten
in Form von Kriegselend das übrige Europa zu tra-
gen haben würde.
Wie die übrigen Mächte das anfangen werden,
das kann das Berliner Cabinet, nachdem eS das Sei-
nige au Initiative geleistet hat, nunmehr in Ruhe
„ Stolz und Lieke. LL"
Dem Amerikanischen nacherzählt.
«r, 3n seiner Aufregung und bei dem Dämmerschein hatte
Malter nicht bemerkt, daß unterdeß ganz leise die gute
z-ante Debbh ins Zimmer getreten war. Sie, die so man-
Leid dieses kleinen Hauses getragen, war wehmüthi-
a°n Blickes dem erregten Gebühren Walters gefolgt und
Mte seinen schmerzlichen Ruf zu Gott gehört. Jetzt legte
»e ihre alterswelke Hand auf seine Schulter und sagte
?erch: .Was ist denn meinem braven Jungen; welche»
"Nglück hat ihn getroffen; wer hat ihm ein Leid zugefügt?"
. Walter erschreck, als er jetzt in daS wohlbekannte, von
'jüngstem Mitgefühl zeugende Gesicht der Tante schaute
and er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte
M em Kind. Tante Debly setzte sich neben ihn und nahm
W traulich bei der Hemd. Es that ihm in diesem Augen-
°ucke so wohl, eine mitfühlende Seele zu finden und er
.^traute ihr sein Herzensgeheimnii. Aber so sehr sie sich
M bemühte, Zweifel aufzuwerfen und die Hoffnung
Walters aufs Neue zu wecken, es half nicht, sein von
Nwwkrmuth und banger Herzersqual getrübtes geistiges
Müe sah nur das Düstere und kein Lichtblick wollte ihm
n.tamen. Er wollte nun seine Abreise möglichst bsschleuni-
«en. Er mußte die Stätten fliehen, an welchen jeder Baum
Uer Strauch, jedes Plätzchen und jeder Winkel für ihn
letzt nur bittere und quälende Erinnerungen weckten; weit
«eg drängte es ihn und er bat Tante Debby, seinen
Mrvater und Tante Howland auf seine morgen früh
ustgesetzte Abreise vorzuberciten.
«»Rach einer unruhigen, fast schlaflosen Nacht hatte
-«alter bald nach dem Morgengrauen sich von seinem La-
^Voben, war noch einmal an der Mutter Grab geeilt,
e-iÜ ^rt von ihr, der Verklärten, gleichsam den Segen
'"E Vas Gelingen seines schwierigen Vorhabens zu erflehen,
°9?as Er mit zerrissenem Herzen herantrat und daS —
«eit teren Thränen mußte er cs bekennen — ihn jetzt
M wehr mit dem begeisternden Hochgefühl erfüllte, als
Mem, da ihm beim Wiederfinden des unglücklichen Va-
ms noch ein anderer süßer Lohn zu winken schien. Um
ach einer unruhigen, fast schlaflosen Nacht hatte
r bald nach dem Morgengrauen sich von seinem La-
Mutter Grab ge
ileichsam den S
den qualvollen Gedanken an diese vernichtete Hoffnung
zu fliehen, trat er nun an das heran, was er stets als
liebender Sohn als die Aufgabe seines Lebens betrachtet
hatte.
Der Abschied von den Seinigen war ein sehr schmerz-
licher, kein Äuge blieb thränenleer; selbst auf die Wetter-
gebräunten Wangen des alten Graham, der so manches
Leid mannhaft getragen, fielen schwere Lrr pfen. Tief be-
wegt ergriff er die Hand seines Enkels und schaute ihn
mit seinen treuen Auge» an.
„Walter, vertraue auf Gott und sei stark!" sagte er
innig. „Was Du heute beweinst, wirst Du vielleicht morgen
als Dein Glück erkennen. Gottes Wege find wunderbar
und er Prüft die, welche er lieb bat. Ich habe cs in mei-
nem Leben erfahren und danke dem Herrn an meinem
Lebensabend, daß er alles fügte, wie eS geschehen. Gehe
getrost und in Frieden, mein Segen begleitet Dich. Aus
Wiedersehen!"
