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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
April 1897
DOI article:
Nr. 93
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0387
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Pfcher Volksblatt

AMderg, WmÄU den 27. AM 1897.

I. MS.

ren andern

' Verantwortlicher Redakteur:
^Joseph Huber in Heidelberg.

M Mutter empfahl sie
nun verlassen sollte-

Für die Monate
Mai und Juni
jktzt schon alle Pofliimler Bestellungen auf
1* täglich erscheinende Zeitung
-Pfälzer Bottsblatt"
der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags-
sowjx unsere Expedition Heidelberg
"^gerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMer Volksblatt".
Heidelberg. Zwingerstraße 7.

ist ohnehin jede wahre Reue au»geschloffcn. Sm
Tage hatte er bereit- herau»gefunden. daß nicht er, st.
der armen Josephine hartherzige Verwandte e- waren,
die sein und ihr Unglück verschuldete». Am dritten Lage
gestand er fitz, daß, da seine Frau von schweren Leiden
befreit sei, ihr Tod hingegen ihm selbst keine« materielle»
Nachthcil bringe, er wohl für alle Theile so am Vesten sein
müsse. LS war ihm immer ein unangenehmer Gedanke ge-
wesen — Gewissensbisse hätten Andere er genannt — die
kranke Frau, mit Entbehrungen kämpfend, sich vocstellen zu
müssen. Da» war nun überwunden. Gin peinlicher Augen-
blick stand ihm noch bevor; er wollte Prcnnberg verlassen,
und niemals sollte der Ort ihn Wiedersehen. (Forts, f.)

hatte aufstelle« lasse«. Der himmlisch
die Fürsorge um da« Kind, das sie
Halb schon einer andere« Welt anaehörend, sprach sie nur
selten «och mit Anna. Ein paar Mal fragte sie nach ihrem
Manne und trug Anna auf, ihm zu sage«, sie wolle bis
zum letzten Augenblick für ihn bete»; habe sie gegen ihn
gefehlt, so möge er ihr verzeihen; sie habe längst Aller
vergeben. Für Sans batte sie immer auf'» Neue Segens-
wünsche ; Anna'» Reise zu ihm, war die einzige irdische
Sorge, die sie noch in Anspruch nahm.
So kam allmählich das Ende. Ein Crucifix in de«
Händen, lag sie regungslos da; Anna, die am Bette kniete,
betete ihr laut vor. Ein Zucken durchbebte die Gestalt der
Mutter. Anna erhob die Augen zu dere« Gesicht: die Ster-
bende hatte die Äugen geöffnet, und mit dem Ausdruck
der innigsten Liebe ruhte ihr Blick zu« letzten Male auf
der Tochter. Langsam schloffen sich die blauen Augen —
Frau von Nsudingen war heimgegangcn. I« Bange er-
tönten laute Schritte: der Baron war auf da» Schreibe»
hin doch gekommen.
Al» Herr von Neudingen die Leiche seiner Frau vor
sich gesehen, war er, von Schrecken ergriffen, zurückgetau-
melt und in laute Klagen ausgebrochen. Er gehörte zu den
rohen Naturen, die birweilen einer echten BefühlSaufwal-
lung fähig sind, ohne jedoch zu nachhaltiger Besserung die
Kraft zu haben-
Bei so maßloser Selbstsucht, wie der Baron sie besaß,
L—ki- ---- zweiten
pudern

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zmingerstraße 7.

