3.2 Zölle im Königskapitular
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haben können.191 Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass manchen
Pilgern vielleicht überhaupt nicht bewusst war, dass der von ihnen erhobene Zoll
illegal war. Und es dürfte wohl nicht zu weit führen, davon auszugehen, dass
Pilger nach der illegalen Zollerhebung häufig einfach weiterzogen, ohne sich der
Verzögerung und dem Risiko eines ungewissen Gerichtsverfahrens auszusetzen.
Aufgrund dieser Hindernisse bei der Rechtsdurchsetzung waren Pilger wie
Fremde insgesamt ideale Opfer illegaler Bereicherung. In Konzilsbeschlüssen
und Kapitularien wird die Schwäche und besondere Schutzbedürftigkeit von
Pilgern deutlich. Priester, Kanoniker, aber auch Bischöfe sollen Pilger gast-
freundlich aufnehmen oder mit ihnen gemeinsam speisen.192 Karl der Große
ordnete sogar allgemein, also auch für Laien, an, dass Pilgern die Herberge nicht
verweigert werden dürfe.193 Es verwundert daher kaum, dass der besondere
Schutz von Pilgern und Fremden in den Kapitularien immer wieder zur Sprache
kam und eingeschärft wurde. Häufig werden sie in einem Atemzug mit anderen
Schwachen und besonders Hilfsbedürftigen wie Armen, Waisen und Witwen
genannt.194
Falls das Kapitular ihnen die 30 Solidi zusprechen sollte, würden die Pilger
ein Vielfaches dessen erhalten, was sie an illegalem Zoll bezahlten hätten. Die
Kaufkraft der Summe in der Zeit ist zwar schwer abzuschätzen, aber nach den
794 im Frankfurter Kapitular genannten Preisen entsprächen diese 30 Solidi oder
360 Denare dem Wert von 9000 Haferbroten und immerhin noch von 4320
Weizenbroten.195
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was Pilger von einer so hohen
Entschädigung hätten, wenn sie ihr Unrecht vor Gericht nicht beweisen können.
Dies könnte dafür sprechen, dass die Versammlung bewusst den Stand der
Fremden vor Gericht verbessern wollte, indem die Personen, die die Tat zur
Anzeige bringen oder bezeugen, belohnt werden. Der Schadensersatz würde
dann zwar nicht erwähnt werden, doch könnte er auch so selbstverständlich
gewesen sein, dass er keiner Erwähnung bedurfte.
Belohnungen für Zeugen oder Ankläger sind im fränkischen Recht eher
ungewöhnlich. Es stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der
Regelung und der Delatura in der Lex Salica hergestellt werden kann, ja ob im
Königskapitular sogar die Anwendung der Delatura manifest wird. Das Wesen
der Delatura oder Dilatura — die Schreibung geht in den Handschriften wild
191 Dies gilt vor allem für Pilger aus dem keltischen Sprachraum. Wie schwer die Verständigung
selbst unter Gebildeten bisweilen sein konnte, zeigt das berühmte Beispiel der Verständnis-
schwierigkeiten zwischen Bonifatius und Papst Gregor II. Vgl. dazu Wright, Foreigner's Latin.
192 Vgl. beispielsweise Concilium Baiuwaricum c. 15 in: MGH Cone. 2,1, Nr. 7, S. 53 Z. 14; Karoli
regis mandatum ad Arnonem archiepiscopum Salisburgensem directum c. 8, in: MGH Cone. 2,1,
Nr. 24B1, S. 214 Z. 3; Concilium Turonense a. 813 c. 6, in: MGH Cone. 2,1, Nr. 38, S. 287 Z. 20f.;
Konzil von Pavia 850 c. 3, in: MGH Cone. 3, Nr. 23, S. 221 Z. 1-10.
193 Vgl. Capitulare missorum generale c. 27, in: MGH Capit. 1, Nr. 33, S. 96 Z. 21-27.
194 Vgl. Nelson, Opposition, S. 73.
195 Vgl. Synodus Franconofurtensis c. 5, in: MGH Capit. 1, Nr. 28, S. 74 Z. 31-38. Der illegale Zoll
dürfte außerdem nur einen Bruchteil der mitgeführten Waren ausgemacht haben.
