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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Gefangenen: Studie zur bildnerischen Gestaltung Ungeübter — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.11508#0026
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darzustellen sucht, so kann man eines wohl mit Sicherheit sagen: Er ist dann
zu einer Objektivität gelangt, die nur möglich ist, wenn er seine persönlichen
Probleme und Nöte, den unentrinnbaren aufdringlichen Zwang seiner Um-
gebung, innerlich überwunden hat. Ohne solches Überwinden, sei es ein
trotziges Sicheinrichten hinter Kerkermauern, sei es ein reumütiges Sich-
beugen vor Sitte, Gesetz, Staatsmacht, oder ein gelassenes Sichabfinden mit
dem Schicksal, gelangt niemand zu realistischer Sachlichkeit. Und damit ist
für den Kenner der Verbrecherpsyche sogleich die Erklärung dafür gefunden,
weshalb solche rein realistischen, ohne persönliche Tendenz aufgebauten Bild-
werke fast nicht vorkommen. Das angedeutete Reifestadium ist höchst selten,
Neigung zu bildnerischer Gestaltung nicht minder selten — wie vereinzelt
werden erst die Fälle sein, wo beides einmal zusammentrifft.

Auffallend ruhig sachlich wirkt das Ölbild „Bewegung im Freien"
(Abbildung 18) aus Fuhlsbüttel. Es stammt von einem Dekorationsmaler,
der zum erstenmal wegen Einbruchs interniert war und nach einigen Jahren
wegen musterhafter Führung begnadigt wurde, wobei das Gericht anerkannte,
daß bei seinem Delikt ungewöhnliche Ausnahmezustände (seelischer und wirt-
schaftlicher Art) mitgewirkt hatten. Man darf gewiß nicht an den „Gefängnis-
hof" von van Gogh denken, aber die stille chronistenhafte Sachlichkeit, die sich
so radikal von der pointierten Darstellung der gleichen Situation auf Ab-
bildung 12 unterscheidet, hat doch ihren eigenen Reiz.

Eine Art von persönlichster, bekenntmshafter Beziehung lebt wohl in
allen, auch den noch realistisch zu nennenden Bildern. Sie hat den Gefühlston
des Sentimentalen, ob sie nunmehr die Erinnerung an die Vergangenheit
heraufruft oder sich in Wunschphantasien an die Zukunft wendet. In der
Hauptsache dreht es sich um eine heroisierende Selbstdarstellung, entweder
in der epischen Form der „Moritat" (Abbildung 11 ff.), wie sie in der Volks-
tradition des Bänkelsängers14 vor kurzem noch auf Jahrmärkten üblich war,
oder in der lyrischen Form meist eitler unechter phrasenhafter Typik: Grab
der Mutter, Kirche der Heimat, Liebesbeziehungen u. dgl. Ganz wie in dem
Schriftwerk bekannte platte Verse wiederholt oder leicht abgewandelt
werden, so auch in der Bildzeichnung. Bestenfalls kommt eine grotesk-
grimmige Räuberromantik heraus. Manchmal gelingt eine Einzelheit ganz
eindrucksvoll, so daß man von einer wirklichen Gestaltung sprechen kann. So
auf jenem Tonkrug Abbildung 56 aus der Turiner Sammlung, wo ein Mörder
einkratzt, er werde sich nach hundert Tagen erhängen und dann Ruhe haben.

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