kruten an und, in der Absicht, die Psychologie dieses
unvergleichlichen Enthusiasmus zu ergründen, fragte er
ihn: „Wo bist du her?" Er antwortete: „Aus Smyrna.
Ich komme, um meinem Lande zu dienen." „Aber
Smyrna ist nicht Griechenland," erwiderte der Beamte.
„Warum kamst du hierher?" „Um für Griechenland
zu kämpfen." „WaS warst du in Smyrna?" „Ich
war Kaufmann." „Dann war es doch aber thöricht
von dir, her zu kommen und für eine bloße Idee zu
kämpfen!" Kaum hatte dec Hofbeamte dies ausge-
sprochen, da lief der Rekrut zu einigen Soldaten und
diese zusammen gingen auf den Würdenträger zu, dec
sich erst in seinen Wagen flüchtete und dann eiligst
machen mußte, daß er nach Hause kam. Mit Mühe
rettete er sich so vor der Gefahr gelyncht zu werden.
— Eine Dame, deren einer Sohn ein Offizier war,
der unter Oberst Bassos in Kreta gekämpft hat und
dort gefallen ist, hat folgendermaßen an ihren andern
Sohn telegraphirt: »Komm augenblicklich her u. tritt
an die Stelle deines verstorbenen Bruders, gehe als
Freiwilliger nach Thessalien." Uigefähr alle zwei
Stunden bringt eins der vielen Tagesblätter von
Athen eine neue Depesche von einem der verschiedenen
Kriegskorrespondenten über die Wechselfälle des Krie-
ges, worauf dann eine ganze Armee von kleinen Zei-
tungsjungen loSgelassen wird, die von der Druckerei
aus mit einer Hast und grimmiger Entschlossenheit
durch die Straßen jagt, wie Krieger, die in ein feind-
licher Land einbrechen. Wie sie es fertig bringen,
ohne stehen zu bleiben und ohne Worte zu verlieren,
die kleinen Papierfetzen auSzutheilen und die Kupfer-
münzen dafür zu erhaschen, das ist mir schon lange
räthselhaft. Sofort nach diesem Einfall ballt sich die
dichte schwarze Masse neugieriger Menschen zu lauter
Knäueln zusammen, die sich, wenn es dunkel ist, zu
einer Laterne oder einem angezündeten Streichholze
hinbegeben, damit dort der Mann mit der kräftigsten
Stimme laut das Telegramm Vorleser« kann, welcher
von einem vorübergehenden Triumph oder dauernden
Erfolg auf dem fernen Schlachtfeld berichtet. Da er-
fährt einer der Zuhörer seiner Bruders Tod, seiner
Sohnes letzte Worte oder seines Freundes hoffnungs-
lose Lage, da wird ein Offizier, der bekannt und
beliebt ist in Athen und in Griechenland, auf der
Todtenliste genannt, und ein merklicher Schauder ist
sichtbar in der Menge. Bisweilen ist er ein wirkli-
cher Sieg, was der winzige Papierfctzrn verkündet, u.
betäubendes Geschrei erfüllt die ganze Stadt mit solcher
Macht, daß die ehrwürdigen Ruinen droben auf dem
Akropolis herunter zu fallen drohen."

