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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0142
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4. Die Bischöfe und der Körper des Königs

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4. Die Bischöfe und der Körper des Königs
Unterstellt man den Erzbischöfen Gunthar und Thietgaud nicht von vorneherein
ein „knechtisches" Verhältnis zu Lothar und Skrupellosigkeit, mit der sie — je
nach Perspektive — das lüsterne Gebaren ihres von blinder Liebe zu Waldrada
entbrannten Königs bzw. die politischen Schachzüge eines in die Enge getrie-
benen Herrschers des Mittelreichs unterstützten, so kommt man nicht umhin,
sich die Argumentationen der beiden Metropoliten genauer anzuschauen. Von
den Beschlüssen der lotharinigschen Konzilien von 860-863 müssen sie über-
zeugt gewesen sein, auch von den Beschlüssen von Metz, andernfalls hätten sie
sie kaum in Erwartung der päpstlichen Bestätigung nach Rom getragen. Sie
unternahmen große Anstrengungen, um kanonische Argumente für eine Wie-
derheirat zu finden. Die Absetzung hatte sie völlig unvorbereitet getroffen
Die Bedeutung der Vorstellungen vom königlichen Körper in der Eheaffäre
hat zuletzt Stuart Airlie untersucht551. Steffen Patzold hat in seiner Studie zum
Scheidungsgesuch die Theorien Luhmanns über die Legitimation durch Ver-
fahren hinzugezogen552. Er argumentiert, dass Lothar einen Rollenwechsel vor-
genommen habe vom Familienvater zum Büßer und mit der Anrufung der
Synoden/Bischöfe eine Ausweitung des Begzugssystems auf die ecclesia ver-
bunden gewesen sei. Diese Ausweitung habe ein Eingreifen des Papstes legiti-
miert, die Komplexität des Verfahrens aber nicht minimiert553.
Ausgehend von diesen beiden Studien soll das die Absetzung Gunthars und
Thietgauds untersucht und neu bewertet werden, der Fokus liegt auf ihrem
Selbstverständnis und ihren Vorstellungen eines legitimen Verfahrens.
Im Frankenreich war seit dem ersten Drittel des 9. Jahrhunderts eine „Kultur des
Verfahrens" entwickelt worden. Bei Herrscherbußen und -absetzungen, aber
auch bei Prozessen gegen Bischöfe wurden politische Vorstellungen in der Öf-
fentlichkeit durch Rituale konkretisiert. Eine entscheidende Rolle spielten
Beichte, Buße und Exkommunikation (und Rekonziliation) als politische In-
strumente zur Aufrechterhaltung der göttlichen Ordnung. Gunthar und Thiet-
gaud hatten sich an diesen Rahmen gehalten bei dem Verfahren gegen Theut-
berga: Es musste ein Grund gefunden werden, der in der Würdigkeit Theutb-
ergas für das Königinnenamt lag. Für die Bedeutung des christlichen Amtes der
Königin spricht auch die Inszenierung ihrer „Absetzung": die Beichte, öffentli-
che Buße und Klostereinweisung. Ebenso wählten sie für ihren Umgang mit
Lothar II. aus einem Repertoire an Wissen über ihren Stand aus: Sie griffen
Lothars Bitte um Sorge für seine Seele und seinen Körper auf und verwiesen in
ihrer Argumentation auf ihre Zuständigkeit für den sittlichen Lebenswandel des

551 Airlie, Private Bodies.

552 Vgl. Patzold, Verhandeln, S. 403 nennt die Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Absetzung
Gunthars und Thietgauds eine weitere Verkomplizierung des Verfahrens, geht diesem Strang
aber innerhalb seines Aufsatzes nicht mehr nach.

553 Vgl. ebd., bes. S. 400.
 
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