„Auf Wiedersehen ! wiederholten die Frauen, dann noch
ein Händedrücken und rüstigen Schrittes, als wolle er sich
ermannen, schlug er den Weg zum Bahnhofe ein.
Auf der Höhe warf er noch einen schmerzlichen Blick
zurück auf die Stätte seiner Jugend, söine Lippm lispelten
ein letztes Lebewohl und sein Herz bangte bei der Frage:
»Wann und wo werden wir uns Wiedersehen?"
Gegen Abend langte Walter in New Aork an: das
am andern Morgen in der Frühe nach St. Franzisko ab-
gehende Schiff wollte er benutzen. Er suchte zunächst Mr.
Graham auf, nicht in dessen Wohnung, weil er dort Jejfie
zu begegnen fürchtete — er konnte und durfte sie nicht
sehen — sondern er begab sich zum Geschäftsbureau. Mr.
Graham hatte dasselbe vor einer Stunde verlaßen und
Niemand wußte, wohin er sich begeben. Es war Walter
nicht unlieb, denn er hatte nun guten Grund, schriftlich
mitzutheilen, was er vor seiner Abreise noch zu sagen und
zu erklären hatte. Er stehe im Begriffe — so schrieb er mit
zitternder Hand — seine Reise nach Californien anzutreten.
Den Grund, weshalb er seine Abreise möglichst beschleu-
nige, könne Mr. Graham nach den in seinem letzten an
ihn, Walter, gerichteten Briefe gemachten Andeutungen,
über welche er in einem gestrigen Schreiben seines Vetter-
William Bellenger Aufschluß erhalten hätte, vielleicht er-
rathen. Wenn nicht, so wolle er ihm hierdurch freiwillig
bekennen, daß er nicht in New Aork oder in der Umgegend
weilen und zusehen könne, wie ein Mann von dem Charak-
ter William Bellengers das Mädchen heimführe, das er
selber mehr als sein eigen Leben liebe.
„Ich glaube das Geschäft durchaus zu verstehen, das
ich abzuwickeln habe," fügte er am Schluffe hinzu. „Sollten
Sie aber noch spezielle Wünsche und Aufträge für mich
haben, so bitte ich, es mich wissen zu lassen, und Ihre Be-
fehle fallen Pünktlich ausgeführt werden."
Diesen Brief ließ er für Mr. Graham zurück, und als
wieder die ersten Sonnenstrahlen die Berghöhen von
Decrwood beleuchteten, saß Walter bereits auf dem Deck
und lauschte in der Bitterkeit seines Herzens dem melan-
cholischen Gesang der Wellen, die das schwimmende Haus
umwogten.
AIS Jessie an diesem Morgen das ebenso luxuriös als
behagliche Wohnzimmer betrat, in dem sie mit ihrem Baier
das Frühstück einzunehmen pflegte, schritt dieser in sicht-
licher Erregung auf uns ab und schien den kindlich herz-
lichen Morgengruß seiner Tochter ganz zu überhören. Ver-
wundert sah Jessie dem eigenthümltchen Wesen des Vaters
zu und sie war gerade im Begriff, eine theilnehmende
Frage nach der Ursache seiner Aufregung an ihn zu richten,
als er plötzlich vor dem erschreckten Mädchen siegen blieb
und seinen forschenden Blick auf dasselbe richtete.
„Jessie, hat zwischen Dir und Walter Marshall kürz-
lich eine Entzweiung oder eine Auseinandersetzung statt-
gefunden, welche ein Mißverständniß zurücklassen konnte?"
Jessie erröthete; sie wußte nicht, wie sie die unerwar-
tete Frage deuten sollte. Noch kurzem Besinnen erwiderte
sie deshalb ausweichend: „Ist Walter die Ursache Deiner
Erregung, Vater? Hat sich mit Walter etwas zugetragen?
Bitte, laß mich nicht länger im Ungewissen."
