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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0164
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7. Fazit

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7. Fazit
Die jahrelange Diskussion um die Absetzung Gunthars von Köln zeigt ohne
Zweifel die Bedeutung des Bischofsamtes669. Aber sie zeigt auch die Grenzen von
Wissensbeständen und damit verbundenen Erwartungshaltungen. Gunthar und
Thietgaud hegten bestimmte Erwartungshaltungen, und zwar gegenüber ihren
Mitbischöfen und dem Papst.
Es geht um Akzeptanz. Unter ganz bestimmten Umständen treffen Akteure
Entscheidungen, ihre Erwartungen und konzeptionellen Hintergründe sind
nicht auf einen Nenner zu bringen. Kollektives Wissen heißt nicht kollektive
Akzeptanz. Gemeinsames Wissen vom Bischofsamt mündet nicht zwangsläufig
in funktionale Solidarität. Es gibt keine Einheitsidentität, sondern Handlungs-
optionen innerhalb des Bischofsstandes. Abstrakte Zustimmung zu einem
Konzept heißt nicht, dass alle in tagespolitischen Entscheidungen diesem Kon-
zept folgen.
Zum Verfahren: die Legitimation erfolgte im Westfrankenreich durch das
Verfahren selbst, das durch die Bischöfe als Apostelnachfolger bestimmt wurde.
Die lothringischen Bischöfe versuchten, ein neues Problem mit dem vertrauten
Instrumentarium in den Griff zu bekommen und sich als moralische Autoritäten
zu inszenieren. Dem Papst hingegen ging es nur um Richtigkeit der Entschei-
dung und die garantierte er als Nachfolger des Apostels Petrus — dieser Konflikt
bzw. Unterschied im Rechtsverständnis ist nicht zu lösen.
Dieser fundamentale Unterschied in der Rechtsauffassung zeigt sich auch an
den nachträglichen Deutungen der Synode von Rom 863, auf der die Abset-
zungssentenz verkündet worden ist670
Die weitreichendste Entscheidung im Fall Gunthars und Thietgauds war,
den Papst einzubeziehen. Die Bischöfe waren sich ihrer Sache vollkommen sicher
und müssen von der Absetzung völlig überrascht worden sein. Aufgrund der
Eigeninteressen Karls des Kahlen und Ludwigs des Deutschen war von den
anderen Karolingern keine Unterstützung zu erwarten. Die (moralisch-rechtli-
che) Autorität des Papstes war so groß, dass die übrigen Bischöfe Lothringens
und König Lothar II. Gunthar und Thietgaud fallen ließen.
Doch die persönlichen Netzwerke und lokale Anhängerschaft in der civitas
Köln überdauerten die Absetzung. Erst die Verschärfung der Situation in Köln
durch den Einmarsch Karls des Kahlen in Lothringen brachte den endgültigen
Amtsverlust für Gunthar.
Wir haben es mit der Absetzung von Gunthar von Köln und Thietgaud von
Trier mit einem Sonderfall innerhalb der Bischofsabsetzungen des 9. und
10. Jahrhunderts zu tun. Wie bereits bei Rothad von Soissons wurde die Ange-
legenheit über die Grenzen des betroffenen Reiches (hier Lotharingien) hinaus

669 Vgl. Patzold, Episcopus, S. 542.

670 Gegen Philippe Buc gehe ich von diesem fundamentalen Unterschied in der Rechtsauffassung
aus und daher auch von einem Unterschied in der politischen Kultur, auf die in der Deutung der
Synode rekurriert wird. Vgl. Buc, Text and Ritual, S. 129.
 
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