Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0014
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der Einsatz eines Rechtsbuchs

13

Simon Stein während der Flucht vor den Nationalsozialisten die Echtheit der Lex
Salica in Zweifel zog und sie als Fälschung entlarvte.3 In denselben Jahren hielt
sich der SS-Sturmbannführer Karl August Eckhardt in der Pariser Abwehrleit-
stelle der Wehrmacht auf und nutzte „jede dienstfreie Stunde"4 für umfangreiche
Studien an denselben Handschriften der Lex Salica, die Simon Stein kurz zuvor in
Händen gehalten hatte. Eckhardt wollte seinen Namen durch eine monumentale
Edition dauerhaft mit dem Gründungsdokument des germanischen Rechts
verbinden. Der Zweite Weltkrieg - dieser Kampf der weltanschaulichen Extreme
brachte auch in Bezug auf die Lex Salica konträre Haltungen hervor.
Der ideologische Einsatz des Rechtsbuchs hatte jedoch bereits eine Vorge-
schichte, die Jahrhunderte zurückreicht. Diese Vorgeschichte erklärt, welche
Bedeutung Gelehrte in Frankreich und Deutschland diesem Text zugeschrieben
haben und weshalb das Thema dann in der Geschichtswissenschaft nach 1945
regelrecht mit einem Tabu belegt wurde. Die rechtspolitische Signifikanz der Lex
Salica zu verstehen ist eine notwendige Voraussetzung, um dieses Dokument mit
den gegenwärtigen Forschungsdiskussionen in Verbindung zu bringen. In die-
sem Kapitel werde ich daher zuerst den Ort der Lex Salica im kulturellen Ge-
dächtnis der Deutschen und Franzosen vermessen, bevor ich mich der aktuellen
Debatte über den Gebrauch frühmittelalterlicher Rechtsbücher zuwende, die
methodischen Prämissen der Arbeit erläutere und die wichtigsten Argumente
des Buchs vorstelle.

Der Einsatz eines Rechtsbuchs
Zurück zu Simon Steins Angriff auf den Urtext der deutschen Rechtsgeschichte:
Sein Aufsatz, 1947 erschienen in der amerikanischen Zeitschrift Speculum, blieb
nicht lange unbeantwortet. Schon ein Jahr später gestand Heinrich Mitteis in der
Savigny-Zeitschrift ein, dass ihm „die Lektüre einen gewissen Schock verursacht
hat" - nicht weil er die These für richtig hielt, sondern weil sie ihm überhaupt
möglich erschien. Zugleich forderte er seine Kollegen zur Verteidigung dieses
ältesten Denkmals germanischen Rechts auf: „Ich sehe noch keinen Lohengrin,
der zur Rettung dieser Elsa von Brabant in die Schranken tritt!"5 Mitteis' Appell
wurde bald erhört. 1951 sprachen sich gleich drei führende Experten für die
Echtheit der Lex Salica aus: Walter Holtzmann, Rudolf Buchner und Karl August
Eckhardt.6 Sie hatten dabei ein leichtes Spiel. Die Spekulationen Simon Steins
waren einfach zu abwegig: Dass der Erzbischof Hinkmar von Reims im späten
9. Jahrhundert den Text gefälscht, dabei mit den fränkischen Glossen eine eigene
Sprache erfunden und durch die Produktion mehrerer unterschiedlicher Ver-

3 Stein, Lex Salica II, S. 406.

4 Eckhardt, Einführung, S. 7.

5 Mitteis, Rezension, S. 571f.

6 Holtzmann, Besprechung, S. 312; Eckhardt, Zur Entstehungszeit; Buchner, Kleine Untersu-
chungen. Weitere Widerlegungen: Boeren, Quelques remarques; Wallace-Hadrill, Hincmar.
 
Annotationen