^(Fortsetzung folgt).
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
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.»^-die^Post bezogen viertelj, ^LIM franco. Expeditian: ZwingerftratzeT.^^^.
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März
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Entgegen.
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Die Initiative des deutschen Reiches in der
Kreta-Frage
Hat leider nicht zu dem gewünschten Ergebniß geführt,
die Möglichkeit deS AuSvrucheS eines Völkerbrandes
ZA Orient im Keime zu ersticken. Nachdem im An-
sauge augenscheinlich die Uebernahme der Führung
«urch Deutschland von den andern Großmächten dank-
aar anerkannt worden ist, haben diese andern Groß-
mächte nicht die Entschlossenheit gefunden, ihre ur-
sprüngliche» Absichten durchzuführen, sobald dazu ei-
tvar mehr nothwendig wurde, als papierene Waruungs-
Und Droh Noten. Doch das ist Sache der Groß-
mächte selber, und es wäre ganz verfehlt, nun von
aiesem Ausgange aus, rückwärts schauend die Jnitia-
"be Deutschlands tadeln zu wollen.
Der Angriff Griechenlands auf Kreta war ein
unzwe.felhafter Rechtsbruch. Nachdem die Großmächte
Hie Beruhigung Kreta's in die Hand genommen
Hatten, und nachdem sie bereits die Türkei mit voller
Wirkung von der Entsendung von Truppen nach
Aeta abgehaltcn hatten, kann eine Rücksicht der
Menschlichkeit in Bezug auf die Bevölkerung Kreta's
bvn Griechenland in keiner Weise mehr geltend ge-
macht werden, um sein Vorgehen zu entschuldigen.
^Ul Gegeutheil, es liegt auf der Hand, daß ganz
undere Beweggründe für die Abenteuerer-Politik der
^geblichen staatsmännischen Erben der ThemistokleS
vnd PnikleS maßgebend waren. Wenn die begonnene
Dfdnung der Verhältnisse Kreta's durch die Groß-
mächte Erfolg halte, so hätte Kreta höchst wahrfchein-
M eine größere oder geringere Selbständigkeit er-
halten, ohne doch völlig aus dem Verbände des os-
manischen Reiches gelöst zu werden. Die Insel Sa-
mos, die unter einem einheimischen Fürsten eine
solche bedingte Selbständigkeit bereits genießt, wäre
das Vorbild gewesen. Wie Samos sich ruhig und
verhältnißmäßig zufriedenstellend entwickelt, so hätte
dieses erwünschte Schicksal auch Kreta gewinkt. Da-
bei wäre Kreta weit besser gefahren, als wenn es
von dem bankerotten Griechenland mit seiner ganz
unglaublichen Wirthschaft im Innern und seiner mehr
als schnöden Behandlung auswärtiger Gläubiger
annectirt und dadurch iu die griechische Mißwirthschaft
hineingrzogen würde. Doch das war es gerade, was
den Herren in Athen nicht in den Kram paßte. Nicht
daS Glück Kreta's haben sie im Auge, dem eine
untergeordnete Selbständigkeit am zuträglichsten sein
würde, sondern lediglich ihren eigenen Bortheil und
ihre unbändige Großmannssucht. Dieser schönen
Charaktereigenschaft moderner Nationalitäts-Phantasten
glauben sie f-öhnen zu dürfen, ohne sich im mindesten
darum zu kümmern, ob sie dadurch vielleicht einen
Weltbrand entfachen. Von diesem Standpunkt aus
wird das sonst unbegreifliche Vorgehen Griechenlands
auch politisch verständlich. Sollte Kreta jemals
griechisch werden, so durfte es vor allem jetzt nicht
selbständig werden.
