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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0054
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2.2 Maßnahmen gegen Inzest im Königskapitular

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Ein Baustein der Bekämpfung von inzestuösen Verbindungen war die Auf-
forderung zur öffentlichen Eheschließung, wie es beispielsweise auf dem Konzil
von Ver 755 der Fall war.41 Das Gedächtnis der lokalen Gemeinschaft sollte
herangezogen werden, um festzustellen, wer zu eng miteinander verwandt war
und wer nicht. Gleichzeitig sollten Ehen nur noch von Priestern geschlossen
werden, so dass auch diesen eine Kontrollfunktion zukam. Soll also in Kapitel 3
der Presbyter oder Kleriker dafür bestraft werden, wenn er in seiner Gemeinde
Inzest nicht wirkungsvoll verhindert, beziehungsweise sogar bewusst gesche-
hen lässt, ähnlich dem Herrn eines Unfreien, der bestraft werden soll, wenn er
seinem Unfreien das inzestuöse Treiben gestattet? Diese Interpretation von Ka-
pitel 3 ist zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich, weil sich im Königskapi-
tular kein Hinweis auf eine Fürsorgepflicht von Presbytern und Klerikern in
Inzestfragen finden lässt.
Das Concilium Germanicum hatte ein generelles Verbot für Presbyter und
Diakone ausgesprochen mit Frauen unter einem Dach zu leben.42 Auf Pippins
Teilreichssynode in Soissons wurde dies wieder gelockert und zu der bereits in
Nikäa formulierten Ausnahme für die Mutter, Schwester oder Nichte zurück-
gefunden.43 Von diesen engen Verwandten schien für Pippin in den 740ern keine
Gefahr für die angestrebte sexuelle Enthaltsamkeit des Klerus ausgegangen zu
sein. Auch die Admonitio generalis Karls des Großen gestattet 789 das Zusam-
menleben mit einer Frau im Falle der Mutter, Schwester oder Frauen, die aus
nicht genannten Gründen unverdächtig sind.44 Bei Presbytern und Klerikern ist
ein Verstoß gegen das Inzestverbot gleichzeitig auch stets ein Verstoß gegen das
Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit. Doch ist dies kein Argument dagegen, dass
das Königskapitular auf die Sanktionierung inzestuöser Presbyter und Kleriker
abzielt. Denn einige Bußbücher wecken den Verdacht, dass im 8. Jahrhundert ein
inzestuöser Verstoß gegen den Zölibat als schwerer wiegend eingestuft wurde
als ein nicht inzestuöser Verstoß.45 Vor diesem Hintergrund ist es gut vorstellbar,
dass es im Königskapitular um Inzestverstöße von Presbytern und Klerikern
geht. Immerhin sind sie eine Statusgruppe, die in Kapitel 1 und 2 nicht als Täter
behandelt wurde. Erklärungsbedürftig bleibt, warum sie dann im letzten Satz

41 Concilium Vernense c. 15, in: MGH Capit. 1, Nr. 14, S. 36 Z. 16: Ut omnes homines laici publicas
nuptias faciant, tarn nobiles quam innobiles.

42 Karlmanni principis capitulare c. 7, in: MGH Capit. 1, Nr. 10, S. 26 Z. 6-8: Decrevimus quoque, ut
presbiteri vel diaconi non sagis, laicorum more, sed casulis utantur, ritu servorum Dei. Et nullus in sua
dornu mulierem habitare permittat.

43 Pippini principis capitulare Suessionense c. 8, in: MGH Capit. 1, Nr. 12, S. 30 Z. 6f.: Similiter
diximus, utneque clericus mulierem habeat in domo sua, qui cum illo habitet, nisi matrem autsororem vel
nepta sua.

44 Admonitio generalis c. 4, S. 186 Z.54-57: Omnibus. Item in eodem sinodo interdictum est presbiteris et
diaconibus vel omnibus, qui in clero sunt, mulierem habere in domo sua propter suspicionem, nisi matrem
aut sororem vel eas tantum personas, quae suspiciones effugiunt.

45 Beispielsweise das Paenitentiale Sangallense tripartitum sieht für Inzestverstößen von Priestern
12 Jahre Buße vor, während beispielweise für Ehebruch oder Geschlechtsverkehr mit Vierfüßlern
jeweils nur 10 Jahre Buße vorgesehen sind. Vgl. Paenitentiale Sangallense tripartitum c. 4, 6, 8,
S.330.
 
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