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Verein Historisches Museum der Pfalz [Editor]; Historischer Verein der Pfalz [Editor]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 3.1886

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Nr. 2 (15. Februar 1886)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29788#0010
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10

Der Küster von Attenöurg.
Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Friedrich Günther.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
Sahst Du schon bisweilen, wie der Sturm plötzlich den
reinen Himmel niit finstern, blitzenden Gewitterwolken umhüllte?
Sind sie vorübergezogen, oft ebenso schnell steht die Natur
wieder erheitert von glänzendem Sonnenschein.
Die gute Alte horchte hoch auf; dann mußte sie, zitternd
vor freudiger Aufregung, sich niedersetzen. Ihre Lippen be-
wegten sich leise, und aus ihrer Brust stieg ein inniges Dank-
gebet zu dem Allgütigen empor, durch dessen Gnade sie den
höchsten Wunsch ihrer Seele der Erfüllung nahe sah. Sie sollte
es noch erleben, daß ihr August ehrenvoll versorgt war. — Es
gibt auf der ganzen Erde kein höheres und kein reineres Ent-
zücken, als die Freude eines Mutterherzens über das Glück des
geliebten Kindes! „Anna! Anna!" rief nach einiger Zeit die
Witwe.
„Laß sie, Mutter!" eutgegnete der Sohn. „Sie weiß
schon alles."
Anna war während der Mitteilung Augusts in das an-
stoßende Kämmerchen gegangen und kam jetzt, völlig angekleioet,
in die Stube zurück. Ihr Auge war noch immer von Theänen
umdüstert, ihre Miene war traurig und sie erbat sich von der
Muhme die Erlaubnis, eine Freundin in der Nachbarschaft ans
ein Stündchen zu besuchen. Es wurde ihr, wiewohl nicht ohne
Verwunderung der Greisin, verstattet, und Blutter und Sohn
besprachen sich nun in still heiterer Stimmung über hundert ver-
schiedene Gegenstände, die in dem kurzen Zeiträume von vier
Wochen eiugekauft und verfertigt werden mußten. So rückte
die zehnte Stunde des Abends heran und August sah sich ge-
zwungen, in seine Wohnung zum Küster zurückzutehren, besonders
da er für den Gottesdienst des nächsten Tages noch mehreres
zu besorgen hatte.
Vor dem Hause, in welchem Anna bei ihrer Freundin sich
befand, blieb er einige Minuten stehen; er hätte das Mädchen,
dem er von ganzer Seele zugethan war, so gern noch einmal
gesprochen. Siehe, da trat sie auf die Straße hinaus, und
August ging auf sie zu. „Liebe Anna!" redete er sie entschlossen
an, „ich habe meine Neigung Dir offen gestanden. O laß mich
nicht lange in peinlicher Ungewißheit über meine Zukunft und
vollende, wenn ich Deiner Liebe nicht unwert Dir erscheine,
vollende mein Glück!"
Die Jungfrau schwieg einige Zeit und ersuchte ihn dann,
sich nochmals alles recht ruhig zu überlegeu, bevor er einen so
wichtigen Entschluß fasse, und sein Leben an ein unbedeutendes,
armes, verwaistes Mädchen kette, das ihn bis jetzt wie einen
Bruder angesehen habe. Aber der rasche, feurige Jüngling drängte
immer heftiger: „Was hätte ich wohl noch zu überlegen! Dein
ganzes Wesen ist meinen: Auge so klar, wie ein ungetrübtes
Bächlein, durch das ich hinabschaue bis in das Tiefste Deines
Gemütes. Und auch ich kann Dir nicht fremd sein; Du kennst
meine guten und meine schlimmen Seiten und nun auch meine
innige Liebe, die ich bisher verschlossen in mir getragen habe.
Warum sollte ich also zögern, meinem lange gehegten Wunsche
Worte zu gebeu und Dir zu sagen: Anna, ich kann Dir ein
sorgenfreies Leben bereiten, werde mein! Du sollst es nie, nie
bereuen!"
Ohne daran zu denken, war Anna Augusts Begleiterin ge-
worden auf dem Wege in die Stadt, lauschend auf die warme

