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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0146
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5. Diskussionen nach der Absetzung: Die Strategien Gunthars und Thietgauds

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5.3. Publizistik
Nachdem die militärische und diplomatische Intervention des Kaisers erfolglos
geblieben war, wählten die Erzbischöfe als nächstes das Mittel der Publizistik. Sie
verfassten ein Rundschreiben, in dem sie sich über das päpstliche Vorgehen
beschwerten. Das Schreiben kursierte im ganzen Abendland und in Byzanz.
Gunthar und Thietgaud wollten, dass auch der Papst ihr Protestschreiben zur
Kenntnis nahm, dieser weigerte sich jedoch. Über die Form des bischöflichen
Protests in Rom liegt uns nur eine Schilderung Hinkmars von Reims in den
Annales Bertiniani vor: Laut Hinkmar habe nach vorheriger Absprache Hilduin,
der Bruder Gunthars, das Protestschreiben auf die Gebeine des heiligen Petrus
gelegt, nachdem er sich mit bewaffneten Gefolgsleuten Gunthars Zutritt zur
Peterskirche verschafft hatte571. Hinkmar versucht mit diesem Bericht, den Pro-
test der Bischöfe selbst zu entkräften, indem er ihre rituelle Handlung in eine
blutige Entweihung des Petersschreins verwandelt572. Ob diese symbolische
Handlung stattgefunden hat, ist zwar nicht mit Sicherheit zu sagen. Doch eine
Analyse der Protestschrift der Bischöfe macht in jedem Fall deutlich, dass die
Metropoliten den Papst nicht als alleinigen „Zugang", als Vermittler zu Petrus
akzeptierten, sondern ihren eigenen Weg zum Apostelfürsten suchten.
Die Schrift ist uns in zwei Fassungen überliefert: in den Annales Bertiniani
und den Annales Fuldenses573. Nur Hinkmar von Reims kleidet den Bericht über
das Protestschreiben in den negativen narrativen Kontext von dem gewalttätigen
Auftreten in Rom. Nach dem Bann musste insbesondere die Argumentation in
jenen Schreiben, die an die fränkischen Amtsbrüder gerichtet waren und in den
verschiedenen Reichsteilen zirkulierten, so gestaltet sein, dass sie auf Glaub-
würdigkeit traf. Der Brief enthält ein Begleitschreiben und Kapitel, in denen sie
ihre Beschwerden gegen den Papst vorbringen. Im Begleitschreiben wenden sich
die beiden abgesetzten Metropoliten hilfesuchend an ihre Mitbischöfe. Sie be-
tonen, dass sie mit ihrem König zusammen diese schwere Zeit durchstehen.
Nikolaus I. wird als Feind bezeichnet und scharf angegriffen. Nikolaus mache
sich zum Herrscher über die ganze Welt574. Gunthar und Thietgaud sendeten
diesen Brief, damit die lothringischen Bischöfe ihre Klage gegen den Papst
nachvollziehen können. Die im Mittelreich verbliebenen Bischöfe sollten den
König durch Besuche unterstützen und vor allem den König Ludwig (den
Deutschen) beständig ermahnen und beraten, weil auf dem Frieden „dieser
Könige unser Friede ruht575". Die abgesetzten Bischöfe nehmen explizit Bezug

571 Annales Bertiniani ad. a. 864, ed. Grat, S. 111.

572 Buc, Text and Ritual, S. 131.

573 Annales Bertiniani ad. a.864, ed. Grat, S. 107-110; in den Annales Fuldenses nur in der Rezension
B, ed. Simson, S. 60-61. Hartmann bietet in den MGH Cone. IV, S. 156-158 eine Synopse der beiden
Fassungen. Zu den Abweichungen in den Schilderungen vgl. Buc, Text and Ritual.

574 Schreiben Gunthars und Thietgauds an Nikoalus I.: Nam, quamuis domnus Nicolaus, qui dicitur
papa et qui se apostolum inter apostolos adnumerat totiusque mundi imperator se facit..., Annales
Bertiniani ad. a. 864, ed. Grat, S. 107.

575 Ebd.: quoniam in pace eorum regum erit pax nostra.
 
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