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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0338
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2. Textgattungen und Arbeitsweise

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2. Textgattungen und Arbeitsweise
Rund um die Absetzungen fand eine enorme Textproduktion statt. Zur Eröff-
nung des Verfahrens wurden Anklageschriften vorgelegt. Diese Anklageschrif-
ten belegen die Präsenz des sozialen Wissens über Bischöfe — aber gleichzeitig
auch die unterschiedlichen Vorstellungen davon, was das für die politische
Umsetzung bedeuten sollte.
Der Ablauf des Verfahrens, die eingesetzten Mittel (Eide, Beichte, Sünden-
bekenntnisse) und die zu Grunde liegenden Normen wurden in Synodalakten
dokumentiert. Es gab diese „offiziellen" Dokumente und darüber hinaus eine
Vielzahl an weiteren im Umfeld von Synoden und für die Präsentation auf den
Synoden und Reichsversammlungen entstandene Texte wie Dossiers mit kir-
chenrechtlichen Inhalten, Gutachten, Narrationes, Mahnschreiben. In sechs
Fällen (Ebo von Reims, Wenilo von Sens, Gunthar von Köln, Thietgaud von Trier,
Rothad von Soissons, Hinkmar von Laon und Artold von Reims) haben die
Angeklagten eigene Verteidigungsschriften verfasst, aus denen sich ihre (mit der
Anklage konkurrierenden) Vorstellungen über das Wesen des Bischofsamtes,
der Amtsausübung, der Metropolitanrechte sowie über die Bedeutung der bei
der Absetzung vollzogenen Handlungen erschließen lassen Hier finden sich die
Differenzen in der inhaltlichen Füllung des „Pariser Modells", die abweichenden
Deutungen und Auslegungen zur Buße (Ebo), die Leugnung der Freiwilligkeit
des Rücktritts, die Berichte über königliche und erzbischöfliche Willkür und
Anrufungen des Papstes als Revisionsinstanz. Besonders zu betonen sind die
Verschriftlichung der Handlungen selbst und die wörtliche Inserierung der Eide,
Sündenbekenntnisse und Rücktrittserklärungen in den synodalen Dokumenten,
die der Konservierung der ordnungsstiftenden Praxis unabhängig von den
ausführenden Körpern dienen sollten.
Desweiteren liegen Briefe der Angeklagten, in denen sie andere Bischöfe um
Hilfe baten, sowie Briefe der Unterstützer der abgesetzten Bischöfe vor. Beson-
ders gut ist das Unterstützernetzwerk bei Rothad von Soissons dokumentiert.
Neben diesen im direkten örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den
Absetzungen entstandenen Texten gibt es die Dokumente, in denen der Fall
nachträglich behandelt wurde. Es fanden nicht nur Schlachten mit Worten
während den Verhandlungen statt, sondern in der Regel auch eine nachträgliche
Behandlung der Absetzung in der Historiographie. Besonders ausgeprägt ist
dies in den Annales Bertiniani unter Hinkmar von Reims zu beobachten (für die
Fälle Rothad, Hinkmar von Laon und Gunthar und Thietgaud) und generell bei
dem Fall der beiden vom Papst abgesetzten Metropoliten Gunthar und Thiet-
gaud, was für die allgemeine politische Relevanz dieser Fälle spricht.
Die Art der Präsentation der eigenen Version der Ereignisse rund um Bi-
schofsabsetzungen ist an bestimmte Textgattungen gebunden. Synodalakten
und Dokumente aller Art, die auf Synoden vorgelesen und präsentiert wurden,
„funktionierten" anders als Geschichtsschreibung. In den synodalen Doku-
menten wurde auf Normen verwiesen. Sie dienten dazu, rechtliche Eindeutigkeit
herzustellen und das Verhalten eines einzelnen Bischofs an den Maßstäben, die
 
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