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5. Rechtspflege
steht das methodische Problem, dass nicht immer leicht zu entscheiden ist, wo
Karl der Große in seinen Kapitularien auf dem Gebiet der Rechtspflege wirklich
Neues einführte und wo er Altes lediglich erneut einschärfte.
Wie im Rahmen dieses Kapitels ausführlich gezeigt werden wird, ist die
Sprache des Rechts in den lateinischen Quellen zumindest bis in die Mitte des
8. Jahrhundert weit weniger präzise, klar und eindeutig, als die ältere Forschung
häufig annahm. Die starke Polysemie der rechtlichen Termini und die geringe
Zahl von Vergleichstexten, die meist auch nicht zeitgenössisch oder zumindest
zeitnah überliefert sind, tragen weiter zur Schwierigkeit dieses Kapitels des
Königskapitulars bei.15
In Kapitel 7 des Königskapitulars werden gleich vier verschiedene Rege-
lungen zur Rechtspflege festgehalten, die vereinfacht unter den Stichpunkten
Teilnahme an der Rechtspflege, Verhinderung der direkten Anrufung des Kö-
nigs, Beschwerden über das Grafengericht am Hof und eine äquivalente Rege-
lung des zweiten und dritten Punktes für ecclesiastici summiert werden können.
Die wichtigste Quelle zum fränkischen Gerichtswesen ist die Lex Salica,
wobei umstritten ist, inwieweit und wie lange deren Regelungen in der
Rechtspraxis auch in Gebrauch waren.16 Daneben sind eine Reihe von arnulfin-
gischen Hausmeierplacita und von Königsplacita Pippins erhalten, die Einblick
in Gerichtsverfahren liefern.17 Sie geben jedoch in erster Hinsicht Auskunft über
das Funktionieren des Gerichts des Herrschers. Inwieweit hier gewonnene
Einsichten auf die Grafengerichte übertragbar sind, lässt sich schwer überprüfen.
In den Kapitularien Pippins wird auf das Gerichtswesen lediglich an einer
weiteren Stelle eingegangen,18 in denen seines Sohnes spielt es eine weitaus
größere Rolle.19
5.1.2.1 Teilnahme an der Rechtspflege
Nach der Rubrik De iusticia facienda beginnt das Kapitel mit einer Aufforderung
zur Teilnahme an der Rechtspflege.20 Die Aufforderung ist explizit an alle (omnes)
gerichtet, und zwar tarn publici quam ecclesiastici. Auch wenn das omnes näher
spezifiziert wird, sind unterschiedliche Interpretationen möglich, wer hier an-
gesprochen werden soll. Für die Wendung iustitiam facere schlägt das Lexicon
minus unterschiedliche Übersetzungen vor.21 Verbindung und gemeinsamer
Kern dieser Interpretamente ist die Bedeutung „an (einem) Gerichtsverfahren
15 Vgl. beispielsweise das Lemma iustitia bei Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 1, S. 746-
750.
16 Vgl. Ubl, Sinnstiftungen, S. 24-29.
17 Eine Übersicht bietet Stieldorf, Placita, S. 23 f. Tabelle 1.
18 Concilium Vernense c. 25, in: MGH Capit. 1, Nr. 14, S. 37 Z. 11f.: Ut nullus episcopus nee abbas nee
laicus pro iustitias faciendum sportolas contra drectum non accipiat; quia, ubi ipsa dona currunt, iustitia
evacuatur.
19 Vgl. Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte, S. 26-28; Davis, Charlemagne's Practice, S. 47-89.
20 Pippini regis capitulare c. 7, in: MGH Capit. 1, Nr. 13, S. 32 Z.16f.: LP omnes iusticiam faciant, tarn
publici quam ecclesiastici.
21 Vgl. Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 1, S. 746-750.
5. Rechtspflege
steht das methodische Problem, dass nicht immer leicht zu entscheiden ist, wo
Karl der Große in seinen Kapitularien auf dem Gebiet der Rechtspflege wirklich
Neues einführte und wo er Altes lediglich erneut einschärfte.
Wie im Rahmen dieses Kapitels ausführlich gezeigt werden wird, ist die
Sprache des Rechts in den lateinischen Quellen zumindest bis in die Mitte des
8. Jahrhundert weit weniger präzise, klar und eindeutig, als die ältere Forschung
häufig annahm. Die starke Polysemie der rechtlichen Termini und die geringe
Zahl von Vergleichstexten, die meist auch nicht zeitgenössisch oder zumindest
zeitnah überliefert sind, tragen weiter zur Schwierigkeit dieses Kapitels des
Königskapitulars bei.15
In Kapitel 7 des Königskapitulars werden gleich vier verschiedene Rege-
lungen zur Rechtspflege festgehalten, die vereinfacht unter den Stichpunkten
Teilnahme an der Rechtspflege, Verhinderung der direkten Anrufung des Kö-
nigs, Beschwerden über das Grafengericht am Hof und eine äquivalente Rege-
lung des zweiten und dritten Punktes für ecclesiastici summiert werden können.
Die wichtigste Quelle zum fränkischen Gerichtswesen ist die Lex Salica,
wobei umstritten ist, inwieweit und wie lange deren Regelungen in der
Rechtspraxis auch in Gebrauch waren.16 Daneben sind eine Reihe von arnulfin-
gischen Hausmeierplacita und von Königsplacita Pippins erhalten, die Einblick
in Gerichtsverfahren liefern.17 Sie geben jedoch in erster Hinsicht Auskunft über
das Funktionieren des Gerichts des Herrschers. Inwieweit hier gewonnene
Einsichten auf die Grafengerichte übertragbar sind, lässt sich schwer überprüfen.
In den Kapitularien Pippins wird auf das Gerichtswesen lediglich an einer
weiteren Stelle eingegangen,18 in denen seines Sohnes spielt es eine weitaus
größere Rolle.19
5.1.2.1 Teilnahme an der Rechtspflege
Nach der Rubrik De iusticia facienda beginnt das Kapitel mit einer Aufforderung
zur Teilnahme an der Rechtspflege.20 Die Aufforderung ist explizit an alle (omnes)
gerichtet, und zwar tarn publici quam ecclesiastici. Auch wenn das omnes näher
spezifiziert wird, sind unterschiedliche Interpretationen möglich, wer hier an-
gesprochen werden soll. Für die Wendung iustitiam facere schlägt das Lexicon
minus unterschiedliche Übersetzungen vor.21 Verbindung und gemeinsamer
Kern dieser Interpretamente ist die Bedeutung „an (einem) Gerichtsverfahren
15 Vgl. beispielsweise das Lemma iustitia bei Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 1, S. 746-
750.
16 Vgl. Ubl, Sinnstiftungen, S. 24-29.
17 Eine Übersicht bietet Stieldorf, Placita, S. 23 f. Tabelle 1.
18 Concilium Vernense c. 25, in: MGH Capit. 1, Nr. 14, S. 37 Z. 11f.: Ut nullus episcopus nee abbas nee
laicus pro iustitias faciendum sportolas contra drectum non accipiat; quia, ubi ipsa dona currunt, iustitia
evacuatur.
19 Vgl. Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte, S. 26-28; Davis, Charlemagne's Practice, S. 47-89.
20 Pippini regis capitulare c. 7, in: MGH Capit. 1, Nr. 13, S. 32 Z.16f.: LP omnes iusticiam faciant, tarn
publici quam ecclesiastici.
21 Vgl. Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 1, S. 746-750.