4. Besonderheiten der Synode: Die Suche nach dem richtigen Verfahren für eine Absetzung 225
Gerbert verwendet hauptsächlich Zitate aus den Konzilien von Toledo, vgl.
bes. Toledo IV (633) und Toledo VI (635) zum Schutz des Königtums935. Auch in
Hohenaltheim 916 hatten die Synodalen den Schutz des Königtums in unruhigen
Zeiten mit Toledaner Kanones gefordert. Gerbert rezipiert auch Hinkmars
Konzilsverständnis und die Wertschätzung des Konzils von Nicäa936.
Zugang zu Hinkmars 55-Kapitelwerk konnte Gerbert über mindestens zwei
Wege erhalten haben, entweder über eine Arbeitshandschrift Flodoards, der das
Werk in seiner Bistumsgeschichte verarbeitet hat, oder sogar über ein Exemplar
Hinkmars von Reims selbst937. Es handelt sich um einen komplexen Prozess: Das
reine „Vorhandensein" von Wissen in Texten ist nur die Voraussetzung für die
Ingangsetzung dieses Prozesses. Es geht um ein Thema, das hier für Gerbert
persönlich, für die Gruppe von Bischöfen und besonders für die Gemeinschaft
des Reimser Klerus eine große Bedeutung hat, nämlich um unwürdige Erzbi-
schöfe von Reims. Die Dokumente in Archiv und Bibliothek enthalten hierfür
aufbereitetes Wissen, das zwar inaktiv, aber in Pergament gespeichert ist. Das
Archiv von Reims dient ohne Zweifel als Wissensspeicher nicht nur zur Vertei-
digung der (besitz)rechtlichen Ansprüche einer Kirche, sondern auch zur Auf-
findung von historischen Exempla. Es hat das Potential, „spirituelle Gewalt"938
zu fundieren und ebenso Handlungsanweisungen und Orientierung zu bieten.
Es bedarfjedoch einer Aktivierung und gezielten Nutzung in einer „Geschichte":
Gerbert baut seine Präsentation der Absetzung Arnulfs rund um historische
Exempla auf.
Es werden historische Fälle von Bischöfen, die Verrat begangen haben, als
Argumente aufgeführt. Neben Ebo nennt Gerbert hier auch Egidius von Reims
als Beispiel939. Ein historischer Kontext wird konstruiert, in dem Erzbischöfe von
Reims Verrat an ihrem König begehen. Arnulf soll in diese Reihe eingeordnet
werden und Gerbert möchte dem in seinen Augen unwürdigem Bischof mit dem
Instrumentarium begegnen, das eine sozio-kulturelle Gemeinschaft aus dem
9. Jahrhundert entwickelt und das Flodoard von Reims überliefert hat. Jedoch ist
der Erfolg nicht gesichert.
Im Absetzungsprozess spielte das Schriftstück, mit dem Arnulf seinen
Treueid gegenüber Hugo Capet in Form eines Chirographen hat fixieren lassen,
eine zentrale Rolle. Das Schriftstück wurde laut Richer zweigeteilt und Arnulf
und der König nahmen jeweils einen Teil an sich940.
935 MGH Cone. VI,2, c. 32, S. 434f., c. 33, S. 435 f., c. 35, S. 437 und öfter; Edition der westgotischen
Konzilien: La Coleccion Canonica Hispana. 5, ed. Martinez Diez / Rodriguez Barbero.
936 Vgl. dazu Stratmann, Wirkungsgeschichte; Giordanengo, Concile.
937 Bereits Schieffer hat auf die Nutzung des 55-Kapitelwerks durch Gerbert von Reims aufmerksam
gemacht (Streitschriften, ed. Schieffer, S. 122). Vgl. auch die Nachweise für die Benutzung durch
Gerbert in den Akten von St. Basie bei Hehl, Cone. VI,2, S.427 mit Anm. 327.
938 Vgl. zu diesem Begriff Jaser, Archiv, S. 45-48.
939 Zu Egidius vgl. Isaia, Egidius.
940 Richer, Historiae IV, c. 29, S. 251: lussus itaque cirographum bipertitum notavit. Zu Chiropgrahen
allg. vgl. Parisse, Remarques. Zum Chirograph Arnulfs Glenn, Politics, S. 114; Dachowski, First
among abbots, S. 100 ff.