Deutschland halte noch kein Schiff in den griechi-
schen Gewässern; es war also am wenigsten mit
eigenen Rücksichten betheiligt. Wenn eS die Initiative
ergriff, so konnte man ihm am allerwenigsten selbst,
süchtige Absichten unterschrieben, zumal da eS in Kreta
persönliche Interessen von Deutschen gar nicht zu
wahren gibt. Es war also nur natürlich, daß die
Augen der übrigen Großmächte, von denen keine die
Initiative ergreifen zu sollen glaubte, zunächst auf das
Auswärtige Amt in Berlin sich richteten. Deutschland
hat sich an der Action der Mächte lediglich und aus-
schließlich im Interesse des Friedens b-theiligt. ES
hat die Initiative nur deshalb ergriffen, weil von
mehreren Seiten ihm angedeutet wurde, daß für
manche andere Cabinete gerade die Initiative ein be-
sonders schwieriger Theil der Aufgabe sei. Vielleicht
werden die übrigen Völker schon bald bedauern, daß
ihre Cabinete der ihnen anfangs erwünschten Initia-
tive Deutschlands später so schlecht gefolgt sind.
Durch diese Initiative ist im übrigen die Stellung
Deutschlands zu der gejammten orientalischen Frage
nach keiner Richtung hin verändert worden, so daß
l-tziere auch durch den theilweisen Mißerfolg der
Initiative nicht berührt wird. Daß Deutschland eine
selbständige Rolle in den großen Händeln des Orients
gar nicht spielen kann und das auch gar nicht wollen
darf, liegt auf der Hand. ES ist seine Aufgabe und
sein Beruf, nach besten Kräften für die Erhaltung
des Weltfriedens zu wirken. Je mehr aber eine
Gegend geographisch der deutschen Machtsphäre ent-
rückt ist, um so vorsichtiger wird Deutschland sein
müssen, ehe es sich verantwortlich engagirt. Daß
Deutschland keine selbständige Rolle oder keine be-
herrschende Rolle in der gegenwärtigen Verwickelung
spielen will, beweist zur Genüge der Umstand, daß
nur ein einziger, allerdings recht starker Panzerkreuzer
von ihm in's Mittelmeer geschickt wird.
Die deutschen Vorschläge, welche darauf abzielten,
die Vereinigung Kreta's mit Griechenland zu hindern,
haben in dieser Form keinen Erfolg gehabt. Trotzdem
war ohne allen Zweifel das Ziel dieser Vorschläge
das einzig richtige, sofern man überhaupt nur die
Erhaltung deS Weltfriedens im Auge behält. Die
übrigen Mächte werden sich darüber nicht täuschen
dürfen, und haben wohl schon inzwischen durch aller-
lei Symptome und Aeußerungen amtlicher wie nicht-
amtlicher Natur — deren besondere Art vielleicht schon
recht bald bekannt werden könnte — die Überzeugung
gewinnen müssen, daß die Angliederung Kreta's an
Griechenland ein LoSbrechen der Serben, der Bul-
garen und der staatlich noch nicht organisirten Balkan-
völkerschaften zur unmittelbaren Folge haben würde.
Wenn der Rechisbruch Griechenlands dahin aus«
läuft, daß Kreta definitiv griechisch wird, so kann man
mit voller Bestimmtheit darauf rechnen, daß Serbien
und ähnliche Völkerschaften sich nicht werden zurück-
halten lassen, auf dem gleichen Wege ihr Glück und
die Zaghaftigkeit der zunächst betheiligten Großmächte
zu versuchen.
DaS ist die eminente Gefahr, welche daS Vor-
gehen Griechenlands mit sich brachte, und aus dieser
rechtfertigte sich vollkommen der Versuch, sie im Keime
zu ersticken. Dieser Einsicht werden sich auch die
übrigen Großmächte nicht entziehen und danach ihr
weiterer Verhalten einrichten. Man kann daher mit
einiger Bestimmtheit darauf rechnen, daß diejenigen
der Mächte, denen die Erhaltung des Friedens am
Herzen liegt — und da- ist von allen Continental-
Mächten wohl zunächst anzunehmen — ihr Augenmerk
darauf richten werden, daß der griechische Einfall nicht
Griechenland einen Bortheil verschafft, dessen Kosten
in Form von Kriegselend das übrige Europa zu tra-
gen haben würde.
