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Poulsen, Frederik
Der Orient und die frühgriechische Kunst: mit 197 Abbildungen — Leipzig, Berlin: Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.52590#0088
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74 Sechstes Kapitel. Die kretischen Schilde
Andererseits war es für die Griechen ein Glück, daß sie durch die unselbständigen Phöniker
mit der altägyptischen und altorientalischen Kunst Bekanntschaft machten. Dadurch wurde
es ihnen unendlich viel leichter gemacht sich von den Vorbildern freizumachen und früh
ihre nationale Eigenart zu finden und zu festigen, als wenn sie sofort der großen ägyptischen
Monumentalkunst gegenübergestellt worden wären. Die ersten Schritte der jungen Griechen-
kunst wollen wir jetzt in den folgenden Kapiteln kennen lernen.

SECHSTES KAPITEL
DIE KRETISCHEN SCHILDE
Wir haben im ersten Kapitel (oben S. 24) erwähnt, daß schon chronologische Tatsachen
es verbieten an eine Beeinflussung der kretisch-mykenischen Kunst durch die Phöniker zu
denken. Erst am Ende der mykenischen Epoche wäre ein solcher Einfluß möglich1), und ich
habe in einem Aufsatz, der eigentlich als Kapitel für dieses Buch geschrieben war, zwischen
einigen Elfenbeinreliefs aus der kyprischen Nekropole von Enkomi und einigen der „Nimrud-
ivories“ Vergleiche gezogen.2) Aber der Haupteindruck war nach diesen Untersuchungen
der, daß von einer direkten Einwirkung phönikischer Vorbilder noch keine Rede sein kann,
sondern daß die Übereinstimmung auf einer gemeinsamen Quelle beruht. Und diese Quelle
ist syrisch, ist die alte hittitische Kunst des II. Jahrtausends.
Über das Verhältnis der hittitischen Kunst zu der kretisch-mykenischen ließe sich jetzt
bei den reichen Funden auf beiden Kulturgebieten ein Aufsatz schreiben. Wir müssen uns
hier, wo wir andere Ziele verfolgen, mit einigen Andeutungen begnügen. Schon zwischen
der kretischen Vasenmalerei frühminoischer Zeit undfrühhittitischer Keramik hatman Parallelen
finden wollen, aber diese sind mit Recht von Hall verworfen worden.3 4) Derartige Versuche,
die primitive Kunstübung der orientalischen und europäischen Völker geschichtlich zu ver-
binden, werden jetzt glücklicherweise durchweg von den Fachleuten als ganz geringfügig
oder nichtssagend verworfen.1) Auch die Versuche, die v. Reber macht, um den Palastbau
von Boghasköi von dem kretischen Palastbau abhängig zu machen, müssen entschieden
zurückgewiesen werden. Selbst den Ägyptern und Babyloniern gegenüber haben die Hittiter
die Eigenart ihrer Baukunst bewahrt.5)
Dagegen hat Prinz mit Erfolg die religiösen Parallelen bei den Hittitern und den alten
Kretern durch Vergleichung der Denkmäler erwiesen.6) Eine ganze Reihe von Göttertypen
ist aus dem Orient übernommen und in den kretischen Siegelsteinen und Terrakotten mit
geringen Änderungen bildlich dargestellt. Prinz behandelt besonders folgende Typen: 1) die
Göttin, die ihre Brüste faßt; 2) die Göttin mit der Taube. Hier wollen wir einschieben, daß
der Vogelkult bei den Hittitern eine sehr große Rolle spielte, und daß wir auch bei ihnen
Vögel (Tauben) auf den Altären finden7); 3) die Göttin mit der Schlange; 4) die Göttin mit
Löwen. Hier möchte ich auch die männlichen Kriegergötter einiger Tonsiegel mit den spitzen
1) Burrows: Discoveries in Crete S. 144. 2) Arch. Jahrb. XXVI 1911 S. 215 ff.
3) Garstang S. 313 f. Hall, P. S. B. A. XXXI 1909 S. 285.
4) King: History of Sumer and Akkad S. 341. Vgl. E. Reisinger: Kretische Vasenmalerei S. 1 ff.
5) Reber: Die Hethiter S. 42. Eduard Meyer: Geschichte des Altertums5 I 2 S. 675 f. Vgl. King
o. c. S. 345.
6) Athen. Mitt. XXXV 1910 S. 149 ff.
7) Vgl. Dussaud: Civilisations prehelleniques S. 231. Garstang S. 165.,
 
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