Ermessensausübung. Dies erscheint umso unerträglicher, als die Zustän-
digkeit wegen ihrer Relevanz für das Kollisions- und (damit mittelbar
auch das) Sachrecht präjudiziell für den Prozeßausgang sein kann. Wie
wir uns grundsätzlich zum Problem des forum shopping stellen, kann
einstweilen offen bleiben61; rechtsstaatlich unerträglich wird es jeden-
falls, wenn die materiellrechtliche Durchsetzung eines bestimmten An-
spruchs vom wohlmeinenden Ermessen eines Gerichts abhängt62.
2. Ermessen in der amerikanischen Praxis der forum non conveniens-
Doktrin
Unvereinbar mit dem Justizanspruch ist es somit, wenn das Gericht bei
der Bestimmung seiner Zuständigkeit nicht, und sei es durch unbe-
stimmte Rechtsbegriffe, rechtlich gebunden ist, sondern nach seinem Er-
messen entscheiden kann. Die Übernahme des amerikanischen Vorbilds
wäre also dann ausgeschlossen, wenn den Gerichten dort echtes Zustän-
digkeitsermessen eingeräumt ist. Dies könnte man ohne weiteres beja-
hen, wenn man lediglich darauf abstellen würde, daß in der amerikani-
schen Diskussion die zuständigkeitsrechtlichen Befugnisse des Gerichts
nach der forum non conveniens-Lehre durch den Begriff „discretion“
umschrieben wären63. Zwar wäre es zwar sprachlich korrekt, „discre-
tion“ mit Ermessen zu übersetzen. Doch daraus schlicht den Schluß zu
ziehen, mit solchem Inhalt könne die Übernahme der Doktrin nicht
zulässig sein, wäre übereilt. Denn teilweise wird im amerikanischen
Sprachgebrauch zwischen „discretion in a stronger sense“, echtem Er-
messen, und „discretion in a weeker sense“, bei dem es lediglich um die
Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geht, unterschieden64.
Dies gilt umso mehr, wenn man einen Blick auf die in Rechtsprechung
und Literatur gängige Umschreibung wirft. „Discretion“ darf danach
nicht willkürlich oder böswillig ausgeübt werden, sondern vielmehr
61 Bis unten § 9 E II.
62 Dow Chemical v. Castro Alfaro (J. Dogget, conc.), 786 S.W.2d 674 (682).
« GulfOilv. Gilbert, 330 U.S. 501 (508), 67 S.Ct. 830, 91 L.Ed 1055; Piper Aircraft v.
Reyno, 454 U.S. 235 (257), 102 S.Ct. 252, 70 L.Ed.2d 419; In re Union Carbide, 809 F.2d
195 (202); Baer, 37 Stanf.L.Rev. (1984), 155 (170); Berger, RabelsZ 37 (1977), 39 (50);
Bickel, 35 Cornell L.Q. (1949); Brilmayer, Jurisdiction, S. 148; Ehrenzweig, Conflicts, §§
34 ff., S. 121 ff.; Friendly, 31 Emory LJ. (1982), 747 ff.;James/Hazard, Civil Procedure, §
2.20, S. 186; Janis, International Law, S. 254; ders., NILR 34 (1987), 192 (204); Robertson,
103 L.Q.Rev. (1987), 398 f.; Scoles/Hay, § 11.9, S. 374; Siegel, Conflicts, S. 151.
64 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 31 ff..
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digkeit wegen ihrer Relevanz für das Kollisions- und (damit mittelbar
auch das) Sachrecht präjudiziell für den Prozeßausgang sein kann. Wie
wir uns grundsätzlich zum Problem des forum shopping stellen, kann
einstweilen offen bleiben61; rechtsstaatlich unerträglich wird es jeden-
falls, wenn die materiellrechtliche Durchsetzung eines bestimmten An-
spruchs vom wohlmeinenden Ermessen eines Gerichts abhängt62.
2. Ermessen in der amerikanischen Praxis der forum non conveniens-
Doktrin
Unvereinbar mit dem Justizanspruch ist es somit, wenn das Gericht bei
der Bestimmung seiner Zuständigkeit nicht, und sei es durch unbe-
stimmte Rechtsbegriffe, rechtlich gebunden ist, sondern nach seinem Er-
messen entscheiden kann. Die Übernahme des amerikanischen Vorbilds
wäre also dann ausgeschlossen, wenn den Gerichten dort echtes Zustän-
digkeitsermessen eingeräumt ist. Dies könnte man ohne weiteres beja-
hen, wenn man lediglich darauf abstellen würde, daß in der amerikani-
schen Diskussion die zuständigkeitsrechtlichen Befugnisse des Gerichts
nach der forum non conveniens-Lehre durch den Begriff „discretion“
umschrieben wären63. Zwar wäre es zwar sprachlich korrekt, „discre-
tion“ mit Ermessen zu übersetzen. Doch daraus schlicht den Schluß zu
ziehen, mit solchem Inhalt könne die Übernahme der Doktrin nicht
zulässig sein, wäre übereilt. Denn teilweise wird im amerikanischen
Sprachgebrauch zwischen „discretion in a stronger sense“, echtem Er-
messen, und „discretion in a weeker sense“, bei dem es lediglich um die
Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geht, unterschieden64.
Dies gilt umso mehr, wenn man einen Blick auf die in Rechtsprechung
und Literatur gängige Umschreibung wirft. „Discretion“ darf danach
nicht willkürlich oder böswillig ausgeübt werden, sondern vielmehr
61 Bis unten § 9 E II.
62 Dow Chemical v. Castro Alfaro (J. Dogget, conc.), 786 S.W.2d 674 (682).
« GulfOilv. Gilbert, 330 U.S. 501 (508), 67 S.Ct. 830, 91 L.Ed 1055; Piper Aircraft v.
Reyno, 454 U.S. 235 (257), 102 S.Ct. 252, 70 L.Ed.2d 419; In re Union Carbide, 809 F.2d
195 (202); Baer, 37 Stanf.L.Rev. (1984), 155 (170); Berger, RabelsZ 37 (1977), 39 (50);
Bickel, 35 Cornell L.Q. (1949); Brilmayer, Jurisdiction, S. 148; Ehrenzweig, Conflicts, §§
34 ff., S. 121 ff.; Friendly, 31 Emory LJ. (1982), 747 ff.;James/Hazard, Civil Procedure, §
2.20, S. 186; Janis, International Law, S. 254; ders., NILR 34 (1987), 192 (204); Robertson,
103 L.Q.Rev. (1987), 398 f.; Scoles/Hay, § 11.9, S. 374; Siegel, Conflicts, S. 151.
64 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 31 ff..
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