Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pinder, Wilhelm
Die Pietà — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 29: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.59320#0008
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
dingungen — mehr nicht. Nur das Abendland, dieses
Mal unter deutscher Führung, hat den dichterischen
Traum bis zur Klarheit plastischer Vision gesteigert.
Die heiße Vergegenwärtigung der Passion und die Ver-
senkung in Maria mußten sich kreuzen, ihn zu er-
zeugen. Die Zeit der ersten Kreuzzüge leitete die Pietä-
Dichtung ein, mit den „Marienklagen“, ursprünglich
gesungenen Monologen, ohne Wendung an das Auge.
Der Wunsch der Gottesmutter nach der letzten Lieb-
kosung, wie ihn die Sequenz „Planctus ante nescia“
und eine niederrheinische Nachdichtung ergreifend ge-
formt, erweiterte sich zur Erfüllung in der Prosadich-
tung, voran dem „Tractatus de Planctu“. Nur in der
Dichtung zunächst. Das 13. Jahrhundert, männlich und
voll verborgener Antike, widersetzte sich noch der pla-
stischen Versinnlichung der düsteren Gefühlspoesie.
Was das Zwölfte vorgeformt, machte erst das Vier-
zehnte sichtbar. Die deutsche Mariendichtung zeigt,
wie der Dichter, immer deutlicher fühlend, auch immer
deutlicher sah, bis gegen 1300 das innere Bild voll-
kommene Klarheit erlangte. Genau damals wurde es
aus der Sphäre des Wortes in die Welt des Tastbaren
gehoben. Die Kreuzabnahme hatte man längst gekannt,
die Gesamtszene der Beweinung war schon an der Pi-
stoieser Kanzel Fra Guiglielmos gegen 1270 dargestellt.
In Deutschland aber wurde gleichsam der Mutterschmerz
einsam auf einen Thron gehoben. Das lyrische Wort
wurde Bildwerk. Das geistliche Schauspiel hatte nichts
dazu getan. Dem Lyriker und Epiker war der Pla-
stiker, diesem erst der Regisseur gefolgt.
Das heroische Zeitalter der Pieta begann mit einer
großartigen Vision, einer plastischen, wie das der mo-
nologische Charakter bedingte. Von jener ältesten Pieta
können wir uns immerhin durch erhaltene Werke des
14. Jahrhunderts ein Bild machen. Auf zwei Wegen
scheint ihr Eindruck gewandert zu sein; sie entsprechen

4
 
Annotationen