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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0160
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5.1 Rechtspflege im Königskapitular

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teilnehmen". Das Problem ist, dass diese Wendung die Teilnahme in unter-
schiedlicher Funktion bezeichnen kann und aus dem Kontext heraus entschieden
werden muss, welche Perspektive gemeint ist.
Die Teilnahme an Gerichtsverfahren war in drei verschiedenen Funktionen
möglich: Erstens als Richter oder Urteiler, zweitens als streitende Partei und
drittens als Gerichtsgemeinde. Das Subjekt omnes [...], tarn publici quam ecclesia-
stici lässt dabei zunächst mehrere Perspektiven zu, die es im Folgenden auf ihre
Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen gilt. Letztlich geht es um die Frage, wer
die publici und die ecclesiastici sind.
Die erste Möglichkeit ist, dass in Kapitel 7 die Richter und Urteiler aufge-
fordert werden sollten, ihre Aufgabe auch tatsächlich wahrzunehmen. Die Be-
deutung „Gericht halten" für iustitiam facere lässt sich in den Kapitularien gut
belegen.22 Auch für Probleme, dass Richter ihrer Aufgabe, Gericht zu halten,
nicht nachkamen, lassen sich zahlreiche Parallelen finden.23 Besonders erhellend
bezüglich der Missstände ist die Mahnung Karls des Großen, dass seine Grafen
über der Jagd und anderen Vergnügungen die Rechtsprechung nicht vergessen
24
mögen.
Auf der Versammlung, auf die das Königskapitular zurückgeht, dürften mit
Grafen, Bischöfen und Äbten auch sicherlich eine Reihe von Richtern zugegen
gewesen sein. Dafür, dass hier Richter und Urteiler angesprochen werden soll-
ten, könnte als weiteres Argument herangezogen werden, dass Fehlverhalten
von Graf und Rachinburgen im Laufe des Kapitels noch eine Rolle spielen.
Bei dieser Interpretation des ersten Satzes wären mit tarn publici quam ec-
clesiastici weltliche und geistliche Richter gemeint. Es ist jedoch zu beachten, dass
die ecclesiastici noch einmal am Ende des siebten Kapitels, aber auch schon zuvor
in Kapitel 2 erwähnt werden. Bei den ecclesiastici am Ende von Kapitel 7 kann
ausgeschlossen werden, dass es sich um kirchliche Richter handelt. Schließlich
werden diesen ecclesiastici Schläge angedroht, wenn sie sich unter Umgehung
ihres senior direkt an den Hof wenden.25 Ein Abt oder Bischof in seiner Funktion
als Richter kann hier nicht gemeint sein. In Kapitel 2 ist von ecclesiastici die
Sprache, die in inzestuösen Verbindungen leben.26 Auch wenn die Latinität der
Kapitularien Pippins hinsichtlich Niveau, Klarheit und Eindeutigkeit der Be-

22 Vgl. Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 1, S. 746 (Bedeutung 4). Besonders deutlich
tritt diese Bedeutung beispielsweise hervor in Capitulare Haristallense c. 21, in: MGH Capit. 1,
Nr. 20, S. 51 Z. 16-19: Si comis in suo ministerio iustitias non fecerit, misso nostro de sua casa soniare
faciat usque dum iustitiae ibidem factae fuerint; et si vassus noster iustitiam non fecerit, tune et comis et
missus ad ipsius casa sedeant et de suo vivant quousque iustitiam faciat. Für Mischke, Kapitularien-
recht, S. 176-178, zielt die Wendung iustitiam facere in den Kapitularien stets auf auf die Tätigkeit
der Richter. Diese Deutung ist sicherlich bei den meisten Belegen für diese Wendung in den
Kapitularien möglich, aber nicht in allen Fällen zwingend.

23 Vgl. Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte, S. 28-32.

24 Capitula de causis diversis c. 1, in: MGH Capit. 1, Nr. 49, S. 135 Z. 36-38: Volumus atque iubemus, ut
comites nostri propter venationem et alia ioca placita sua non dimittant nee ea minuta faciant, sed ad
exemplum quod nos cum illis placitare solemus, sic et illi cum suis subiectis placitent et iustitias faciant.

25 Vgl. unten Kap. 5.1.2.4.

26 Vgl. oben Kap. 2.2.
 
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