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Die Quellen der frühgriechischen Kunst; die Zeit der homerischen Gedichte 169
kretisch-mykenische, die geometrische oder die orientalisierende Kultur, welche sich zur Illu-
stration dieser alten, herrlichen Dichtung am besten verwenden läßt?
Diese Frage ist noch strittig. Manche modernen Gelehrten arbeiten immer im Geiste
Reichels und suchen innerhalb der mykenischen Kulturwelt alle Vorbilder der homerischen
Schilderung. So machen es z. B. Klein in seinem weitschweifigen Exkurs über den Achilleus-
schild1) und Drerup in seinem halbpopulären Werk, das zuletzt italienisch erschienen ist2);
ja Vincenzo Costanzi verweist sogar in seiner Rezension dieses Buches den Gedanken, die
homerische Kultur später als die spätmykenische zu datieren, unter die aegri somnia.s) Auf
der anderen Seite holt Helbig in seinem lehrreichen Werk: Das homerische Epos bisweilen
seine Beispiele zur Illustration der homerischen Gedichte aus einer so späten Kunst wie
der sf. attischen Vasenmalerei des VI. Jahrh. Helbig hat freilich überhaupt das Prinzip, seine
Beispiele ein wenig überall zu wählen, bald aus der mykenischen oder geometrischen, bald
aus der orientalisierenden Kunst, der griechischen wie der etruskischen. Wenn auch diese
letztere wirklich bisweilen ein Detail zur Erklärung zu liefern vermag, weil die Etrusker
lange ionisches Erbe aus dem VII. Jahrh. bewahren, so mischen sich doch überall die lokalen
Züge hinein, und man darf z. B. nicht den homerischen Frauenschmuck ohne weiteres mit
etruskischem identifizieren. Es ist dies die Schwäche der Helbigschen Methode, so daß
wir durch sie niemals zu einer wirklich präzisen Bestimmung der Zeit und des Milieus der
homerischen Sänger gelangen können.
Daß es aber auch Gelehrte gibt, die die Unvereinbarkeit der homerischen Schilderung
mit der Denkmälerwelt der kretischen Paläste empfunden haben, werden wir im Folgenden
mehrfach sehen. Unter diesem Gesichtspunkt sind die grundlegenden Werke Noacks über
die homerischen Paläste geschrieben, und auch Wilamowitz hat diese Ansicht öfter ver-
fochten und die Kunst der geometrischen Epoche als die zur Illustration geeignetste heran-
gezogen.4)
Wenn wir jetzt hier, ohne das allzu Bekannte zu wiederholen, die Frage von neuem
aufwerfen, wollen wir, wie bei der Besprechung der Kleinkunst selbst, wieder mit den Phö-
nikern anfangen. Wie stehen die Phöniker in den homerischen Gedichten? In δ 83 werden
Kypern, Phönikien und das Land der Ägypter nebeneinander als die fernen Länder genannt,
nach denen Menelaos auf seiner Fahrt gelangte. Der Reichtum des ägyptischen Thebens
wird 1 381 erwähnt, sonst aber geht die ungeheuere Entfernung, in der sich die damaligen
Griechen Ägypten vorstellten, aus der Schilderung γ 299f und 318ff. hervor, wo es von
Menelaos heißt:
κείνος γάρ νέον άλλοθεν είλήλουθεν,
εκ των ανθρώπων, δθεν ούκ έλποιτο γε θυμω
έλθέμεν, δν τινα πρώτον άποσφήλωσιν αελλαι
ές πέλαγος μέγα τοΐον, δθεν τέ περ ούδ’ οιωνοί
αύτόετες οίχνεΰσιν, έπεϊ μέγα τε δεινόν τε.
Diese Idee von dem ungeheuren, trennenden Meere paßt eigentlich weder für die mi-
noische Zeit, in der alle Funde von dem regen Verkehr zwischen Kreta und Ägypten
sprechen5), noch für die Zeit der ionischen Kolonisation im nördlichen Ägypten. Die Stelle
1) Geschichte der griech. Kunst I 37 ff. 2) Omero. Bergamo 1910.
3) Ausonia V 1910 Varietä S. 9.
4) Vgl. Griech. Litteraturgesch. S. 11—12 und Sitzungsber. der Berl. Akademie 1906 IV S. 77-79.
5) Fimmen: Zeit und Dauer der kretisch-mykenischen Kultur. Leipzig 1909. v. Lichtenberg: Ein-
flüsse der ägäischen Kultur auf Ägypten und Palästina. Leipzig 1911.
 
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