Künstler von der Kamera interviewt
Miszellaneität zu reduzieren und den Inhalt nach einem anderen Relevanzkriterium
als schlichter Aktualität zu filtern.95 Im Gegensatz zu den auf biografische Einheiten
von Foto und Text konzentrierten Lieferungswerke, passen die miszellanen Inhalte,
die in einer Zeitschrift Porträts, Biografien und Interviews umgeben, nicht zum Vor-
haben, eine möglichst buchähnliche Galerie zu erstellen, die man in gebundener Form
ins Regal stellen kann.96 Aufgrund des großen Erfolges bearbeitet der Strand diesen
Mangel nachträglich, indem er 1893 eine Auswahl der Illustrated Interviews aus der
Zeitschrift herausgreift, den fürs Journal charakteristischen Spaltensatz tilgt und das
Ganze im eigenen Verlag als Sammelband herausbringt. An den Bildern hat sich nichts
verändert, doch hat sich ihre Wertigkeit und Gedächtnishaftigkeit gewandelt.
In der radikalen Zeitgenossenschaft liegt vielleicht der größte Unterschied zwischen
den Porträts, die im Lieferungswerk und in der Zeitschrift erscheinen. Auch die Lie-
ferungswerke tragen Titel, die einen Bezug auf die Gegenwart für sich reklamieren:
Men and Women of the Day, La Galerie des contemporains, Deutsche Zeitgenossen etc 97
Anders als bei der Zeitschrift steht hier das Endziel der Buchform dafür, zur künftigen
Referenz ein bildliches Archiv von Zeitgenossen aufzubauen. Diese Idee spricht aus
einem Zitat, mit dem der Fotokritiker Ernest Lacan im Jahr 1859 begrüßt, dass im
Zeitalter der Carte de Visite erstmals alle Celebrities, „tels qu'ils sont", in objektiver,
fotografischer Form umgreifend porträtiert werden: „Faisons done sans parcimonie
les provisions de l'immortalite, et construisons la galerie des contemporains pour
servir d'antichambre au Pantheon".98 Die fotografische Dokumentation der Lebenden
ist eine Vorstufe zum Pantheon, in das die berühmten Zeitgenossen frühestens dann
einziehen können, wenn man sie nicht mehr ,nach dem Leben' porträtieren kann.
Die in Zeitschriften abgedruckten Portraits der celebrites mögen dazu beitragen, die
Personen aktuell im Gespräch zu halten, als Vorzimmer des Pantheons taugen sie da-
gegen weniger, weil sie, bevor der Einzug ins Pantheon anstehen kann, vermutlich
längst weggeworfen wurden. Das Medienformat der Zeitschrift transformiert die
Zeitform und Betrachtung von Porträts insofern gravierend. Auch das künstlerisch
ambitionierteste Bild kann nicht verhindern, in die periodische Logik des Publikati-
onsmediums hineingezogen zu werden.
Die vorhergehenden Analysen gingen von einem konkreten Künstlerporträt aus,
um von dort einen Ausschnitt der diversen Konstellationen zu erschließen, die sich
durch die Veröffentlichung des Bildes in der Zeitschrift auftun. Dabei waren mehrere
Schichten - vom Bild auf der Seite, im Artikel, in der Nummer bis hin zum seriellen
Lauf der Zeitschrift - zu rekonstruieren, die aufzeigen, dass sich Bedeutung, Materialität
und Funktion des Bildes nur begrenzt an ihm selbst ablesen lassen. Unter den vielen
Präsentationskontexten, in denen Porträts erscheinen, ist die Zeitschrift zweifelsohne
ein besonders komplexer und vielschichtiger. Als der wohl wichtigste, auf jeden Fall
bis weit ins 20. Jahrhundert hinein reichweitenstärkste Ort, in dem Künstlerporträts
erscheinen, fordert das Medienformat der Zeitschrift die Erforschung der in ihm auf-
tauchenden Bilder heraus. Daher gilt es, sich ausführlich mit den mehrfach geschichteten
Konstellationen auseinandersetzen, in die periodische Medienformate Bilder einrücken
- auch wenn der Umweg zum Künstlerporträt ein durchaus langer sein kann.
