2. Bischöfe und Kirchengut im 9. und frühen 10. Jahrhundert
309
des Klosters auch in hagiographischen Texten auszugestalten und Gründe für
das Streben nach Unabhängigkeit anzuführen. Dieses Streben konnte mit Ver-
weis auf bischöfliches Fehlverhalten begründet werden. Dafür nutzten die Au-
toren Diskurse über den Schutz des Kirchenguts, wie sie im 9. Jahrhundert be-
gründet worden sind. Der Schutz des Kirchenguts als ideologisches Konstrukt
diente in verschiedenen Textgattungen dazu, Personen als Amtsinhaber positiv
oder negativ zu charakterisieren1299. Wie das funktioniert hat, wird im Folgenden
am Beispiel von Mirakelberichten untersucht, indem zunächst die Entwicklung
des Wissensbestands rund um den Bischof als Schützer des Kirchenguts skiz-
ziert, im Anschluss die monastische Perspektive präsentiert und dann eine
Analyse der Miracula vorgenommen wird.
2. Bischöfe und Kirchengut im 9. und frühen 10. Jahrhundert —
die Selbstdarstellung der Bischöfe
Im 9. Jahrhundert formulierten die Bischöfe auf Konzilien den Schutz des
Kirchenguts als eine ihrer Hauptaufgaben. Missbrauch von Kirchengütern durch
den Herrscher, Verschleuderung und Veräußerungen der kirchlichen Besitzun-
gen waren seit der Merowingerzeit Themen von Bischofsversammlungen. Auch
auf den Konzilien des 9. Jahrhunderts wurde über Fragen des Umgangs mit dem
Kirchengut oft beraten1300. Während des Aufstands der Söhne gegen Ludwig den
Frommen und vor allem in den fränkischen Brüderkriegen nach dessen Tod 841
dienten Besitzungen und Einkünfte von Kirchen und Klöstern oftmals zur
Ausstattung von Getreuen1301. Hinkmar von Reims sah es nach seiner Erhebung
zum Erzbischof 845 als seine Hauptaufgabe an, das in den Brüderkriegen ent-
fremdete Kirchengut der Reimser Diözese zu restituieren. Hinkmar kreierte ein
Repertoire an Texten wie die Vita Remigii1302, die Collectio de raptoribus1303, die
Visio Eucherii1304, den Bericht über die Villa von Neuilly1305 und eine Denkschrift
1299 Vgl. zu Vorwürfen gegenüber Äbten Felten, Äbte S. 20: Es stand ein Arsenal an Vorwürfen zur
Verfügung, um Zustände, Verhaltensweisen oder Äbte selbst als unerträglich schildern zu
wollen- die sich aus dem bestimmten Bild eines „guten Abtes" ex negativo ableiten ließen.
1300 Bührer-Thierry, L'episcopat.
1301 Darauf lassen auch die Beschlüsse der Synoden von Yütz 844 (Vorrede und c.4, MGH Cone.. III,
Nr. 6) und Beauvais 845 (c. 3, MGH Cone.. III, Nr. 9) schließen. In Beauvais hatte Karl der Kahle
die Rückerstattung der in der Sedisvakanz von 835-845 entfremdeten Reimser Gütern zugesagt.
S. auch in diesem Zusammenhang seinen Brief an Pippin II. von Aqutianien: Flodoard, Historia
III c. 20, ed. Stratmann, S. 268.