Soldaten. — Der Minister der Aeußeren sagte dem
Berichterstatter: „Europa hat offenbar erwartet, das
der AuSbruch der Feindseligkeiten zwischen Griechen-
land und der Türkei lediglich daS Vorspiel zu einem
militärischen Marsch der türkischen Truppen nach Larissa
sein würde, u. diese Erwartung ist nicht erfüllt, auch
ist nicht das geringste Anzeichen dafür da, daß sie in
Zukunft erfüllt wird. Europa war falsch unterrichtet
in dieser Beziehung." „In dieser Beziehung allein?"
fragte ich, den Minister unterbrechend. Herr SkuseS
lächelte bedeutungsvoll, fuhr aber, ohne auf meine
Frage zu antworten, weiter fort: „Unsere Truppen
haben Europa in Erstaunen gesetzt und das Vertrauen
gerechtfertigt, das wir in ihren Muth und ihre Aus-
dauer gesetzt hatten, aber wir hofften, daß es nicht
zu dieser Probe kommen würde, denn wir thaten un-
ser Bester den Krieg zu vermeiden. Nicht nur haben
sich unsere Soldaten nach viertägigem ununterbro-
chenem Kampfe mannhaft gehalten, sondern sie kämpf-
ten auch wieder in diesem Augenblick auf türkischem
Boden bei Reveni und Bonghazi, und die eben ein-
getroffenen Nachrichten sind in gleicher Weise ermu-
thigend." Der Korrespondent bemerkt, daß der En-
thusiasmus im Volke ein ganz ungewöhnlicher sei.
„Minister, Beamte, Staatswürdenträger," so schreibt er,
„eilen in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die
Straßen, fahren zum Telegraphenamt, zum Palais,
oder zum KabinetSrath; oft essen, trinken und schla-
fe» sie 24 Stunden hintereinander nicht, nur eine
Cigarre rauchen sie gelegentlich. So verbrachte, wie
ich weiß, der Marineminister 32 Stunden nach ein-
ander ohne Schlaf und fuhr in der Zeit achtmal
zum PiräuS. Um eiu Uhr oder zwei Uhr Morgens
sind sie noch in ihren Bureaux hart an der Arbeit.
Vom Morgen bis in die Nacht hinein kommen end-
lose Züge von Männern, Burschen und Knaben, die
als Soldaten dienen wollen, von allen Enden der
W<lt an, sie marschiren die Straßen entlang mit grie-
chischen Fahnen, vor denen jeder Vorübergehende
respektvoll den Hut zieht. DaS Marine- und das
Kriegsministerium sind voll von diesen Hunderten, ja
tausenden von Ausgehobenen, Rekruten und Frei-
willigen, die auf ihre Uniformen und den Marschbe-
fehl warten. Eiu junger Spartaner sagte mir, er sei
von Florida hergekommen. Ein anderer Bursche, der
aur Korinth gebürtig ist, kam eben aus Sydney an.
Tausende sind von Rußland gekommen; alle haben
ihre Stellung, ihre Freunde und die Aussicht auf ver-
hältnißmäßigen Wohlstand aufgegeben. In den letzten
Tagen hielt ein höherer Hofbeamter einen dieser Re-
Kinder! Einer Mutter fällt e» immer schwer, von den
Kmdern zu gehe». Han» und Anna . . Ihre Stimme
erstarb.
.Die Geschwister werden einander gegenseitig stützen,
gnädig; Frau," sagte der Hofrath, »m die Mutter zu be-
r»higen. Seine Stimme zitterte aber, al» er diese Worte
autsprach und dabei denken mußte, wie jene Stütze Anna
bereils entrissen sei.
„Nicht wahr?" sagte die Kranke leise, und ein seliger
Lächeln verklärte ihre edlen, nun so scharf ausgeprägten
Züge. .O, ja! An Han» findet Nnua einen treuen Be-
schützer ; aber wie sehr bedarf sie auch seiner!' fügte sie
schmerzlich hinzu- .Auf Erden hat sie nur ihn; ihn und
Sie - - . und Sie!" Mühsam erhob sie die Augenlider
und blickte den Hosratd flehend an. „Nicht wahr, Sie ver-
lassen mein Kind nicht?" bat sie . . . „Bott wird ihr hel-
fen, ich vertraue auf Ihn, Ihn und SieI . . . Ihnen em-
pfehle ich Anna, bis sie in den Schutz ihrer Bruders ge-
langt ist."
„Was ich für Fränlein Anna zu thun im Stande
bin, werde ich jederzeit thun!" stammelte der Hofrath, des-
sen weiches Gewüth tief ergriffen war von dem Abschied.
„Darauf können Eie zählen, gnädige Frau!"
Wieder flog ein Fceudenstrahl über dar bleiche Gesicht
der Kranken. „Gott segne Sie für dieser Wort! Er segne
Sie und die Ihrigen ... Sie nehmen sich der Verlassenen
an . . - Gott lohne es Ihnen I" flüsterte sie so schwach,
daß die ersterbende Stimme kaum mehr vernehmbar war.
Sie bemühle sich, die kraftlose Hand zu erhebe», um sie
ihm zu reichen — müde sank sie zurück.
Ehrerbietig führte der alte Mann die bleiche Hand an
seine Lippen und legte sie dann sanft auf die Decke nieder.
Dann ging er still au» dem Zimmer. Er sollte Fran von
Neudingen nur auf dem Todtenbett Wiedersehen. Die An-
fälle, denen sie unterworfen war, wurden immer häufiger.
War sie bei Bewußtsein, so lag sie mit gefalteten Händen
in stillem Gebete da, und Niemand fand «ehr Einlaß, als
der Beichtvater. Schlug sie die Augen auf, so heftete sie
dieselben mit stummer Bitte auf daS MuttergotteSbild der
immerwährenden Hülfe, da» sie am Fußende ihre» Bette» i

