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Poulsen, Frederik
Der Orient und die frühgriechische Kunst: mit 197 Abbildungen — Leipzig, Berlin: Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.52590#0090
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76

Sechstes Kapitel. Die kretischen Schilde

Besonders lehrreich sind die Vergleiche der Details in der Tracht. Daß mykenische
Kleinbronzen ähnliche Helme wie die hittitischen tragen, hat Helbig mehrfach bemerkt.1)
Aber auf einem Silberblech mykenischer Zeit sehen wir eine eigenartige Helmform, mit
hohem Kamm an beiden Seiten des scheinbar durch Eberzähne geschmückten Helmes2);
richtig erkennt Helbig die Übereinstimmung dieser Helmform mit einigen in etruskischen
Gräbern gefundenen.3) Man findet sie nämlich sowohl in Bronze als auch in Ton nach-
geahmt als Urnendeckel verwendet, wahrscheinlich wenn die Asche von Kriegern in diesen
Urnen beigesetzt war.4) Die auffällige Übereinstimmung findet darin ihre Erklärung, daß
dieser Helm ursprünglich der hittitische Königshelm gewesen ist und als Schriftzeichen in
der hittitischen Schrift geradezu König bedeutet.5) Später, vielleicht erst in der phönikischen
Zeit ist er wohl Paradehelm geworden, und, in dieser Weise demokratisch erniedrigt, ge-
langte er nach Italien. Ob er auf dem mykenischen Gerät den König schmückte, läßt sich
bei dessen Zerstörung nicht entscheiden.
Nennen wir kurz einige andere Details. Die hittitischen Schnurgürtel (vgl. oben S. 56)
mit herabhängenden Bandenden kehren bei mykenischen Terrakotten von Kreta und Rhodos
wieder.6) Eine kretische Terrakotta von Petsofä zeigt einen Mann mit dem kurzen, breiten
Dolch nach hittitischer Mode schräg im Gürtel (vgl. oben S. 57).7) Die eigenartig vorne ge-
heftete Tracht einiger Figuren eines kretischen Siegels8) findet ihre Erklärung auf einem
hittitischen Relief von Üjük.9) Endlich scheinen mir die Trachten vieler Figuren auf dem
berühmten Tonsarkophag von Haghia Triada10) mit ihren vertikalen seitlichen und horizon-
talen unteren Borten mit denjenigen hittitischer Figuren, ganz besonders unserer Elfenbein-
figuren (Abb. 55 ff.), Berührungspunkte aufzuweisen.
Natürlich könnte man bei längerem Studium die Beispiele außerordentlich vermehren,
aber diese werden schon genügen, um zu zeigen, daß nicht Ägypten allein die kretische Kunst
des II. Jahrtausends beeinflußt hat. Damit soll natürlich nicht die Selbständigkeit der kre-
tischen Kultur in Abrede gestellt werden. Selbst wenn man die moderne Bewunderung gegen-
über dieser neuentdeckten Kulturwelt zu überschwänglich findet und nach einer Studienreise
in Ägypten Kretas Kunst in vielen Beziehungen als unterlegen und unsicher im Vergleich zu
der formsicheren des alten Nillandes empfindet, so bleibt doch die künstlerische Bedeutung
der minoischen Kreter immer ungeheuer: sie haben als einziges europäisches Volk den Ver-
such gemacht, das Joch der ägyptischen Kunstformeln auf dem Gebiet der dekorativen Kunst
zu brechen. Die Fauna und Flora ihres eigenen Landes haben ihnen Vorbilder geliefert, die
sie nicht treu kopierten, aber deren organisches Leben sie gewissermaßen ihren Zeichnungen
einhauchten. Selbst die linearen Ornamente haben etwas von dem wogenden Reichtum ihres
Meeres und ihrer Felder. Immer neue Naturbeobachtungen geben ihrem dekorativen Stil
„l’imprevu“, das Frische, Unerwartete, was wir von unseren Dichtern und Malern, aber selten
1) Helbig: Sur la question mycenieme S. 16 f. Österr. Jahresb. XII 1909 S. 27 ff.
2) Reichel: Homerische Waffen2 S. 106 Fig. 43. 3) Helbig: Sur la quest. myc. S. 82.
4) Notizie degli scavi 1882 S. 162 und Taf. XIII 8; 1907 S. 61 f. Fig. 16a—b, S. 53 Fig. 8, S. 57 Fig. 10,
S. 77 Fig. 26. Körte in Pauly-Wissowa s. v. Etrusker S. 746. Lichtenberg: Das Porträt an Grabdenkmalen S. 25.
5) Garstang S. 96 und Taf. XXXVII. Messerschmidt, C. I. H. Taf. IV. Hängt er vielleicht mit einem
sonderbaren Götterhelm zusammen, den wir auf einem elamitischen Felsenrelief kennen lernen? Ward: Seal
cylinders of Western Asia S. 58 Fig. 140 c.
6) Winter: Terrakotten I 10, 8. Annual of Brit. Sch. IX 1902/3 Taf. VIII.
7) Maraghiannis-Karo o. c. I Taf. XXXIII 13.
8) Dussaud: Civilisations prehelleniques S. 50 Fig. 33. 9) Garstang Taf. LXXIII 1.
10) Monumenti ant. dei Lincei XIX 1908 Taf. I—II.
 
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