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haben können.191 Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass manchen
Pilgern vielleicht überhaupt nicht bewusst war, dass der von ihnen erhobene Zoll
illegal war. Und es dürfte wohl nicht zu weit führen, davon auszugehen, dass
Pilger nach der illegalen Zollerhebung häufig einfach weiterzogen, ohne sich der
Verzögerung und dem Risiko eines ungewissen Gerichtsverfahrens auszusetzen.
Aufgrund dieser Hindernisse bei der Rechtsdurchsetzung waren Pilger wie
Fremde insgesamt ideale Opfer illegaler Bereicherung. In Konzilsbeschlüssen
und Kapitularien wird die Schwäche und besondere Schutzbedürftigkeit von
Pilgern deutlich. Priester, Kanoniker, aber auch Bischöfe sollen Pilger gast-
freundlich aufnehmen oder mit ihnen gemeinsam speisen.192 Karl der Große
ordnete sogar allgemein, also auch für Laien, an, dass Pilgern die Herberge nicht
verweigert werden dürfe.193 Es verwundert daher kaum, dass der besondere
Schutz von Pilgern und Fremden in den Kapitularien immer wieder zur Sprache
kam und eingeschärft wurde. Häufig werden sie in einem Atemzug mit anderen
Schwachen und besonders Hilfsbedürftigen wie Armen, Waisen und Witwen
genannt.194
Falls das Kapitular ihnen die 30 Solidi zusprechen sollte, würden die Pilger
ein Vielfaches dessen erhalten, was sie an illegalem Zoll bezahlten hätten. Die
Kaufkraft der Summe in der Zeit ist zwar schwer abzuschätzen, aber nach den
794 im Frankfurter Kapitular genannten Preisen entsprächen diese 30 Solidi oder
360 Denare dem Wert von 9000 Haferbroten und immerhin noch von 4320
Weizenbroten.195
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was Pilger von einer so hohen
Entschädigung hätten, wenn sie ihr Unrecht vor Gericht nicht beweisen können.
Dies könnte dafür sprechen, dass die Versammlung bewusst den Stand der
Fremden vor Gericht verbessern wollte, indem die Personen, die die Tat zur
Anzeige bringen oder bezeugen, belohnt werden. Der Schadensersatz würde
dann zwar nicht erwähnt werden, doch könnte er auch so selbstverständlich
gewesen sein, dass er keiner Erwähnung bedurfte.
Belohnungen für Zeugen oder Ankläger sind im fränkischen Recht eher
ungewöhnlich. Es stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der
Regelung und der Delatura in der Lex Salica hergestellt werden kann, ja ob im
Königskapitular sogar die Anwendung der Delatura manifest wird. Das Wesen
der Delatura oder Dilatura — die Schreibung geht in den Handschriften wild
191 Dies gilt vor allem für Pilger aus dem keltischen Sprachraum. Wie schwer die Verständigung
selbst unter Gebildeten bisweilen sein konnte, zeigt das berühmte Beispiel der Verständnis-
schwierigkeiten zwischen Bonifatius und Papst Gregor II. Vgl. dazu Wright, Foreigner's Latin.
192 Vgl. beispielsweise Concilium Baiuwaricum c. 15 in: MGH Cone. 2,1, Nr. 7, S. 53 Z. 14; Karoli
regis mandatum ad Arnonem archiepiscopum Salisburgensem directum c. 8, in: MGH Cone. 2,1,
Nr. 24B1, S. 214 Z. 3; Concilium Turonense a. 813 c. 6, in: MGH Cone. 2,1, Nr. 38, S. 287 Z. 20f.;
Konzil von Pavia 850 c. 3, in: MGH Cone. 3, Nr. 23, S. 221 Z. 1-10.
193 Vgl. Capitulare missorum generale c. 27, in: MGH Capit. 1, Nr. 33, S. 96 Z. 21-27.
194 Vgl. Nelson, Opposition, S. 73.
195 Vgl. Synodus Franconofurtensis c. 5, in: MGH Capit. 1, Nr. 28, S. 74 Z. 31-38. Der illegale Zoll
dürfte außerdem nur einen Bruchteil der mitgeführten Waren ausgemacht haben.