Gerbert verwendet hauptsächlich Zitate aus den Konzilien von Toledo, vgl.
bes. Toledo IV (633) und Toledo VI (635) zum Schutz des Königtums935. Auch in
Hohenaltheim 916 hatten die Synodalen den Schutz des Königtums in unruhigen
Zeiten mit Toledaner Kanones gefordert. Gerbert rezipiert auch Hinkmars
Konzilsverständnis und die Wertschätzung des Konzils von Nicäa936.
Zugang zu Hinkmars 55-Kapitelwerk konnte Gerbert über mindestens zwei
Wege erhalten haben, entweder über eine Arbeitshandschrift Flodoards, der das
Werk in seiner Bistumsgeschichte verarbeitet hat, oder sogar über ein Exemplar
Hinkmars von Reims selbst937. Es handelt sich um einen komplexen Prozess: Das
reine „Vorhandensein" von Wissen in Texten ist nur die Voraussetzung für die
Ingangsetzung dieses Prozesses. Es geht um ein Thema, das hier für Gerbert
persönlich, für die Gruppe von Bischöfen und besonders für die Gemeinschaft
des Reimser Klerus eine große Bedeutung hat, nämlich um unwürdige Erzbi-
schöfe von Reims. Die Dokumente in Archiv und Bibliothek enthalten hierfür
aufbereitetes Wissen, das zwar inaktiv, aber in Pergament gespeichert ist. Das
Archiv von Reims dient ohne Zweifel als Wissensspeicher nicht nur zur Vertei-
digung der (besitz)rechtlichen Ansprüche einer Kirche, sondern auch zur Auf-
findung von historischen Exempla. Es hat das Potential, „spirituelle Gewalt"938
zu fundieren und ebenso Handlungsanweisungen und Orientierung zu bieten.
Es bedarfjedoch einer Aktivierung und gezielten Nutzung in einer „Geschichte":
Gerbert baut seine Präsentation der Absetzung Arnulfs rund um historische
Exempla auf.
Es werden historische Fälle von Bischöfen, die Verrat begangen haben, als
Argumente aufgeführt. Neben Ebo nennt Gerbert hier auch Egidius von Reims
als Beispiel939. Ein historischer Kontext wird konstruiert, in dem Erzbischöfe von
Reims Verrat an ihrem König begehen. Arnulf soll in diese Reihe eingeordnet
werden und Gerbert möchte dem in seinen Augen unwürdigem Bischof mit dem
Instrumentarium begegnen, das eine sozio-kulturelle Gemeinschaft aus dem
9. Jahrhundert entwickelt und das Flodoard von Reims überliefert hat. Jedoch ist
der Erfolg nicht gesichert.
Im Absetzungsprozess spielte das Schriftstück, mit dem Arnulf seinen
Treueid gegenüber Hugo Capet in Form eines Chirographen hat fixieren lassen,
eine zentrale Rolle. Das Schriftstück wurde laut Richer zweigeteilt und Arnulf
und der König nahmen jeweils einen Teil an sich940.
935 MGH Cone. VI,2, c. 32, S. 434f., c. 33, S. 435 f., c. 35, S. 437 und öfter; Edition der westgotischen
Konzilien: La Coleccion Canonica Hispana. 5, ed. Martinez Diez / Rodriguez Barbero.
936 Vgl. dazu Stratmann, Wirkungsgeschichte; Giordanengo, Concile.
937 Bereits Schieffer hat auf die Nutzung des 55-Kapitelwerks durch Gerbert von Reims aufmerksam
gemacht (Streitschriften, ed. Schieffer, S. 122). Vgl. auch die Nachweise für die Benutzung durch
Gerbert in den Akten von St. Basie bei Hehl, Cone. VI,2, S.427 mit Anm. 327.
938 Vgl. zu diesem Begriff Jaser, Archiv, S. 45-48.
939 Zu Egidius vgl. Isaia, Egidius.
940 Richer, Historiae IV, c. 29, S. 251: lussus itaque cirographum bipertitum notavit. Zu Chiropgrahen
allg. vgl. Parisse, Remarques. Zum Chirograph Arnulfs Glenn, Politics, S. 114; Dachowski, First
among abbots, S. 100 ff.