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Poulsen, Frederik
Der Orient und die frühgriechische Kunst: mit 197 Abbildungen — Leipzig, Berlin: Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.52590#0091
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Hittitische Elemente im kretisch-mykenischen Stil; Fundverhältnisse der kretischen Schilde 77

von unseren Dekorateuren verlangen. Die Völker des fernen Orients, die Chinesen und Ja-
paner sind in der dekorativen Kunst die Nachfolger der Kreter geworden. Aber Europa selbst
kehrte mit den Griechen wieder zu dem ägyptischen Schematismus zurück. Weder die Rose
der chalkidischen Vasen noch das Akanthusornament können den Gesamteindruck ändern,
daß nicht die Tendenz der alten Kreter, sondern die der Ägypter die europäische Kunstde-
koration bis auf unsere Zeit beherrscht hat. Nur kurz hat die kretische Blütezeit gedauert,
und diese Kunst hat nie sehr tief Wurzel gefaßt. Aber als die Völker Syriens, Kleinasiens
und Griechenlands nach langer Barbarei der Völkerwanderungszeit eine neue Kunst zu bilden
begannen, da lag das alte Wunderland Ägypten noch immer da mit seinen ewigen Formeln.
So halten wir es für unhistorisch, überall in der frühgriechischen Kunst kretische Ein-
flüsse finden zu wollen. Immer muß man die Frage stellen, ob ein Motiv nicht schon in den
älteren Kulturen heimisch war, bevor man wegen des Vorkommens desselben auch in der
kretischen Kunst auf Einflüsse von dieser verstorbenen Kunstwelt schließt.
Wenn wir unter den Denkmälern der eigentlichen griechischen Kunst die ersten phöni-
kischen Einflüsse nachweisen wollen, so sind die kretischen Schilde aus der idäischen Höhle
seit vielen Jahren die nächstliegenden Zeugen, denn in ihnen äußerst sich der Orient so, daß
man mit guten Gründen ihre griechische Herkunft bezweifelt hat.1) Veröffentlicht sind sie
zuerst von Halbherr und Orsi2 3 4), dann später mehrfach abgebildet und besprochen worden.8)
Sie wurden in der idäischen Zeusgrotte und zwar mit den beiden oben (S. 22 nr. 7—8) er-
wähnten phönikischen Bronzeschalen zusammen gefunden, die vielleicht noch dem IX. Jahr-
hundert angehören (S. 28). Ferner kamen zwei phönikische Fayencefigürchen: ein Löwe
und ein Mann mit sinnlosen Hieroglyphen an dem Rückenpfeiler und das später zu bespre-
chende Stabrelief in derselben Höhle zum Vorschein?) Zu den idäischen Schilden hat sich
jetzt ein ähnlicher Schild nebst Fragmenten von drei anderen aus dem diktäischen Zeustempel
von Elaia (Paläkastro) gesellt (Abb. 76).5)
Die Schilde sind aus Bronzeblech getrieben, mit sehr wenigen eingeritzten Details. Be-
sonders sorgfältig sind die Tierköpfe in der Mitte herausgetrieben.6) Viele der Schilde sind
mit Löchern versehen, woraus sich die Befestigung auf einer Unterlage ergibt. Es sind dünne
Schilde, nicht für den Kriegsgebrauch geeignet, sondern Schmuckstücke oder Votive. Solche
Schilde sehen wir an der Wand eines assyrischen Tempels auf einem Relief der Sargonzeit7),
und die Wände des Palastes von Salomon waren mit goldenen Schilden geschmückt (I Kön.
16—17). Auch im klassischen Griechenland lebte die Sitte weiter; so sah Pausanias im Bu-
leuterion von Elis eine Reihe Schilde, Qiac ένεκα και ούκ ec έργον πολέμου πεποιημέναι.8)
Im Gegensatz zu den phönikischen Schalen mit ihren radial gerichteten Darstellungen
sind die Schilde sämtlich auf einen bestimmten Gesichtspunkt berechnet, der, wo der Tier-
kopf in der Mitte sitzt, und beim Zeusschild (Abb. 77) sofort zu finden ist, aber sonst durch
Hin- und Herdrehen gesucht werden muß. Nur so aufgehängt zeigt der Schild die Tiere und
1) Wie z. B. Furtwängler, Olympia IV 163.
2) Museo italiano di antichitä classica II 1888 S. 689 ff und Atlas Taf. I—XII.
3) Frottingham, Amer. Journ. IV 1888, S. 434 ff. und Taf. XVI—XX. Milani, Studi e Materiali I, Taf. I—II.
und S. Iff.
4) Museo italiano II 759.
5) Annual of Brit. Sch. XI 1904/5, Taf. XVI und S. 306.
6) An dem Schild von Elaia war der Tierkopf besonders herausgearbeitet. Schilde mit Tierköpfen in
der Mitte kennen wir im Orient nur aus Abbildungen. Vgl. Layard II, Taf. 65. Arch. Jahrb. XXII 1907, S.
164. Layard I, Taf. 13 und 21.
7) Perrot II 410, Fig. 190. 8) VI 23,7.
 
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