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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (1. Teil) — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion m.b.H., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.55159#0130
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DIE MADONNA AUF DER MONDSICHEL

Über frühe Mantelmadonnen auf Bildern: Eber, Zeitschr. f. christl. Kunst, XXVI, Sp. 349. Das frühe Glas-
gemälde des Freiburger Münsters bei Krebs, a. a. O. — Über die Zwiefaltener: Pfeffer, ebenda, XXXII, H. 3,
S. 37ff. Maria im Wochenbett bei Baum, a. a. 0. und Feigel, S. Anna im Wochenbett. Straubinger Rosen-
strauch-Madonna: Halm, Bildertafeln d. bayr. Nat. Mus., 1. Folge, H. 1, 1921. Über die visionären Frauen u. A.
Krebs, Die Mystik in Adelhausen, Freiburg 1904. Leben heiliger allemannischer Frauen im Mittelalter, 5. Die
Nonnen von S. Katharinental bei Diessenhofen, ed. Bidinger „Allemannia“, 1887. — Der geschickten Darstellung
bei Baum fühlt sich der Verfasser verpflichtet.
Die Schutzmantelmadonna ist ein typisches Beispiel für den Geist des Beziehungsreichtums.
Als Andachtsbild ist sie Ziel und Ende sehnsüchtiger Bewegungen durch den Raum hindurch,
die in den Schutzbefohlenen sich symbolisieren, unbekümmert um die tatsächliche Unmöglichkeit
des Maßstäblichen, als Wunder hier gemeint, tief anders als die ritterliche Königin des 13. Jahr-
hunderts, nicht nur heilige Person, sondern heiliger Raum. Raumbeziehung in einem anderen
Sinne drücken auch alle die „spätgotischen“ Madonnen der kommenden Zeit aus, die über einer
Mondsichel erscheinen. Der Gedanke ist unstatuarisch, er ist im Grunde malerisch; das Stehen
wird Schweben und Gehobensein. Das konnte vor dem 14. Jahrhundert in der Plastik nicht ge-
wollt werden — wieder ist es schon in ihm geschehen, zum mindesten vorbereitet. Die Quelle
der Vorstellung ist die Apokalypse: „Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib
mit der Sonne bekleidet und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupte eine Krone von
12 Sternen“ (Apokalypse 12, 1). „Maria auf dem Monde“ ist also „Maria in der Sonne“. Zwölf
Strahlen von Sternen umgeben ihr Haupt. Das Geisterhafte, Vag-Räumliche und im Kerne Un-
plastische der orientalischen Vision mußte erst wieder seinen langen Weg durch die denkende
Phantasie machen, ehe es das bildend-künstlerische und gar das plastische Empfinden dünnwandig
genug fand, um eindringen zu können. Man dichtete das grandios Geträumte in eine Geschichte
um: eine Sibylle habe an der späteren Stelle von Ara Coeli zu Rom dem Augustus die Madonna
gezeigt —strahlend im Glanze der Sonne. Wieder scheint das 12. Jahrhundert einen neuen Schritt
getan zu haben, es hat für die Fläche das Bild sichtbar gemacht. Der „Hortus Deliciarum“ der
Herrad von Landsberg gibt Maria auf dem Monde stehend; unter ihren Füßen (noch im Stile
der „Hängefiguren“, wie sie die Plastik von Arles und Chartres zeigt) schwingt sich die Mondsichel
herauf. Löwe und Drache ringeln sich zu ihren Füßen. Die Sonne als Flachscheibe steigt über der
(oben zum Kreise geschlossenen) Mondsichel bis an die Schulterhöhe, riesige Flügel schwingen
darüber. Die Rechte greift aufwärts, ein Engel reicht das Kind herab. Es ist der Augenblick
gleichsam projiziert, in dem die Legende das apokalyptische Weib zur Madonna macht. Der Plastik
von damals ist das nicht möglich. Aber unser 14. Jahrhundert hat auch dies geleistet. In der Dobe-
raner Cisterzienser-Kirche hängt (einfachste und wundervoll einleuchtende Einbeziehung des
Groß-Räumlichen) eine Madonna herab, vom Typus der alten, das Kind links tragenden Statuen;
zwölf Sterne strahlen aus der Krone, der Strahlenkranz der Sonne geht hinter der Gestalt auf,
unter dem Sockel liegt die Mondsichel mit einem Gesichte. Das ist gewiß nicht später als um die
Mitte des 14. Jhhs. geschaffen —alle wesentlichen Züge, die etwa die berühmte Nürnberger Madonna
von St. Sebald (Abb. 8) auszeichnen, sind hier schon vorbereitet. Nur daß das Schweben erst
später vollendet auch die Form selbst erobert, die spätere Mond- und Sonnenmadonna tatsächlich
wie ein Bild, steigend, aufgehoben empfunden ist. Das monumentale Zeitalter durfte nur die
Standfigur auf festem Sockel kennen. Die Doberaner Maria braucht ihn auch noch — über der ge-
bogenen Sichel, die ihn später verdrängen sollte. Im 14. Jhh.hängt man die Stehende in den wirklichen
Raum der Architektur, im 15ten stellt man die Schwebende in den imaginären des Altars. Ein etwas
späteres Beispiel gegen 1360 bietet die holzgeschnitzte Madonna des Erfurter Museums. Die
bürgerliche Form: der Mond eine Kugel mit aufrechtem Gesichte, im Körperlichen bei aller
 
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