Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0313
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
312

XI. Die monastische Konstruktion bischöflichen Fehlverhaltens

Eine eingehende Untersuchung des bischöflichen Verhaltens gegenüber
Klöstern im 9. Jahrhundert zeigt, dass es kaum Unterschiede zu dem laikalen
Umgang mit Klöstern gibt. Es gab auf beiden Seiten negative wie positive Fälle.
Franz J. Felten hat darauf hingewiesen, dass die Vorwürfe des 9. und 10. Jahr-
hunderts vor den strukturellen Bedingungen ihrer Zeit gesehen werden müssen.
Die Einstellung der jeweiligen Gesellschaft gegenüber den Klöstern muss be-
rücksichtigt werden. Diese gesellschaftliche Haltung gegenüber Klöstern erfuhr
im Laufe des späten 10. Jahrhundert mit den Reformbewegungen und mit der
Forderung nach Freiheit und Exemtion einen grundlegenden Wandel. Die bi-
schöfliche Verfügungsgewalt über das gesamte Kirchengut einschließlich des
Klosterbesitzes wurde Anfang des 11. Jahrhunderts nicht mehr als gegeben an-
gesehen1315.
3. Die Klosterhoheit von König und Bischof — gleiches
Verhalten, unterschiedliche Wertung
Es gab vielfältige Möglichkeiten, wie eine Abtei im 9. und im 10. Jahrhundert
unter die Kontrolle eines Bischofs gelangen konnte. Dabei ist eine schrittweise
Entwicklung in der „Erwerbspolitik" zu beobachten: Ursprünglich leiteten die
Bischöfe beruhend auf spätantikem Kirchenrecht ihre Verfügungsgewalt über
die Klöster ihrer Diözese von der potestas des Diözesans ab. Ende des 9. Jahr-
hunderts trat dieses Recht laut Felten jedoch hinter der beanspruchten Kloster-
hoheit der Bischofskirche und ihres Vorstehers, basierend auf dem ius possesionis,
zurück1316. Dass es dazu kommen konnte, hat viel mit der „Klosterpolitik" der
fränkischen Könige zu tun.
Die fränkischen Könige hatten Klöster im 9. Jahrhundert nicht nur an Laien,
sondern auch an Bischöfe vergeben: zur Sanierung von Diözesen, vor allem nach
den Zerstörungen durch die Normanneneinfälle1317. Bischöfe bekamen Klöster —
ebenso wie Laien, Kapläne oder Kanzler — vom König geschenkt. Dazu kamen
noch die bischöflichen Eigenklöster in der eigenen und in fremden Diözesen,
eigene Gründungen, die zu vielfältigen Leistungen herangezogen werden

1315 Es sei nur auf die umfangreichen Schriften Abbos von Fleury verwiesen, der um 1000 für die
Exemtion von Fleury kämpfte. S. dazu Kap. X zum Werk Abbos von Fleury. Vgl. Mostert,
Political theology sowie Lemarignier, Monachisme et L'encadrement, bes. S. 359-370.

1316 Felten, Äbte, S. 44f.

1317 Klöster wurden an Bischöfe gezielt in Herrscherurkunden zur Sanierung von Diözesen verge-
ben, vgl. Felten, Äbte, S. 34-36. Als Grund werden öfter Verwüstungen durch die Normannen
erwähnt, vgl. die Schenkung des Klosters St. Eligius in Paris an Bischof Ingelwinus durch Karl
des Kahlen 872, Recueil des actes de Charles le Chauve, Nr. 364; s. auch Nr. 420: Schenkung des
Klosters Flavigny an den Bischof Adalgarius von Autun um die Besitzverluste des Bistums in
den Normanneneinfällen zu kompensieren.
 
Annotationen