Wie die übrigen Mächte das anfangen werden,
das kann das Berliner Cabinet, nachdem eS das Sei-
nige au Initiative geleistet hat, nunmehr in Ruhe
„ Stolz und Lieke. LL"
Dem Amerikanischen nacherzählt.
«r, 3n seiner Aufregung und bei dem Dämmerschein hatte
Malter nicht bemerkt, daß unterdeß ganz leise die gute
z-ante Debbh ins Zimmer getreten war. Sie, die so man-
Leid dieses kleinen Hauses getragen, war wehmüthi-
a°n Blickes dem erregten Gebühren Walters gefolgt und
Mte seinen schmerzlichen Ruf zu Gott gehört. Jetzt legte
»e ihre alterswelke Hand auf seine Schulter und sagte
?erch: .Was ist denn meinem braven Jungen; welche»
"Nglück hat ihn getroffen; wer hat ihm ein Leid zugefügt?"
. Walter erschreck, als er jetzt in daS wohlbekannte, von
'jüngstem Mitgefühl zeugende Gesicht der Tante schaute
and er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte
M em Kind. Tante Debly setzte sich neben ihn und nahm
W traulich bei der Hemd. Es that ihm in diesem Augen-
°ucke so wohl, eine mitfühlende Seele zu finden und er
.^traute ihr sein Herzensgeheimnii. Aber so sehr sie sich
M bemühte, Zweifel aufzuwerfen und die Hoffnung
Walters aufs Neue zu wecken, es half nicht, sein von
Nwwkrmuth und banger Herzersqual getrübtes geistiges
Müe sah nur das Düstere und kein Lichtblick wollte ihm
n.tamen. Er wollte nun seine Abreise möglichst bsschleuni-
«en. Er mußte die Stätten fliehen, an welchen jeder Baum
Uer Strauch, jedes Plätzchen und jeder Winkel für ihn
letzt nur bittere und quälende Erinnerungen weckten; weit
«eg drängte es ihn und er bat Tante Debby, seinen
Mrvater und Tante Howland auf seine morgen früh
ustgesetzte Abreise vorzuberciten.
«»Rach einer unruhigen, fast schlaflosen Nacht hatte
-«alter bald nach dem Morgengrauen sich von seinem La-
^Voben, war noch einmal an der Mutter Grab geeilt,
e-iÜ ^rt von ihr, der Verklärten, gleichsam den Segen
'"E Vas Gelingen seines schwierigen Vorhabens zu erflehen,
°9?as Er mit zerrissenem Herzen herantrat und daS —
«eit teren Thränen mußte er cs bekennen — ihn jetzt
M wehr mit dem begeisternden Hochgefühl erfüllte, als
Mem, da ihm beim Wiederfinden des unglücklichen Va-
ms noch ein anderer süßer Lohn zu winken schien. Um
ach einer unruhigen, fast schlaflosen Nacht hatte
r bald nach dem Morgengrauen sich von seinem La-
Mutter Grab ge
ileichsam den S
den qualvollen Gedanken an diese vernichtete Hoffnung
zu fliehen, trat er nun an das heran, was er stets als
liebender Sohn als die Aufgabe seines Lebens betrachtet
hatte.
Der Abschied von den Seinigen war ein sehr schmerz-
licher, kein Äuge blieb thränenleer; selbst auf die Wetter-
gebräunten Wangen des alten Graham, der so manches
Leid mannhaft getragen, fielen schwere Lrr pfen. Tief be-
wegt ergriff er die Hand seines Enkels und schaute ihn
mit seinen treuen Auge» an.
„Walter, vertraue auf Gott und sei stark!" sagte er
innig. „Was Du heute beweinst, wirst Du vielleicht morgen
als Dein Glück erkennen. Gottes Wege find wunderbar
und er Prüft die, welche er lieb bat. Ich habe cs in mei-
nem Leben erfahren und danke dem Herrn an meinem
Lebensabend, daß er alles fügte, wie eS geschehen. Gehe
getrost und in Frieden, mein Segen begleitet Dich. Aus
Wiedersehen!"