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Miszellaneität zu reduzieren und den Inhalt nach einem anderen Relevanzkriterium
als schlichter Aktualität zu filtern.95 Im Gegensatz zu den auf biografische Einheiten
von Foto und Text konzentrierten Lieferungswerke, passen die miszellanen Inhalte,
die in einer Zeitschrift Porträts, Biografien und Interviews umgeben, nicht zum Vor-
haben, eine möglichst buchähnliche Galerie zu erstellen, die man in gebundener Form
ins Regal stellen kann.96 Aufgrund des großen Erfolges bearbeitet der Strand diesen
Mangel nachträglich, indem er 1893 eine Auswahl der Illustrated Interviews aus der
Zeitschrift herausgreift, den fürs Journal charakteristischen Spaltensatz tilgt und das
Ganze im eigenen Verlag als Sammelband herausbringt. An den Bildern hat sich nichts
verändert, doch hat sich ihre Wertigkeit und Gedächtnishaftigkeit gewandelt.
In der radikalen Zeitgenossenschaft liegt vielleicht der größte Unterschied zwischen
den Porträts, die im Lieferungswerk und in der Zeitschrift erscheinen. Auch die Lie-
ferungswerke tragen Titel, die einen Bezug auf die Gegenwart für sich reklamieren:
Men and Women of the Day, La Galerie des contemporains, Deutsche Zeitgenossen etc 97
Anders als bei der Zeitschrift steht hier das Endziel der Buchform dafür, zur künftigen
Referenz ein bildliches Archiv von Zeitgenossen aufzubauen. Diese Idee spricht aus
einem Zitat, mit dem der Fotokritiker Ernest Lacan im Jahr 1859 begrüßt, dass im
Zeitalter der Carte de Visite erstmals alle Celebrities, „tels qu'ils sont", in objektiver,
fotografischer Form umgreifend porträtiert werden: „Faisons done sans parcimonie
les provisions de l'immortalite, et construisons la galerie des contemporains pour
servir d'antichambre au Pantheon".98 Die fotografische Dokumentation der Lebenden
ist eine Vorstufe zum Pantheon, in das die berühmten Zeitgenossen frühestens dann
einziehen können, wenn man sie nicht mehr ,nach dem Leben' porträtieren kann.
Die in Zeitschriften abgedruckten Portraits der celebrites mögen dazu beitragen, die
Personen aktuell im Gespräch zu halten, als Vorzimmer des Pantheons taugen sie da-
gegen weniger, weil sie, bevor der Einzug ins Pantheon anstehen kann, vermutlich
längst weggeworfen wurden. Das Medienformat der Zeitschrift transformiert die
Zeitform und Betrachtung von Porträts insofern gravierend. Auch das künstlerisch
ambitionierteste Bild kann nicht verhindern, in die periodische Logik des Publikati-
onsmediums hineingezogen zu werden.
Die vorhergehenden Analysen gingen von einem konkreten Künstlerporträt aus,
um von dort einen Ausschnitt der diversen Konstellationen zu erschließen, die sich
durch die Veröffentlichung des Bildes in der Zeitschrift auftun. Dabei waren mehrere
Schichten - vom Bild auf der Seite, im Artikel, in der Nummer bis hin zum seriellen
Lauf der Zeitschrift - zu rekonstruieren, die aufzeigen, dass sich Bedeutung, Materialität
und Funktion des Bildes nur begrenzt an ihm selbst ablesen lassen. Unter den vielen
Präsentationskontexten, in denen Porträts erscheinen, ist die Zeitschrift zweifelsohne
ein besonders komplexer und vielschichtiger. Als der wohl wichtigste, auf jeden Fall
bis weit ins 20. Jahrhundert hinein reichweitenstärkste Ort, in dem Künstlerporträts
erscheinen, fordert das Medienformat der Zeitschrift die Erforschung der in ihm auf-
tauchenden Bilder heraus. Daher gilt es, sich ausführlich mit den mehrfach geschichteten
Konstellationen auseinandersetzen, in die periodische Medienformate Bilder einrücken
- auch wenn der Umweg zum Künstlerporträt ein durchaus langer sein kann.
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