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VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
nach dieser Kategorie von Richer beurteilt. Richer erklärt Arnulfs Verhalten
damit, dass er sich so und so verhalte, um selbst dem König nicht als Verräter zu
erscheinen — auch er täuscht durch Handeln965. Richer zieht selbst noch eine
doppelte Ebene ein, indem er Karl zum Schein Arnulf als Treulosen/Eidbrüchi-
gen (desertor) bezeichnen lässt, während Arnulf seinen Neffen einen invasor
(Kirchenräuber) nennt, um die Männer Hugo Capets zu täuschen und ihr
Komplott zu verheimlichen: Ab utroque querimonia nonnulla simulabatur, eo quod
alter desertor, alter invasor ab utroque predicaretur966. Mit der Wahl des Begriffs
desertor knüpft Richer direkt an die Selbstverfluchung Arnulfs an, die strafen
sollte, falls er zum „desertor" werde (si fidem violando umquarn desertor fierit967).
Zum Wortfeld der „Untreue" oder Treulosigkeit gehört in fränkischer Zeit ge-
meinhin der Begriff der perfidia. Perfidia meint Vertragsbrüchigkeit, Treulosigkeit,
aber auch Hinterlist/Listigkeit. Überraschenderweise wird aber Adalbero von
Laon bei Richer, der eine hinterlistige Handlung nach der anderen beschreibt
(küsst seine späteren Opfer öffentlich, umarmt sie, schwört auf Reliquien
Meineide) an keiner Stelle der perfidia bezichtigt. Bei Richer steht die Erwähnung
von perfidia immer im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Arnulf von
Reims. Die Erwähnungen von perfidia sind Übernahmen aus den Akten von St.
Basle, die von Gerbert verfasst wurden. So etwa die Stelle, an der es über Arnulf
von Reims heißt, die Treulosigkeit (perfidia) eines Einzelnen dürfe die priester-
liche Würde nicht schwächen (es handelt sich um ein Zitat aus der Rede des
Anklägers und Richters Arnulfs von Orleans)968.
Es ist bemerkenswert, dass Richer nach Wiedereinsetzung Arnulfs eine
solche negative Darstellung des aktuellen Amtsinhabers in seinem Werk bot, das
immerhin in einem Eigenkloster der Reimser Bischöfe entstanden war, wenn
auch die exakte Datierung nicht möglich ist.
6. Gerberts Konzept der bischöflichen Amtsgewalt:
Der Brief Gerberts an Wilderod von Straßburg als Anleitung
zur Deutung von St. Basle
Bei dem Brief Gerberts an Wilderord von Straßburg handelt es sich um eine
Anleitung zum Lesen der Konzilsakten von St. Basle969. Offenbar erklärten sich
die dort vorgenommenen Handlungen/Rituale nicht von selbst und die elabo-
rierten zu Grunde liegenden Konzepte mussten noch verdeutlich werden. Auch
965 So etwa in Richer IV, 32, S. 252 oder IV, 33, S. 254. Für Gerbert von Reims hingegen ist Arnulf von
Reims ein Traditor, so nennt er ihn in den Konzilsakten (S. 419). Richer hingegen verwendet
diesen Begriff nicht.
966 Richer IV, 35, S. 254, 11.
967 Richer IV, 30.
968 Richer IV, 53:
969 MGH Cone. VI,2, S. 451-469.
VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
nach dieser Kategorie von Richer beurteilt. Richer erklärt Arnulfs Verhalten
damit, dass er sich so und so verhalte, um selbst dem König nicht als Verräter zu
erscheinen — auch er täuscht durch Handeln965. Richer zieht selbst noch eine
doppelte Ebene ein, indem er Karl zum Schein Arnulf als Treulosen/Eidbrüchi-
gen (desertor) bezeichnen lässt, während Arnulf seinen Neffen einen invasor
(Kirchenräuber) nennt, um die Männer Hugo Capets zu täuschen und ihr
Komplott zu verheimlichen: Ab utroque querimonia nonnulla simulabatur, eo quod
alter desertor, alter invasor ab utroque predicaretur966. Mit der Wahl des Begriffs
desertor knüpft Richer direkt an die Selbstverfluchung Arnulfs an, die strafen
sollte, falls er zum „desertor" werde (si fidem violando umquarn desertor fierit967).
Zum Wortfeld der „Untreue" oder Treulosigkeit gehört in fränkischer Zeit ge-
meinhin der Begriff der perfidia. Perfidia meint Vertragsbrüchigkeit, Treulosigkeit,
aber auch Hinterlist/Listigkeit. Überraschenderweise wird aber Adalbero von
Laon bei Richer, der eine hinterlistige Handlung nach der anderen beschreibt
(küsst seine späteren Opfer öffentlich, umarmt sie, schwört auf Reliquien
Meineide) an keiner Stelle der perfidia bezichtigt. Bei Richer steht die Erwähnung
von perfidia immer im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Arnulf von
Reims. Die Erwähnungen von perfidia sind Übernahmen aus den Akten von St.
Basle, die von Gerbert verfasst wurden. So etwa die Stelle, an der es über Arnulf
von Reims heißt, die Treulosigkeit (perfidia) eines Einzelnen dürfe die priester-
liche Würde nicht schwächen (es handelt sich um ein Zitat aus der Rede des
Anklägers und Richters Arnulfs von Orleans)968.
Es ist bemerkenswert, dass Richer nach Wiedereinsetzung Arnulfs eine
solche negative Darstellung des aktuellen Amtsinhabers in seinem Werk bot, das
immerhin in einem Eigenkloster der Reimser Bischöfe entstanden war, wenn
auch die exakte Datierung nicht möglich ist.
6. Gerberts Konzept der bischöflichen Amtsgewalt:
Der Brief Gerberts an Wilderod von Straßburg als Anleitung
zur Deutung von St. Basle
Bei dem Brief Gerberts an Wilderord von Straßburg handelt es sich um eine
Anleitung zum Lesen der Konzilsakten von St. Basle969. Offenbar erklärten sich
die dort vorgenommenen Handlungen/Rituale nicht von selbst und die elabo-
rierten zu Grunde liegenden Konzepte mussten noch verdeutlich werden. Auch
965 So etwa in Richer IV, 32, S. 252 oder IV, 33, S. 254. Für Gerbert von Reims hingegen ist Arnulf von
Reims ein Traditor, so nennt er ihn in den Konzilsakten (S. 419). Richer hingegen verwendet
diesen Begriff nicht.
966 Richer IV, 35, S. 254, 11.
967 Richer IV, 30.
968 Richer IV, 53:
969 MGH Cone. VI,2, S. 451-469.