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Poulsen, Frederik
Der Orient und die frühgriechische Kunst: mit 197 Abbildungen — Leipzig, Berlin: Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.52590#0182
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168

Dreizehntes Kapitel. Die Denkmäler und die homerischen Gedichte

So glaube ich den Ausdruck: Byzantinis-
mus, mit dem ich vor Jahren den kretischen
Archaismus bezeichnet habe1), aufrecht er-
halten zu können. Wieviel von der mino-
ischen Tradition in der kretischen Plastik
weiterlebt, ob z. B. die frei wallenden Haare
der Figuren der kretischen Bronzebleche2)
und des damit verwandten Panzers von Olym-
pia3) auf die Vorbilder der kretischen Kunst
des II. Jahrtausends zurückgeführt werden
können, wie Loewy meint4), oder mit der
ionischen Kunst Zusammenhängen (vgl. die
Priesterin Abb. 114), läßt sich, wie ich glaube,
schwer entscheiden. Aber trotz dieser Er-
starrung hat die Plastik der Kreter, wie liter-
arische Überlieferung und die Denkmäler
selbst übereinstimmend bestätigen, in der
archaischen Frühzeit auf die Skulptur des
griechischen Festlandes einen ganz bedeu-
tenden Einfluß geübt. Allein Kreta war we-
der die einzige noch die bedeutendste der
Quellen, aus der das griechische Kunstleben damals hervorsprudelte. Den ionischen Städten
und Rhodos verdankt die Griechenwelt viel mehr. Und die künstlerische Blüte, die das ganze
Gebiet der Griechenstämme bald umfing, bleibt bei der Annahme einer einzigen Quelle un-
erklärlich, beruht vielmehr auf der Konkurrenz der Städte und der Künstler und auf dem leb-
haften Verkehr von Ideen und Motiven zwischen Städten und Inseln, wobei viele geben und
alle empfangen. Wenn wir uns deshalb in der modernen Kunstgeschichte alle Mühe geben,
die archaischen Schulen und ihre Werke möglichst scharf zu begrenzen oder einem einzelnen
Gebiet den Ruhm für alle Erfindungen und alle Fortschritte angedeihen zu lassen, dann
handeln wir in Widerstreit nicht nur mit der Überlieferung, sondern auch mit dem offenen
und aufnahmefähigen Geist, der die alte Griechenkunst groß und schön und reich machte.

Abb. 195. Rhodischer Terrakottakopf. (Nach Photographie.)


DREIZEHNTES KAPITEL
DIE DENKMÄLER UND DIE HOMERISCHEN GEDICHTE
Die Darstellung der Geschichte der griechischen Kleinkunst in den ersten Jahrhun-
derten nach dem Untergange der mykenischen Kulturwelt würde ihren Zweck nur halb er-
füllen, falls wir nicht auch den Versuch machten, die vielen jetzt bekannten Erzeugnisse des
phönikischen und griechischen Kunstgewerbes für die Erklärung der ältesten, aus der gleichen
Zeit stammenden griechischen Dichtung zu verwerten. Da müssen wir uns aber zunächst
die Frage stellen, mit welchen Denkmälern das homerische Milieu, wie wir es aus den beiden
großen Gedichten zu erkennen glauben, die genaueste Übereinstimmung zeigt. Ist es die
1) Athen. Mitt. XXXI 1906 S. 390 f. 2) ibid. Tat XXIII. Annali 1880 Taf. T.
3) Olympia IV Taf. LVIII. 4) Österr. Jahresh. XIV 1911 S. 7 Fig. 5.
 
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