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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0232
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5. Richers Historia und Gerberts Konzilsakten: der Verratsdiskurs

231

Bei Richer spielt das Abendmahl und die Selbstverfluchung959 in Zusammen-
hang mit Verrat eine zentrale Rolle. Der Verrat des Judas erscheint als ein Ele-
ment, das Raum und Zeit überwindet und quasi in einer Art Zirkelzeit immer
wieder in neuen Konstellationen in der Welt stattfindet. Die Chronisten sind die,
die darauf hinweisen, die die Ereignisse über Raum und Zeit hinweg in einen
größeren Sinnzusammenhang stellen. Bei Richer korrespondiert der Verrat
Adalberos von Laon — der offenbar nicht das einzige Fehlverhalten des Wür-
denträgers war960 — innerhalb der Erzählung mit dem Verrat Arnulfs von Reims.
So wurde Arnulf von Reims einer echten Abendmahlsprobe unterzogen, wo-
hingegen Richer Adalbero und Karl das Abendmahl in Form eines gemeinsamen
Abendessens nur „nachspielen" lässt. Es ist keine echte symbolische Handlung
wie das liturgische Abendmahl, sondern ein durch die Gleichsetzung von Karl
mit Christus fast schon ins Blasphemische gleitendes „quasi als ob". Es ist also
eine erzählerische Möglichkeit, die in den Köpfen der Leser oder Hörer eine
bestimmte Assoziation wachrufen soll. Arnulf wird laut Richer aufgrund des
gegen ihn herrschenden Misstrauens unter der politischen Anhängerschaft
Hugo Capets961 zu einem beeindruckenden Paket an öffentlichen Treue-De-
monstrationen gezwungen. Zunächst leistet er einen Eid, den er auf Wunsch des
Königs in Form eines Chirographen schriftlich fixiert, zusammen mit einer
Selbstverfluchung, dass sich für ihn alles Gute zum Bösen wenden werde, sollte
er diesen Eid brechen962. Einige Bischöfe forderten aber zusätzlich noch eine
Selbstverfluchung und Abendmahlsprobe. Und so wurde Arnulf die Eucharistie
gereicht und dieser schwor, dass ihm diese zur Verdammnis gereichen sollte,
falls er seinen Eid(seine Treue) in irgendeiner Form brechen sollte963. An diesem
Vorgehen jedoch gab es laut Richer Kritik von „verständigen Leuten", die
mahnten, die Eucharistie dürfte niemanden zum Verderben, sondern immer nur
zum Heil gereicht werden. Unwürdige sollten kein Abendmahl erhalten. Die
Selbstverfluchung oder Abendmahlsprobe war kirchenrechtlich hoch umstrit-
ten964. Richer schreibt, dass die kundigen Konzils- und Väterbeschlüsse für ihre
theologischen Argumente anführten. Mit dieser Passage ist zwar die Kritik an
der Praxis verbunden, aber auch eine Andeutung gemacht, dass Arnulf sich als
unwürdig erweisen wird.
Denn dass er Arnulf für einen Verräter oder zumindest Treulosen hält, daran
lässt Richer keine Zweifel. Sein Verhalten macht ihn zum „desertor", bzw. er wird

959 Zu dem Fluchpsalm 108/09 s. oben.

960 S. unten. Vgl. die Hinweise bei Koziol, Begging Pardon, S. 119 und 198 sowie Riche, Vieux traitre.

961 Ein deutlicher Beweis für das offene Misstrauen, das dem Karolinger Arnulf entgegengebracht
wurde, ist der Mahnbrief Adalberos von Reims an Hugo Capet, in dem er den gerade von ihm
Gekrönten warnt, Arnulf zum Erzbischof von Reims zu erheben, einen Mann, der laut Adalbero
der königlichen Gewalt gegenüber illoyal sein wird (Gerbert, Correspondance, Ep. 154).

962 Richer IV, 28 und 29.

963 Ebd. IV, 30. Vgl. zur sogenannten Abendmahlsprobe als Gottesurteil für Geistliche grundlegend
Browe, Abendmahlsprobe, hier bes. S. 246 f.

964 Browe, Abendmahlsprobe, S. 247 ff. zur Kritik an der Abendmahlsprobe (ab dem 12. Jahrhun-
dert).
 
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