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Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0250
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Schluss: Für eine andere Rechtsgeschichte

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Rechts. Eine weitere Folge dieser Verbindung von Recht und ethnischer Identität
war, dass die Idee der Rechtsbindung des Herrschers eine neue Bedeutung ge-
wann. Der König signalisierte damit weniger seine Selbstbindung an die von ihm
erlassenen Gesetze (wie die römischen Kaiser) als vielmehr sein Bekenntnis zur
fränkischen Identität sowie seinen Respekt gegenüber den autonomen regio-
nalen Rechtstraditionen seines Reichs. Die Rechtsbindung war daher seit Chlo-
thar I. ein wichtiges ideologisches Symbol für die Anerkennung der regionalen
Machteliten im Frankenreich. Unter Karl dem Großen war die Garantie der
unterschiedlichen Rechtstraditionen eng verknüpft mit der Ableistung des
Treueids und den beiden Reformen der Rechtsbücher (789 und 802). Karl der
Kahle knüpfte an eine lange Tradition des fränkischen Königtums an, wenn er
seit dem Vertrag von Coulaines im Jahr 843 die Rechtsbindung zum Fundament
seiner Königsherrschaft machte und damit eine Formulierung prägte, die den
Königserhebungen im späteren Frankreich zugrunde lag. Im Unterschied zu
seinen Vorgängern streifte Karl der Kahle aber die ethnischen Implikationen ab
und individualisierte die Rechtsbindung.
Doch die Lex Salica war auch in einer anderen Hinsicht stilbildend: Noch vor
der Christianisierung der Franken niedergeschrieben erfasste sie allein weltli-
ches Recht und nahm auch in den folgenden Jahrhunderten nur vereinzelt Re-
gelungen auf, die den Klerus oder die christliche Religion betrafen. Wie fest diese
Abgrenzung zwischen weltlichem und kirchlichem Recht verankert war, zeigt
sich besonders deutlich an den Rechtsbüchern für die Nordostprovinzen des
Frankenreichs aus der Zeit Karls des Großen, die sich fast ausschließlich mit
weltlichem Recht befassen. Ludwig der Fromme differenzierte in seinen Kapi-
tularien auf ähnliche Weise zwischen lex mundana und lex divina bzw. ecclesiastica.
Ansegis legte diese Unterscheidung seiner Sammlung von Kapitularien zu-
grunde. Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, dass weltliches Recht von
christlichen Rechtsquellen wie der Bibel und den Kirchenvätern oder von bi-
schöflichen Interessen unbeeinflusst geblieben wäre. Es bedeutet auch nicht,
dass keine Vermischung der beiden Bereiche stattgefunden hätte. Aber die Un-
terscheidung implizierte, dass kirchliches und weltliches Recht prinzipiell zwei
unterschiedlichen Sphären angehörte. Die handschriftliche Überlieferung be-
stätigt diese Differenzierung: Nur ganz wenige Handschriften der Lex Salica
stellen kirchliches Recht an die Seite, während die überwiegende Mehrzahl der
Zeugnisse das fränkische Rechtsbuch mit anderen weltlichen Rechtsquellen
kombiniert. Damit unterscheiden sich die Verhältnisse im Frankenreich grund-
legend von denen im angelsächsischen England.18
Die politische Kultur des Frankenreichs war somit in erheblichem Ausmaß
vom Recht geprägt. Man könnte meinen, das 12. Jahrhundert hätte nur daran
anknüpfen müssen. Steht die Revolution des Rechts somit auf den Schultern
einer blühenden Rechtskultur? Diese Schlussfolgerung wäre nur dann gewähr-
leistet, wenn man eine Brücke zwischen dem Frankenreich des 9. Jahrhunderts
und dem Beginn der Rechtsrevolution im späten 11. und frühen 12. Jahrhundert

18 Hierzu Wormald, The Making, S. 162-263.
 
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