Sprache seines Herzens und versunken in die flutenden Ge-
fühle ihrer eigenen Brust. So kamen sie in die Nähe der St.
Bartholomäi-Kirche, die in der Mitte Altenburgs gelegen ist.
„Entscheide über mich, liebe Anna! Hier muß ich mich
vou Dir trennen, um in der Kirche noch etliche Geschäfte zu ver-
richten. Du weinst? Kannst Du mir denn nicht ein einziges
Hoffnung weckendes Wort geben, daß ich, Dein Bild vor Augen,
zu süßen Träumen entschlummere?
.Heute nicht, August, vielleicht morgen! Bevor ich mit
Deiner Mutter gesprochen habe, darf ich Dir keine Antwort
sagen. Es wäre ungerecht! — Gute Nacht!"
Wie ein gescheuchtes Reh flog die Jungfrau um die Kirche
herum und der Heimat wieder zu. Es schlug zehn Uhr. Die
Lichter verlöschten ringsum in den Häusern, nur die ewigen
Lichter des Himmels flimmerten hell und mild. Anna fühlte
sich in den menschenleeren Straßen so einsam, und in ihrer
Brust regten sich Furcht und Grauen. Immer schneller ward
ihr Schritt. In einem engen Gäßchen, das sie nicht vermeiden
konnte, vernahm sic starke Fußtritte. Sie blieb stehen und
drückte sich ängstlich an eine Hausthür an, denn aus dem
heftigen Ausstößen des Stockes auf das Pflaster schloß sie,
daß Meister Schmidt es sein müsse, welcher desselben Weges
daherkam. Ter Mann ging rasch vorüber, ohne sie zu bemerken;
aber es war seine Gestalt und sie war fest überzeugt, ihren Wirt
erkannt zu haben. Ein paar Minuten blickte sie deshalb ihm
nach, denn er war von Kopf bis zu Fuß anders gekleidet als
gewöhnlich; doch sein wankender Gang bestärkte sie in ihrem
Glauben. Endlich schlug er die Richtung nach der Kirche hin
ein und entschwand ihren Angen. Sie eilte weiter, aber bange
Sorge belastete ihre Brust. Wenn es der Himmel nur ver-
hütet, daß der böse, betrunkene Mann mit August zusammen-
trifft' Es könnte ein Unglück entstehen! Mit diesem Wunsche
kam Anna zuhause an; Meister Schmidt schien wirklich aus-
gegangen zu sein.
Sie fand die Pflegemutter noch wach und in ungewöhn-
licher Aufregung, indes konnte sie das nach den Ereignissen'des
Tages nicht gerade befremden. Die Brust war Anna zum Zer-
springen voll, aber sie fand keinen passenden Eingang zu dem,
was sie der teilnehmenden Witwe vertrauen wollte.
„Es wird doch August kein Unglück zugestoßen sein!" unter-
brach endlich, nicht ohne sichtbare Unruhe, Frau Liebert das
Schweigen, als sie in die Kammer sich begeben wollte.
„Warum dies, liebe Muhme?"
Daraus erzählte die Witwe: „Ich saß eben erschöpft und
angegriffen dort am Fenster, und die Augen waren mir zuge-
fallen, so daß ich das Erlöschen des Lämpchens nicht einmal be-
merkt hatte. Da fuhr plötzlich ein Heller Strahl, blendend wie
ein Blitz, durch die Stube und an der Wand dahin, und mir
war es, als ob mein Sohn einen tiefen Wehelaut ausstieße uud
jammernd nm Hilfe riefe. Schilt mich nicht abergläubisch, Anua!
Ich habe in meinem Leben schon manche wunderbare Erfahrung
gemacht, und die Liebe einer Mutter und ihres Kindes, das
geistige Band zweier recht innig ineinander lebenden Seelen hat
vieles Geheimnisvolle, das aller Erklärung des blöden Ver-
standes spottet. Doch vertraue ich aus den Allmächtigen, der
über uns walteck."
Das schon vor der Heimkehr geängstigte Mädchen erschrak
anfangs nicht wenig über diese Erzählung, doch tröstete sie die
Greisin bald, indem sie ihr einen solchen Traum als die natür-
liche Folge der heutigen teils schmerzlichen, teils freudigen Be-
 
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