ichrirrt täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
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Der türkisch-griechische Krieg.
Rn Mitarbeiter des „Daily Telegraph" aus
8i,ix " meldet, daß der König ihn in besonderer
hj*"nz empfangen habe, daß er auch Unterredungen
d t dem Ministerpräsidenten DelyjanniS, und au-
- fk» hervorragenden Rathgeberv der Krone, gehabt
Mk- Der König bedauerte tief die Haltung, die in
dew Augenblick daS „christliche Europa" gegenüber
,christlichen Griechenland" angenommen habe,
bk, ächte Sympathie, wo und wie sie auch em-
jMen werde, sichtbare Gestalt annehmen sollte. DaS
»Freundschaft," von dem man in Europa und
», Welt soviel höre, sei nutzlos und mehr als nutzlos.
die praktische Frage übergehend, wer für den
i.^druch der Feindseligkeiten moralisch verantwortlich
hob der König mit großem Nachdruck hervor,
^tatsächlich die Türken den Krieg begonnen hätten,
s.,Adkm sie ihn eine Zeit lang zu provociren ver-
-An. Ein unglücklicher Zustand wäre eS ohne
gewesen, daß die beiderseitige Grenze durch
„ «trales Gebiet getrennt gewesen sei, dessen Occupa-
Lid eine Versuchung war, der die Türken nicht wider-
konnten. Die Griechen hätten die triftigsten
j Ade dafür gehabt, sich nicht von ihrer rein beo-
h-Anden Haltung zu entfernen, und sie hätten
^Aaus dem entsprechend gehandelt. ES sei keine
ß^?uptung, sondern, wie eS auch DelyjanniS am 18.
M der Kammer erklärte, eine feststehende That-
qa»' die Türken die Feindseligkeiten auf der
fter » Arm begannen. Der König sprach in Höch-
^^Anerkennung von der heldenhaften Haltung seiner
Novelle von L. v- Neid egg.
Uebermaß de» Schmerze» hatte Anna wie ver-
kr- Nun fielen diese mitleidigen Worte wie wohlthä-
-HL, Thau auf ihr Herz und brachten ihr Linderung;
schwere Thränen perlte» ihr langsam au» den Augen,
«ür ff r nen Sie nur, Fräulein Anna. Weinen Sie sich
öeit, der Hofrath und ging an das Fenster, um rbr
M L lasten, ihres Kummers Herr zu werden. Al» sie
W.Mm«elt hatte, fragte er: „W'e ist e» ? Weiß Ihre
"A schon um daS neue Unglück?"
w," erwiderte Anna; „nein, und sie soll auch nicht»
W 7. erfahren. Bald wird sie mit Han» vereint sein, —
Hw-V. 'dr vorangegangen ist, vermöchte sie also nicht zn
W Uen. Aber die liebe Mutter hat niemal» an sich selbst,
Hy Mer nur an Andere gedacht, e» würde ihr da» Ster-
Mg-hlveren, müßte sie denken, ich . . . bliebe . . . allein
Üy sAe sind eine seltene Tochter!' sagte der Hofrath
dr», ,;kkkt. Er bewunderte da» Mädchen, da» mitten in
° tiefen Schmerze selbstlos sich ganz vergaß,
h,Zimmer der Kranken ertönte leise die Klingel.
kllz «".lte hinein, der alte Herr blieb im Gange stehen.
°as Krankenzimmer eintrat, wandte Frau von
"'Nen ihr da» Gesicht zu und lächelte sie an.
c- bin au» einem erquickenden Schlafe erwacht!
Hj»»r^ue. „Wie immer beim Erwachen, wäre» mein erster
nÄr !"'tn Annchen zu sehen. Bist Du allein? Habe
It «ne Stimme auf dem Gange gehört?'
iü oute Hofrath ist hier, um nach Deinem Befinden
Ä'"/ liebe Mutter," antwortete Anna.
hitdkvr 'ähre ibn doch herein. Wer weiß, ob ich mich ie
hü wohl fühle, wie in diesem Augenblick. Ich möchte
W. ?""al sehe«, den lieben Freund!'
vü dqz R trat der alte Herr in da» Zimmer und setzte sich
K «ett.
hikü',^,Ä'Gott, lieber Hofcath!" sagte sie mit der klang-
st. rächenden Stimme der Sterbenden. „Die Erlösung
würde sie freudig begrüße«, wäre« nicht die
 
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