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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Gefangenen: Studie zur bildnerischen Gestaltung Ungeübter — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.11508#0013
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A. HERKUNFT UND ART DES MATERIALS.

Nachdem Lombroso m seinen verschiedenen Werk en über den Verbrecher1
Bildwerke von Gefängnisinsassen in größerer Menge abgebildet und
in seiner redseligen und kritiklosen Weise allzu romantisch erläutert hat,
sind die Kriminalpsychologen diesem doch eigentlich recht fesselnden Material
aus dem Wege gegangen. Während noch Laurent2 und H. Elbs3 zu Anfang
der 90er Jahre der in Gefängnissen entstandenen Bildwerke lebhaft gedenken,
wird in den Büchern von Sommer1, Groß5, Aschaffenburg6, Wulffen7 ihrer
kaum mehr Erwähnung getan. Und doch liegen zahlreiche Zeichnungen,
Plastik en u. ä. nicht nur in den Abbildungen der Lombrososchen Werke vor,
sondern in manchen Gefängnissen gibt es reichhaltige Sammlungen, in denen
sich unter schlau gefertigten Ausbruchsinstrumenten und manchen wunder-
lichen Erzeugnissen eines dumpfen Besckäftigungsdranges doch eine ansehn-
liche Zahl von ernst zu nehmenden bildnerischen Arbeiten findet. Auch die
Krimmalmuseen der großen Hauptstädte besitzen meist in ihrem Arsenal von
Mord-, Einbruchs-, Fälschungswerkzeugen, Moulagen von Verbrecherköpfen,
eingeschlagenen Schädeln, alten Kleidern, eine Schublade voll Kritzeleien,
Brotknetereien, die sich merkwürdig harmlos ausnehmen in dieser blutrünstigen
Umgebung. Freilich gibt es darunter eine Gruppe mit grobsexuellen obszönen
Motiven, die von dem platten Niveau der Abortwand bis in das Reich des
Grotesk-Grausigen hinein sich erstreckt, wo Ensor, Kubin oder gar Goya
legitime Herrscher sind. Viel mehr, als was noch vorhanden ist, mag vernichtet
worden sein, einiges wenige findet sich in Privathänden. Aber gewiß nicht
viel, da im Umkreise der Justiz aufs peinlichste der Schein vermieden werden
muß, als würde etwa ein ärarischer Viertels-Aktenbogen nicht unter das un-
bestreitbare Eigentum des Staates oder des Häftlings fallen, wenn dieser
wirklich eigenes Papier sich hat anschaffen dürfen. Spuren der Vernichtung
von bildnerischen Produktionen trifft man häufig. Die älteren Wärter, die
Geistlichen, die Anstaltslehrer wissen oft noch zu berichten, daß vor Jahren
einmal viel gezeichnet worden ist, oder daß ein einzelner Gefangener sich

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