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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0143
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142 V. Bischofsabsetzung durch den Papst: Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier 863

Königs. Lothar hat einen „Rollenwechsel" vorgenommen, dieser führte zur
Anrufung eines geistlichen Gerichts und somit zur Übertragung der Hand-
lungsvollmacht und Argumentationsstrategie an die Bischöfe. Diese nutzten
diese Vollmacht, um auf ihre Amtsverantwortung hinzuweisen: Sie sind in ihren
Augen die Aufseher und der König ist auch in seinem geschlechtlichen Verhalten
der Autorität der Bischöfe unterstellt, um Unheil von seiner Person und dem
Reich abzuwenden. In seinem Libellus proclamationis von 862 macht Lothar sich
diese Sicht zu eigen und verweist auf den berühmten Gelasiusbrief, der der
priesterlichen Gewalt einen Vorrang vor der weltlichen potestas einräumt auf-
grund der Verantwortung für die Seele des Königs am Jüngsten Gericht554. Das
bedeutet, die Bischöfe beziehen sich auf ihre Rechenschaftspflicht — nur dass
Gunthar und Thietgaud diese hier so auslegten, dass sie Sorge tragen mussten,
dass ihr König nach Verstoßung der Theutberga nicht in sündhafter Beziehung
zu Waldrada lebt555. Auch wurde Theutberga mitnichten ihre Kinderlosigkeit
vorgehalten, denn es war keine Frage, dass dies nach dem kanonischen Recht
kein Grund für eine Eheauflösung war.
Lothar hatte die Argumentationsihde vorgegeben, er hatte sich das bi-
schöfliche Modell von der Aufsicht über den königlichen Körper zu Eigen ge-
macht. Die Argumentation Lothars und der Bischöfe unter Führung Gunthars
zielt auf das bischöfliche Mahn- und Aufsichtsrecht und damit verbunden die
bischöfliche Kontrolle der Körper des Königs und der Königin556. Hintergrund
für das bischöfliche Handeln war die Vorstellungen von einer Verbindung
zwischen königlichem Körper, königlichem Handeln und Wohl des Volkes
(Sündhaftigkeit von König und Reich konnte Strafe Gottes auf sich ziehen)557.
Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier waren darum bemüht, ihrem König
eine neue Ehe zu ermöglichen. Dafür musste ein Verfahren entwickelt werden.
Die beiden Erzbischöfe sahen dies als ihre Aufgabe an. Aber nicht alle lotha-
ringischen Bischöfe teilten diese Ansicht und nicht alle standen hinter Lothar II.
Einige ihrer Amtsbrüder sprachen offenbar sogar dem Papst die letzte Ent-
scheidungsbefugnis in der königlichen Eheaffäre zu558.

554 MGH Cone. IV, S. 74 f.

555 Unabhängig davon ist jedoch zu konstatieren, dass Lothar II. die Vorwürfe gegen Theutberga
vermutlich mit Absicht gewählt hat, da der Inzestvorwurf zur Skandalisierung einer Frau gut
geeignet war — und vor einem geistlichen Gericht erst recht. Er warf ihr jedoch nicht Untreue oder
Affären mit politischen Beratern vor, was noch die Gegner der Gattin Ludwigs des Frommen,
Judith, allen voran Agobard von Lyon, als Argument auf den Plan gebracht hatten. Zu Un-
zuchtsvorwürfen gegenüber karolingischen Königinnen vgl. jetzt Dohmen, „Ursache allen
Übels", zu Judith, S. 109-180, bes. S. 137-143; zu Theutberga, S. 181-241, zu den Zielen der
Vorwürfe, S. 214-222, bes. S. 216-218 zum Inzest. Einen Überblick über die ältere Forschung gibt,
Fried, Schatten.

556 Vgl. Airlie, Private Bodies, S. 32f.

557 Vgl. Meens, Politics; Airlie, Private Bodies.

558 Vgl. Airlie, Unreal Kingdom, S. 342: ein Bischof hat offenbar seiner Unterschrift unter die Akten
der Synode von Metz hinzugefügt, dass die letzte Entscheidung in der Angelegenheit der kö-
niglichen Ehe dem Papst zustehe. Der wütende Erzbischof von Köln löschte die Notiz aus und
ließ nur den Namen stehen. Nikolaus I. erkannte offenbar die Fälschung in den ihm zugesandten
 
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