1302 Vita Remigii, ed. Bruno Krusch, in: MGH SSRM II, S. 239-349.
1303 Collectio de raptoribus, MGH Cone.. III, ed. Hartmann, S. 392-398.
1304 Visio Eucherii, MGH Cone. III, ed. Hartmann, S. 414-417; vgl. Nonn, Bild.
1305 De villa Novilliaco, ed. Holder-Egger, in: MGH SS 15,2, S. 1167-1169; vgl. Schneider, Hinkmar,
S. 58-60. Zu Neuilly s. Mordek, Rechtsstreit.
309
des Klosters auch in hagiographischen Texten auszugestalten und Gründe für
das Streben nach Unabhängigkeit anzuführen. Dieses Streben konnte mit Ver-
weis auf bischöfliches Fehlverhalten begründet werden. Dafür nutzten die Au-
toren Diskurse über den Schutz des Kirchenguts, wie sie im 9. Jahrhundert be-
gründet worden sind. Der Schutz des Kirchenguts als ideologisches Konstrukt
diente in verschiedenen Textgattungen dazu, Personen als Amtsinhaber positiv
oder negativ zu charakterisieren1299. Wie das funktioniert hat, wird im Folgenden
am Beispiel von Mirakelberichten untersucht, indem zunächst die Entwicklung
des Wissensbestands rund um den Bischof als Schützer des Kirchenguts skiz-
ziert, im Anschluss die monastische Perspektive präsentiert und dann eine
Analyse der Miracula vorgenommen wird.
2. Bischöfe und Kirchengut im 9. und frühen 10. Jahrhundert —
die Selbstdarstellung der Bischöfe
Im 9. Jahrhundert formulierten die Bischöfe auf Konzilien den Schutz des
Kirchenguts als eine ihrer Hauptaufgaben. Missbrauch von Kirchengütern durch
den Herrscher, Verschleuderung und Veräußerungen der kirchlichen Besitzun-
gen waren seit der Merowingerzeit Themen von Bischofsversammlungen. Auch
auf den Konzilien des 9. Jahrhunderts wurde über Fragen des Umgangs mit dem
Kirchengut oft beraten1300. Während des Aufstands der Söhne gegen Ludwig den
Frommen und vor allem in den fränkischen Brüderkriegen nach dessen Tod 841
dienten Besitzungen und Einkünfte von Kirchen und Klöstern oftmals zur
Ausstattung von Getreuen1301. Hinkmar von Reims sah es nach seiner Erhebung
zum Erzbischof 845 als seine Hauptaufgabe an, das in den Brüderkriegen ent-
fremdete Kirchengut der Reimser Diözese zu restituieren. Hinkmar kreierte ein
Repertoire an Texten wie die Vita Remigii1302, die Collectio de raptoribus1303, die
Visio Eucherii1304, den Bericht über die Villa von Neuilly1305 und eine Denkschrift
1299 Vgl. zu Vorwürfen gegenüber Äbten Felten, Äbte S. 20: Es stand ein Arsenal an Vorwürfen zur
Verfügung, um Zustände, Verhaltensweisen oder Äbte selbst als unerträglich schildern zu
wollen- die sich aus dem bestimmten Bild eines „guten Abtes" ex negativo ableiten ließen.
1300 Bührer-Thierry, L'episcopat.
1301 Darauf lassen auch die Beschlüsse der Synoden von Yütz 844 (Vorrede und c.4, MGH Cone.. III,
Nr. 6) und Beauvais 845 (c. 3, MGH Cone.. III, Nr. 9) schließen. In Beauvais hatte Karl der Kahle
die Rückerstattung der in der Sedisvakanz von 835-845 entfremdeten Reimser Gütern zugesagt.
S. auch in diesem Zusammenhang seinen Brief an Pippin II. von Aqutianien: Flodoard, Historia
III c. 20, ed. Stratmann, S. 268.
1302 Vita Remigii, ed. Bruno Krusch, in: MGH SSRM II, S. 239-349.
1303 Collectio de raptoribus, MGH Cone.. III, ed. Hartmann, S. 392-398.
1304 Visio Eucherii, MGH Cone. III, ed. Hartmann, S. 414-417; vgl. Nonn, Bild.
1305 De villa Novilliaco, ed. Holder-Egger, in: MGH SS 15,2, S. 1167-1169; vgl. Schneider, Hinkmar,
S. 58-60. Zu Neuilly s. Mordek, Rechtsstreit.