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VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
und nutzen kann, der ich bislang unwürdig vorstand. Und damit ich weiterhin
keine Rückforderung oder Klage auf Basis kanonischer Autorität geltend mache,
habe ich mit meiner eigenen Hand unterschreibend bestätigt. Ich Arnulf, einst
Erzbischof, habe unterschrieben"930.
Arnulf von Reims liest eine Resignation vor, die bis auf wenige Zusätze
wortgleich mit der Abdankungserklärung Ebos von Reims übereinstimmt931.
Zugefügt wurde die Auflistung aller anwesenden Bischöfe, die sich Arnulf als
Beichtväter und Richter bestimmt hatte932 und der Zusatz, dass er seiner Sünden/
Vergehen auch öffentlich angeklagt wurde.
Ohne Zweifel haben Gerbert und die anderen Synodalen als Vorlage für
Arnulfs Absetzungserklärung den Abdankungslibell Ebos von 835 in der
Überlieferung durch den Reimser Archivar Flodoard benutzt.
Zur Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens hat Gerbert Funkti-
onswissen über das Bischofsamt, das im Reimser Archiv gespeichert war (= als
Speicherwissen), aktiviert. Am Anfang muss eine Suche gestanden haben, eine
Suche danach, was im kulturellen Gedächtnis der Reimser Kirche „schlum-
merte". Archiv und Bibliothek waren Orte, an denen dieses Wissen zu finden
war. Hier wurde dieses mit einem Ort, einer Institution verbundene Wissen
unabhängig von einzelnen Personen gespeichert933. Gerbert fand die Dokumente
zu den Absetzungsfällen aus dem 9. Jahrhundert: Zu dem Fall Ebos und Hink-
mars von Laon. Im Zuge des Prozesses gegen Hinkmar von Laon hatte Hinkmar
von Reims sein 55-KapiteIwerk angefertigt, das für Gerbert sehr hilfreich war, da
er hier eine Zusammenstellung der kirchenrechtlichen Normen fand, die bei
einem Verfahren gegen einen Bischof, der seine Amtswürde missbrauchte, zur
Anwendung kommen konnten. Die Beschlüsse der westgotischen Konzilien,
vermittelt über die Hispana, die Gerbert im Fall Arnulfs heranzog, konnte er hier
finden.
Gerbert zitiert mehrfach aus Hinkmars 55-Kapitelwerk, das er intensiv re-
zipierte zur Zuständigkeit von Konzilien. Gerbert erwähnt Hinkmar sogar na-
mentlich als ausgewiesenen Spezialisten des Kirchenrechts934. Die Hispana war
eine der wichtigsten Kanones-Sammlungen, westgotische und afrikanische
Konzilien wurden auch von Hinkmar zur Argumentation hinzugezogen, z. B. im
Streit mit seinem Neffen und Suffragan Hinkmar von Laon. Da Gerbert die
Streitschriften der beiden Hinkmare kannte, war es sehr naheliegend, die His-
pana in einem Prozess gegen einen Bischof zu Rate zu ziehen.
930 MGH Cone. VI,2, ed. Hehl, S. 449,1-17.
931 MGH Cone. 11,2, S. 702,9-20. Zur Überlieferung und der benutzen Vorlage durch die Synodalen
von St. Basle s. MGH Cone. VI,2, S. 449 Anm. 452.
932 Vollständige Auflösung der Namen durch Hehl in MGH Cone. VI,2, S. 449 in den Anm.
933 Vgl. zu diesem Konzept und dieser Unterscheidung Assmann, Erinnerungsräume, bes. S. 133-
137 zu Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis als zwei komplementären Modi der Er-
innerung.
934 Audite, quid hinc sentiat Hincmarus, Remorum archiepiscopus et in lege deieruditissimus. Scribens enim
ad Nicolaum papam ita inquit...(MGH Cone. IV, S. 428)
VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
und nutzen kann, der ich bislang unwürdig vorstand. Und damit ich weiterhin
keine Rückforderung oder Klage auf Basis kanonischer Autorität geltend mache,
habe ich mit meiner eigenen Hand unterschreibend bestätigt. Ich Arnulf, einst
Erzbischof, habe unterschrieben"930.
Arnulf von Reims liest eine Resignation vor, die bis auf wenige Zusätze
wortgleich mit der Abdankungserklärung Ebos von Reims übereinstimmt931.
Zugefügt wurde die Auflistung aller anwesenden Bischöfe, die sich Arnulf als
Beichtväter und Richter bestimmt hatte932 und der Zusatz, dass er seiner Sünden/
Vergehen auch öffentlich angeklagt wurde.
Ohne Zweifel haben Gerbert und die anderen Synodalen als Vorlage für
Arnulfs Absetzungserklärung den Abdankungslibell Ebos von 835 in der
Überlieferung durch den Reimser Archivar Flodoard benutzt.
Zur Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens hat Gerbert Funkti-
onswissen über das Bischofsamt, das im Reimser Archiv gespeichert war (= als
Speicherwissen), aktiviert. Am Anfang muss eine Suche gestanden haben, eine
Suche danach, was im kulturellen Gedächtnis der Reimser Kirche „schlum-
merte". Archiv und Bibliothek waren Orte, an denen dieses Wissen zu finden
war. Hier wurde dieses mit einem Ort, einer Institution verbundene Wissen
unabhängig von einzelnen Personen gespeichert933. Gerbert fand die Dokumente
zu den Absetzungsfällen aus dem 9. Jahrhundert: Zu dem Fall Ebos und Hink-
mars von Laon. Im Zuge des Prozesses gegen Hinkmar von Laon hatte Hinkmar
von Reims sein 55-KapiteIwerk angefertigt, das für Gerbert sehr hilfreich war, da
er hier eine Zusammenstellung der kirchenrechtlichen Normen fand, die bei
einem Verfahren gegen einen Bischof, der seine Amtswürde missbrauchte, zur
Anwendung kommen konnten. Die Beschlüsse der westgotischen Konzilien,
vermittelt über die Hispana, die Gerbert im Fall Arnulfs heranzog, konnte er hier
finden.
Gerbert zitiert mehrfach aus Hinkmars 55-Kapitelwerk, das er intensiv re-
zipierte zur Zuständigkeit von Konzilien. Gerbert erwähnt Hinkmar sogar na-
mentlich als ausgewiesenen Spezialisten des Kirchenrechts934. Die Hispana war
eine der wichtigsten Kanones-Sammlungen, westgotische und afrikanische
Konzilien wurden auch von Hinkmar zur Argumentation hinzugezogen, z. B. im
Streit mit seinem Neffen und Suffragan Hinkmar von Laon. Da Gerbert die
Streitschriften der beiden Hinkmare kannte, war es sehr naheliegend, die His-
pana in einem Prozess gegen einen Bischof zu Rate zu ziehen.
930 MGH Cone. VI,2, ed. Hehl, S. 449,1-17.
931 MGH Cone. 11,2, S. 702,9-20. Zur Überlieferung und der benutzen Vorlage durch die Synodalen
von St. Basle s. MGH Cone. VI,2, S. 449 Anm. 452.
932 Vollständige Auflösung der Namen durch Hehl in MGH Cone. VI,2, S. 449 in den Anm.
933 Vgl. zu diesem Konzept und dieser Unterscheidung Assmann, Erinnerungsräume, bes. S. 133-
137 zu Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis als zwei komplementären Modi der Er-
innerung.
934 Audite, quid hinc sentiat Hincmarus, Remorum archiepiscopus et in lege deieruditissimus. Scribens enim
ad Nicolaum papam ita inquit...(MGH Cone. IV, S. 428)