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IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
2. Konfliktführung und ihre Mittel in der politischen
Kultur Westfrankens: Das Beispiel der Absetzung
Hinkmars von Laon
2.1. Konfliktanlass und Chronologie des Konflikts
Zunächst handelte es sich 868 um einen Konflikt zwischen Bischof Hinkmar von
Laon und König Karl dem Kahlen, der sich am Umgang des Königs mit Kirch-
engut des Bistums Laon entzündete. Doch schon ein Jahr später war auch der
gleichnamige Onkel und Metropolit Hinkmars von Laon, Hinkmar von Reims,
in den Konflikt involviert. Somit waren an dem Konflikt Akteure aus dem in-
nersten Kreis der politischen Ordnung beteiligt373. Hinkmar von Laon war einer
der führenden Bischöfe des Westfrankenreiches und mit den Funktionsweisen
des Hofes und der Politik vertraut374. Er war im Umfeld seines Onkels erzogen
und als etwa Zwanzigjähriger unter dessen tatkräftiger Mitwirkung 858 als Bi-
schof von Laon installiert worden. Von seinem Onkel protegiert, gelangte er früh
in die inneren politischen Kreise Westfrankens. So durfte er schon im Jahr seiner
Wahl 858 nach dem Einfall Ludwigs des Deutschen im Westfrankenreich das von
Hinkmar von Reims verfasste Sendschreiben an Karl den Kahlen persönlich
übergeben. Er nahm an einer Delegation nach Ostfranken 859 und an einem
Treffen zwischen den Herrschern der karolingischen Teilreiche 862 teil. Darüber
hinaus setzte Karl der Kahle ihn offenbar sogar als Königsboten in der Gotia
ein375. Hinkmar von Laon profitierte ohne Zweifel von der politisch einflussrei-
chen Stellung seines Onkels und ihm gelang ein schneller und steiler Aufstieg.
Der Konflikt mit Karl dem Kahlen brach 868 aus und entzündete sich am
Streit über ein Gut der Kirche von Laon, das Karl an einen seiner Grafen aus-
gegeben hatte — angeblich mit Zustimmung des Bischofs. Dieser jedoch wehrte
sich gegen den königlichen Zugriff auf Kirchengut, drang mit bewaffneten
Truppen in das Landgut ein und vertrieb den königlichen Getreuen. Karl der
Kahle lud Hinkmar von Laon daraufhin vor ein weltliches Gericht. Dieser Vor-
ladung leistete der Bischof jedoch keine Folge. Karl schickte Bewaffnete, um den
Bischof mit Gewalt zur Befolgung der Vorladung zu zwingen. Hinkmar von
Laon handelte gemäß den Erwartungen, die von den Bischöfen selbst an ihr Amt
373 Zu den Konflikten zwischen Karl dem Kahlen und Hinkmar von Reims und dem Sturz des
Bischofs von Laon s. McKeon, Hincmar of Laon; Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 43-54;
Fuhrmann, Fälscher unter sich, S. 237-254; Ders., Einfluß III, bes. S. 627-633, 651-763; Devisse,
Hincmar, S. 766-785; Schrörs, Hinkmar, S. 315-353. Zu der metropolitanrechtlichen Konzeption
des älteren Hinkmar als Hintergrund des Konflikts vgl. die Analyse bei Schrör, Metropolitan-
gewalt, S. 60-75 (Hinkmar von Reims als entschiedenster Vertreter der Metropolitangewalt des
9. Jahrhunderts gegen Hinkmar von Laon und Rothad von Soissons), bes. S. 70-72 zu Hinkmar
von Laon.
374 Zum Werdegang Hinkmars von Laon vor seinem Konflikt mit König und Erzbischof vgl.
McKeon, Hincmar of Laon; Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 40-43.
375 Vgl. Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 41 mit Anm. 162. Beleg in der Rotula prolixa, ed.
Schieffer, Streitschriften, S. 368 f.
IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
2. Konfliktführung und ihre Mittel in der politischen
Kultur Westfrankens: Das Beispiel der Absetzung
Hinkmars von Laon
2.1. Konfliktanlass und Chronologie des Konflikts
Zunächst handelte es sich 868 um einen Konflikt zwischen Bischof Hinkmar von
Laon und König Karl dem Kahlen, der sich am Umgang des Königs mit Kirch-
engut des Bistums Laon entzündete. Doch schon ein Jahr später war auch der
gleichnamige Onkel und Metropolit Hinkmars von Laon, Hinkmar von Reims,
in den Konflikt involviert. Somit waren an dem Konflikt Akteure aus dem in-
nersten Kreis der politischen Ordnung beteiligt373. Hinkmar von Laon war einer
der führenden Bischöfe des Westfrankenreiches und mit den Funktionsweisen
des Hofes und der Politik vertraut374. Er war im Umfeld seines Onkels erzogen
und als etwa Zwanzigjähriger unter dessen tatkräftiger Mitwirkung 858 als Bi-
schof von Laon installiert worden. Von seinem Onkel protegiert, gelangte er früh
in die inneren politischen Kreise Westfrankens. So durfte er schon im Jahr seiner
Wahl 858 nach dem Einfall Ludwigs des Deutschen im Westfrankenreich das von
Hinkmar von Reims verfasste Sendschreiben an Karl den Kahlen persönlich
übergeben. Er nahm an einer Delegation nach Ostfranken 859 und an einem
Treffen zwischen den Herrschern der karolingischen Teilreiche 862 teil. Darüber
hinaus setzte Karl der Kahle ihn offenbar sogar als Königsboten in der Gotia
ein375. Hinkmar von Laon profitierte ohne Zweifel von der politisch einflussrei-
chen Stellung seines Onkels und ihm gelang ein schneller und steiler Aufstieg.
Der Konflikt mit Karl dem Kahlen brach 868 aus und entzündete sich am
Streit über ein Gut der Kirche von Laon, das Karl an einen seiner Grafen aus-
gegeben hatte — angeblich mit Zustimmung des Bischofs. Dieser jedoch wehrte
sich gegen den königlichen Zugriff auf Kirchengut, drang mit bewaffneten
Truppen in das Landgut ein und vertrieb den königlichen Getreuen. Karl der
Kahle lud Hinkmar von Laon daraufhin vor ein weltliches Gericht. Dieser Vor-
ladung leistete der Bischof jedoch keine Folge. Karl schickte Bewaffnete, um den
Bischof mit Gewalt zur Befolgung der Vorladung zu zwingen. Hinkmar von
Laon handelte gemäß den Erwartungen, die von den Bischöfen selbst an ihr Amt
373 Zu den Konflikten zwischen Karl dem Kahlen und Hinkmar von Reims und dem Sturz des
Bischofs von Laon s. McKeon, Hincmar of Laon; Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 43-54;
Fuhrmann, Fälscher unter sich, S. 237-254; Ders., Einfluß III, bes. S. 627-633, 651-763; Devisse,
Hincmar, S. 766-785; Schrörs, Hinkmar, S. 315-353. Zu der metropolitanrechtlichen Konzeption
des älteren Hinkmar als Hintergrund des Konflikts vgl. die Analyse bei Schrör, Metropolitan-
gewalt, S. 60-75 (Hinkmar von Reims als entschiedenster Vertreter der Metropolitangewalt des
9. Jahrhunderts gegen Hinkmar von Laon und Rothad von Soissons), bes. S. 70-72 zu Hinkmar
von Laon.
374 Zum Werdegang Hinkmars von Laon vor seinem Konflikt mit König und Erzbischof vgl.
McKeon, Hincmar of Laon; Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 40-43.
375 Vgl. Zechiel-Eckes, Rebellische Kleriker, S. 41 mit Anm. 162. Beleg in der Rotula prolixa, ed.
Schieffer, Streitschriften, S. 368 f.