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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0221
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220

VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims

Huth erkannte zwar durchaus, dass eine Parallele zu Ebo von Reims gezogen
worden ist, fragt aber nicht nach der Funktionsweise dieser Praktik, da er auf der
Ebene der Persönlichkeit der Akteure argumentiert: Gerbert sei hinterhältig,
infam und charakterlos917. Huth folgt dabei Carlrichard Brühl, der ebenfalls die
moralischen Qualitäten des Reimser Erzbischofs und späteren Papstes in den
Mittelpunkt seiner Bewertung stellte und laut Huth nachgewiesen habe, dass die
Zeugnisse Gerberts und Richers unseriös und unglaubwürdig seien918.
Im Gegensatz dazu lobt die französische Forschung die Brillanz und Ge-
lehrsamkeit sowie den eleganten Stil Gerberts und bescheinigt den Akten von St.
Basie hohe Glaubwürdigkeit919.
Erst in jüngerer Zeit ist ein Zugang zu St. Basie jenseits der persönlichen
Charaktereigenschaften gefunden worden. Laurent Jegou920 und Stuart Arilie921
etwa beschäftigen sich mit der Korrelation von Amtsvorstellungen und Nor-
meneinsatz. Sie fragen nach kirchenrechtlichen Argumenten, dem Verhältnis zu
karolingischen Bischofsabsetzungen und dem Rechtsverständnis im Umfeld von
St. Basle. Beide kommen zu völlig unterschiedlichen Bewertungen der Vorgänge
in St. Basle. Während Airlie eine Simplifizierung und einen deutlichen Abfall der
Reflexionsebene gegenüber der karolingischen Zeit sieht922, möchte Jegou — in
guter französischer Tradition — durch die Brillanz Gerberts von Reims ein neues
abstraktes Verständnis von Normen erkennen923. Jegou widmet sich in seiner
Studie bischöflichem Handeln in einem größeren Kontext der Rechtsprechung,
Vermittlung und Friedenssicherung. Er konstatiert im Verfahren von St. Basle
einen Widerspruch zwischen schriftlichen Normen und „außergerichtlichen"
Formen der Konfliktbeilegung; das heißt, einen Gegensatz zwischen Laien-Elite
und Männern der Kirche924. Normen hätten die Affäre aber nicht gelöst, da der
Erzbischof sich einer rituellen Unterwerfung in der Krypta ausgeliefert habe.
Airlies Argumentation stützt sich hingegen vor allem auf die Verwendung
des Begriffs infidelitas, die das Verhältnis zwischen König und Bischof gegenüber
den karolingischen Konzepten vereinfache. Die Verwendung des infidelitas-Be-
griffs wird daher zu überprüfen sein.
Ohne Zweifel sind die infidelitas und der Verrat Kernelemente der Anklage
gegen Arnulf, dem vorgeworfen wird, er habe einen Treueid gegen Hugo Capet

917 Ebd., S. 101. Huth spricht hier von der „Virtuosität der Verstellungsgabe Gerberts". Vgl. auch den
Verweis auf die „Feststellungen" Carlrichard Brühls zur „völligen Charakterlosigkeit" Gerberts
(Brühl, Deutschland-Frankreich, S. 598).

918 Zur Bewertung Richers vgl. Huth, Erzbischof Arnulf, S. 86 mit Anm. 6.

919 Es handelt sich um völlig unterschiedliche Ausgangspunkte und Bewertungsgrundlagen. Vol-
ker Huth steht der positiven Wertung der Franzosen richtiggehend fassungslos gegenüber, vgl.
Huth, Erzbischof Arnulf, S. 95 mit Anm. 57 zu Riche, Gerbert d'Aurillac.

920 Vgl. Jegou, Eveque.

921 Vgl. Airlie, Not rendering unto Caesar, hier S. 497ff.

922 Ebd.

923 Jegou, Eveque, S. 429-431.

924 Jegou, Eveque, S. 424.
 
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