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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0315
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XI. Die monastische Konstruktion bischöflichen Fehlverhaltens

übertragenen Königsklöstern1325. Steffen Patzold hat zuletzt darauf aufmerksam
gemacht, dass St. Gallen erst 854 die Unabhängigkeit vom Konstanzer Diözesan
erlangen konnte und Ratpert Ende des 9. Jahrhunderts nicht nur den Weg der
Loslösung erzählte, sondern auch versuchte, diese Unabhängigkeit in weit zu-
rückliegende Zeiten zu datieren1326. Die Beschwerden betreffen entweder das
Handeln des Bischofs selbst als Abt des Klosters in Personalunion oder das
Verhalten eines externen durch den Bischof eingesetzten (Laien-)Abtes oder
ordofremden Abtes. Ratpert versucht in seinen Casus S. Galli, eine Unabhän-
gigkeit des Klosters vom Konstanzer Bischof schon für frühere Zeiten zu belegen,
um aktuelle Eingriffe des Bischofs Salomon zurückzuweisen, der ab 890 in Per-
sonalunion Bischof von Konstanz und Abt von St. Gallen war. So listet er eine
Reihe von verdammungswürdigem Fehlverhalten seitens der früheren Bischöfe
von Konstanz auf. Diese haben zum Schaden von St. Gallen gehandelt und im
Verbund mit den Äbten einen pactus perversae fidei gegen die necessitates der
Mönche geschlossen1327 und der Gemeinschaft so sehr ihrer wirtschaftlichen
Grundlage beraubt, dass die Mönche nicht mehr genug Nahrung hatten1328.
Ratpert berichtet aber ohne negative Wertung von den Beanspruchungen der
Klöster und Äbte durch den Reichsdienst und über Eingriffe des Königs in die
Leitung des Kloster, so etwa über die Bestellung eines Stellvertreters für den
regulären Abt Grimald, der zu sehr von Reichsangelegenheiten in Anspruch
genommen wurde1329. Grimald ist für Ratpert der ideale Abt. Er erkennt also
ohne Zweifel die Instrumentalisierung der Klöster für Hoffahrt und Heerfolge
als nötig an und leitet aus dieser Funktion vermutlich völlig zu Recht auch das
Prestige der Abtei ab. So werden die gleichen Handlungen von Ratpert unter-
schiedlich bewertet, je nachdem ob sie der Bischof oder der König vornimmt.
Die Liste der Klagen ließe sich für das 9. Jahrhundert problemlos erweitern.
Das Verhalten gegenüber den Klöstern ist daher keine Frage des geistlichen
Standes, sondern einerseits eine Frage des soziokulturellen Standes (das Ver-
halten von aristokratischen Machthabern, von potentes gegenüber Klöstern1330)
und andererseits abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit, die wir aus den
Kritiken ebenso wenig wie aus dem Lob erschließen können. Ab dem späten 9.
und 10. Jahrhundert konnte verstärkt die Vergabe von Klöstern an Laien für die
Könige interessant sein, da diese einen im Gegensatz zu reformorientierten

1325 Ratpert, St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli), hg. und übers. Steiner, MGH SSrerGer
75.

1326 Patzold, Episcopus, S: 459-463 zu Ratpert. Patzold legt den Fokus auf die Ratperts Beschreibung
des Verhältnisses zwischen Bischof und Kloster, s. bes. S. 462 f.

1327 Casus S. Galli, c. 10.

1328 Die Vorwürfe, u. a. auch Bestechung, finden sich in Casus S. Galli, cc 9-13; vgl. Dazu Felten, Äbte,
S. 33. Ebenfalls dort auch der Hinweis auf die Klagen des Lupus von Ferrieres über die Notlage
seiner Gemeinschaft Mitte des 9. Jahrhunderts.

1329 Casus S. Galli, c. 20.

1330 Vgl. zu den Bischöfen als potentes bes. Prinz, Klerus und Krieg, S. 70. Eine Revision der Sichtweise
von Bischöfen als „Reichsaristokratie im kirchlichen Gewand" hat Steffen Patzold mit seiner
Studie zum Bischofsbild und bischöflichen Selbstverständnis vorgenommen, vgl. Patzold,
Episcopus, bes. S. 524.
 
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