„Auf Wiedersehen ! wiederholten die Frauen, dann noch
ein Händedrücken und rüstigen Schrittes, als wolle er sich
ermannen, schlug er den Weg zum Bahnhofe ein.
Auf der Höhe warf er noch einen schmerzlichen Blick
zurück auf die Stätte seiner Jugend, söine Lippm lispelten
ein letztes Lebewohl und sein Herz bangte bei der Frage:
»Wann und wo werden wir uns Wiedersehen?"
Gegen Abend langte Walter in New Aork an: das
am andern Morgen in der Frühe nach St. Franzisko ab-
gehende Schiff wollte er benutzen. Er suchte zunächst Mr.
Graham auf, nicht in dessen Wohnung, weil er dort Jejfie
zu begegnen fürchtete — er konnte und durfte sie nicht
sehen — sondern er begab sich zum Geschäftsbureau. Mr.
Graham hatte dasselbe vor einer Stunde verlaßen und
Niemand wußte, wohin er sich begeben. Es war Walter
nicht unlieb, denn er hatte nun guten Grund, schriftlich
mitzutheilen, was er vor seiner Abreise noch zu sagen und
zu erklären hatte. Er stehe im Begriffe — so schrieb er mit
zitternder Hand — seine Reise nach Californien anzutreten.
Den Grund, weshalb er seine Abreise möglichst beschleu-
nige, könne Mr. Graham nach den in seinem letzten an
ihn, Walter, gerichteten Briefe gemachten Andeutungen,
über welche er in einem gestrigen Schreiben seines Vetter-
William Bellenger Aufschluß erhalten hätte, vielleicht er-
rathen. Wenn nicht, so wolle er ihm hierdurch freiwillig
bekennen, daß er nicht in New Aork oder in der Umgegend
weilen und zusehen könne, wie ein Mann von dem Charak-
ter William Bellengers das Mädchen heimführe, das er
selber mehr als sein eigen Leben liebe.
„Ich glaube das Geschäft durchaus zu verstehen, das
ich abzuwickeln habe," fügte er am Schluffe hinzu. „Sollten
Sie aber noch spezielle Wünsche und Aufträge für mich
haben, so bitte ich, es mich wissen zu lassen, und Ihre Be-
fehle fallen Pünktlich ausgeführt werden."
Diesen Brief ließ er für Mr. Graham zurück, und als
wieder die ersten Sonnenstrahlen die Berghöhen von
Decrwood beleuchteten, saß Walter bereits auf dem Deck
und lauschte in der Bitterkeit seines Herzens dem melan-
cholischen Gesang der Wellen, die das schwimmende Haus
umwogten.
AIS Jessie an diesem Morgen das ebenso luxuriös als
behagliche Wohnzimmer betrat, in dem sie mit ihrem Baier
das Frühstück einzunehmen pflegte, schritt dieser in sicht-
licher Erregung auf uns ab und schien den kindlich herz-
lichen Morgengruß seiner Tochter ganz zu überhören. Ver-
wundert sah Jessie dem eigenthümltchen Wesen des Vaters
zu und sie war gerade im Begriff, eine theilnehmende
Frage nach der Ursache seiner Aufregung an ihn zu richten,
als er plötzlich vor dem erschreckten Mädchen siegen blieb
und seinen forschenden Blick auf dasselbe richtete.
„Jessie, hat zwischen Dir und Walter Marshall kürz-
lich eine Entzweiung oder eine Auseinandersetzung statt-
gefunden, welche ein Mißverständniß zurücklassen konnte?"
Jessie erröthete; sie wußte nicht, wie sie die unerwar-
tete Frage deuten sollte. Noch kurzem Besinnen erwiderte
sie deshalb ausweichend: „Ist Walter die Ursache Deiner
Erregung, Vater? Hat sich mit Walter etwas zugetragen?
Bitte, laß mich nicht länger im Ungewissen."
^(Fortsetzung folgt).