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2. Inzest und Ehe
Bonifatius zeichnet in seinen Briefen ein Bild der Kirche, nach dem er mit den
Seinen versucht, gegen den Widerstand des Establishments Reformen durch-
zusetzen.96 Das Königskapitular beschäftigt sich nicht mit der Gültigkeit von
Taufen. Will man das Kapitular aber vor allem als Generalabrechnung mit dem
greisen Bonifatius lesen, so stellt sich die Frage, warum die Bonifatiusgegner
diese Steilvorlage durch die Responsa Stephani II. nicht genutzt haben sollten.
Von Bonifatius abweichende Positionen machen also noch kein antibonifatiani-
sches Dokument. Auch ist Vorsicht geboten, der Inszenierung des Bonifatius zu
viel Glauben zu schenken, und den fränkischen Klerus allein in Bonifatiusan-
hänger und Bonifatiusgegner einzuteilen. Diese Opposition mag sicherlich in
manchen Punkten bestanden haben, doch wird sie durch die einseitige Über-
lieferungssituation stark in den Vordergrund geschoben, und muss nicht kon-
stitutiv für die fränkische Kirche dieser Zeit gewesen sein. Dass das Thema Inzest
auch außerhalb des Bonifatiuszirkels diskutiert wurde, konnte unlängst Ludger
Körntgen an der im Kloster Corbie unter Abt Grimo redigierten Collectio Vetus
Gallica herausarbeiten.97 Er betont völlig zu Recht, dass der große Teil der Teil-
nehmer an den kirchenrechtlichen Diskussionen in der Zeit und ihre Positionen
in den überlieferten Quellen noch nicht einmal in Ansätzen zu beobachten sei-
en.98 Auch die Handschrift Laon, Bibliotheque municipale, 265, die unter ande-
rem die Responsa Stephani II. enthält, zeugt vom Interesse am Eherecht, enthält
der Kodex doch eine kleine Sammlung zu eherechtlichen Themen.99
2.4 Zwischenfazit
Wie schon König Liutprand in den 720er Jahren hat sich Pippin den päpstlichen
Standpunkt zum Inzest zu Eigen gemacht und sich der Inzestbekämpfung ver-
schrieben. Dass gleich drei Kapitel des Königskapitulars der Inzestbekämpfung
gewidmet sind und diese auch programmatisch am Anfang der Kapitelliste
stehen, zeigt, dass Pippin es nicht beim reinen Lippenbekenntnis belassen wollte,
sondern eine tatsächliche Beseitigung von Missständen anstrebte. Auf dem
Konzil von Ver kam die Definition von Inzest zwar nicht zur Sprache, aber es
wurden dennoch zwei Beschlüsse gefasst, die der Inzestbekämpfung zuzuord-
nen sind. Hierzu zählt das Gebot der öffentlichen Eheschließung und die aus-
führliche Regelung der Folgen einer Exkommunikation, falls ein inzestuöse
Verbindung nicht aufgelöst wird.100 Auch die Konzilien von Verberie und
Compiegne zeigen, dass es sich bei der Inzestbekämpfung des Königskapitulars
nicht um bloßen Aktionismus handelt. Beide Konzilien legen einen weiteren,
also strengeren Inzestbegriff zugrunde, wobei für Verberie 756 eine strengere
96 Vgl. Reuter, Kirchenreform, S. 51.
97 Vgl. Körntgen, Bonifatius, S. 49-53.
98 Vgl. Körntgen, Bonifatius, S. 53.
99 Vgl. Ubl, Schatten, S. 428-430; Trump, Beobachtungen.
100 Vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 264f.; Concilium Vernense c. 9, 15, in: MGH Capit. 1, Nr. 14, S. 35 f.
2. Inzest und Ehe
Bonifatius zeichnet in seinen Briefen ein Bild der Kirche, nach dem er mit den
Seinen versucht, gegen den Widerstand des Establishments Reformen durch-
zusetzen.96 Das Königskapitular beschäftigt sich nicht mit der Gültigkeit von
Taufen. Will man das Kapitular aber vor allem als Generalabrechnung mit dem
greisen Bonifatius lesen, so stellt sich die Frage, warum die Bonifatiusgegner
diese Steilvorlage durch die Responsa Stephani II. nicht genutzt haben sollten.
Von Bonifatius abweichende Positionen machen also noch kein antibonifatiani-
sches Dokument. Auch ist Vorsicht geboten, der Inszenierung des Bonifatius zu
viel Glauben zu schenken, und den fränkischen Klerus allein in Bonifatiusan-
hänger und Bonifatiusgegner einzuteilen. Diese Opposition mag sicherlich in
manchen Punkten bestanden haben, doch wird sie durch die einseitige Über-
lieferungssituation stark in den Vordergrund geschoben, und muss nicht kon-
stitutiv für die fränkische Kirche dieser Zeit gewesen sein. Dass das Thema Inzest
auch außerhalb des Bonifatiuszirkels diskutiert wurde, konnte unlängst Ludger
Körntgen an der im Kloster Corbie unter Abt Grimo redigierten Collectio Vetus
Gallica herausarbeiten.97 Er betont völlig zu Recht, dass der große Teil der Teil-
nehmer an den kirchenrechtlichen Diskussionen in der Zeit und ihre Positionen
in den überlieferten Quellen noch nicht einmal in Ansätzen zu beobachten sei-
en.98 Auch die Handschrift Laon, Bibliotheque municipale, 265, die unter ande-
rem die Responsa Stephani II. enthält, zeugt vom Interesse am Eherecht, enthält
der Kodex doch eine kleine Sammlung zu eherechtlichen Themen.99
2.4 Zwischenfazit
Wie schon König Liutprand in den 720er Jahren hat sich Pippin den päpstlichen
Standpunkt zum Inzest zu Eigen gemacht und sich der Inzestbekämpfung ver-
schrieben. Dass gleich drei Kapitel des Königskapitulars der Inzestbekämpfung
gewidmet sind und diese auch programmatisch am Anfang der Kapitelliste
stehen, zeigt, dass Pippin es nicht beim reinen Lippenbekenntnis belassen wollte,
sondern eine tatsächliche Beseitigung von Missständen anstrebte. Auf dem
Konzil von Ver kam die Definition von Inzest zwar nicht zur Sprache, aber es
wurden dennoch zwei Beschlüsse gefasst, die der Inzestbekämpfung zuzuord-
nen sind. Hierzu zählt das Gebot der öffentlichen Eheschließung und die aus-
führliche Regelung der Folgen einer Exkommunikation, falls ein inzestuöse
Verbindung nicht aufgelöst wird.100 Auch die Konzilien von Verberie und
Compiegne zeigen, dass es sich bei der Inzestbekämpfung des Königskapitulars
nicht um bloßen Aktionismus handelt. Beide Konzilien legen einen weiteren,
also strengeren Inzestbegriff zugrunde, wobei für Verberie 756 eine strengere
96 Vgl. Reuter, Kirchenreform, S. 51.
97 Vgl. Körntgen, Bonifatius, S. 49-53.
98 Vgl. Körntgen, Bonifatius, S. 53.
99 Vgl. Ubl, Schatten, S. 428-430; Trump, Beobachtungen.
100 Vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 264f.; Concilium Vernense c. 9, 15, in: MGH Capit. 1, Nr. 14, S. 35 f.