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Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0228
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Kodifiziertes Recht unter Karl dem Großen

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auf geistlichen Besitz der Handschrift, da auch die weltliche Elite des 9. Jahr-
hunderts mit dieser Gedankenwelt vertraut war.32
Geistlichen und weltlichen Besitz von Handschriften zu unterscheiden ist
somit nur begrenzt möglich und auch nur begrenzt sinnvoll. Was die Elite des
Frankenreichs betrifft, waren die Welten von Klerikern und Laien sehr durch-
lässig. Jede Handschrift, die uns erhalten ist, wurde in einem kirchlichen Kontext
geschrieben und musste schließlich den Weg über ein kirchliches Archiv gehen,
um die Chance auf Überlieferung zu haben. Die Laienaristokratie partizipierte
jedoch wegen ihrer engen Vernetzung mit den kirchlichen Institutionen an dem
vorhandenen Rechtswissen. Nicht zu bestreiten ist ebenso der Befund, dass für
die meisten Handschriften des 9. Jahrhunderts gerade kein „antiquarisches In-
teresse" ausschlaggebend war. Die Handschriften sind in der Regel nicht mit
Historiographie oder mit anderen Texten „antiquarischer" Natur verbunden,
sondern zeigen eine fast ausschließliche Fokussierung auf das von weltlichen
Herrschern erlassene Recht. Die häufige Präsenz von Kapitularien bezeugt zu-
dem: Die Handschriften waren im Besitz von Funktionsträgern des Franken-
reichs, die sich über die normativen Entscheidungen des Hofes auf dem Lau-
fenden halten wollten.

Kodifiziertes Recht unter Karl dem Großen
In Kapitel 6 habe ich zu zeigen versucht, wie sich seit 800 die inhaltliche Ver-
schränkung von leges und capitula intensivierte. Auch in der handschriftlichen
Überlieferung begegnet die Lex Salica seit 800 in zunehmendem Maße gemein-
sam mit neuen Kapitularien Karls des Großen und später auch seiner Nachfolger.
Damit wurde an etwas angeknüpft, was bereits im 6. Jahrhundert in den un-
terschiedlichen Kombinationen von Lex Salica und merowingischen Edikten er-
kennbar ist.33 Stehen für das 6. Jahrhundert aber nur Trümmer der Überlieferung
und keine Handschriften zur Verfügung, sind die Quellen für die letzten Jahre
Karls des Großen deutlich reichhaltiger. Steffen Patzold hat erstmals wichtige
Resultate zu dieser Frage vorgelegt, die ihn zu einem ernüchternden Fazit über
die „Unbeholfenheit der Leges-Reform"34 bewogen. Seine Ergebnisse berück-
sichtigen aber auch Handschriften des späteren 9. Jahrhunderts, in denen das
Material bereits vielfach verformt und neu geordnet worden war.35 Die folgen-
den Überlegungen ziehen dagegen nur solche Handschriften der Lex Salica
heran, die sicher vor 814 entstanden sind oder die mit großer Wahrscheinlichkeit
Vorlagen aus dieser Zeit bewahrt haben.36

32 Noble, Secular sanctity; Stone, Masculinity, S. 21-26.

33 Siehe oben S. 103.

34 Patzold, Veränderung, S. 92.

35 Besonders Wolfenbüttel, Blank. 130 (=K58), z. T. auch München, lat. 19416.

36 Handschriften (Lex Salica mit Kapitularien) aus der Zeit Karls des Großen: Paris, lat. 4404 (A1);
Montpellier, H 136 (D7, mit späteren Ergänzungen); Paris, lat. 4629 (E15); Paris, lat. 4758 (K38)
 
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