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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0062
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2.3 Pippin und die Inzestbekämpfung

61

Die Korrespondenz des Bonifatius macht deutlich, dass es unter den Bi-
schöfen des Frankenreichs bereits in den 730er Jahren unterschiedliche Mei-
nungen über die Konsequenzen der geistlichen Verwandtschaft für die Ehe gab.
Nirgends ist erkennbar, dass Bonifatius seine Meinung in der Sache bis zu seinem
Tod noch einmal geändert haben könnte. Die anonyme Predigt, die ihm von
Glatthaar überzeugend zugewiesen und ins Jahr 743 datiert wird, spricht sogar
eher dagegen. Dasselbe gilt für die noch von Bonifatius geprägten Synoden der
740er Jahre, die nur pauschal von Inzest sprechen und keinen Hinweis auf die
geistliche Verwandtschaft enthalten. Bonifatius' Beharren auf der Inzestdefini-
tion des Alten Testaments erstaunt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Papst
Zacharias auf der römischen Synode von 743 explizit die Erweiterung des In-
zestbegriffs über den Katalog in Levitikus hinaus damit begründete, dass die
Anstrengungen der Christen auf dem Gebiet über diejenigen der Juden hin-
ausgehen müssen.92
Der Inzestkatalog des Königskapitulars ist der Kronzeuge dafür, dass sich
Bonifatius und seine Anhänger mit ihren Ansichten zum Eherecht nicht durch-
setzen konnten.93 Doch macht diese Beobachtung das Königskapitular nicht
gleich zu einem antibonifatianischen Dokument. Auch bei anderen Themen sind
unterschiedliche Auffassungen zwischen Bonifatius und fränkischen Klerikern
zu konstatieren. Am bekanntesten ist sicherlich der Streit um die Frage, ob eine
Taufe „im Namen Vaterland und Tochter und heiliger Geist" gültig sei oder
nicht, in dem Bonifatius von Papst Zacharias nach einer Beschwerde von Vir-
gilius von Salzburg und Sidonius von Passau zurechtgewiesen wurde.94
Mit der Taufe und Fragen ihrer Gültigkeit beschäftigen sich auch fünf der
Responsa Stephani II. vom Frühjahr 754. UbI konnte im Rahmen seiner Neu-
edition der Responsa plausibel machen, dass die fränkischen Bischöfe Stephan II.
die Fragen vorlegten, um Bonifatius' Ansichten zur Gültigkeit der Taufe zu
diskreditieren. Vor allem aufgrund der Anfragen zum Eheverbot durch geistli-
che Verwandtschaft und zur Gültigkeit der Taufe interpretiert Ubl die Responsa
Stephani II. als antibonifatianisches Dokument, das von Bonifatius abweichen-
den Vorstellungen eine Stimme gebe. Ubl wertet dieses Ergebnis als Bestätigung
der von Reuter vorgebrachten Kritik an dem Konzept einer bonifatianischen
Kirchenreform.95 Bemühungen zur Verbesserung des religiösen Lebens gingen
nicht nur von Bonifatius, sondern auch von fränkischen Geistlichen aus, doch
stelle die einseitige Überlieferungssituation ihr Wirken in dessen Schatten.

91 Vgl. Noble, Boniface, S. 339; Ubl, Inzestverbot, S. 241-251; Elliot, Boniface.

92 Vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 254; Concilium Romanum a. 743 c. 6, in: MGH Cone. 2,1, S. 14 Z. 13-16:
Et si Deus Hebraicho populo ante incarnatione unigeniti filii sui haec servanda mandavit, quantum
amplius nos, qui Christianae religionis documenta tenemus, ab inlicitis conubiis observare debemus, ne
demersi in voragine ignis aeterni concrememur incendio.

93 Vgl. Ubl, Schatten, S. 423 f., der Ähnliches auch bezüglich Bonifatius' Vorstellungen zur Gül-
tigkeit von Taufen beobachtet.

94 Vgl. das Schreiben des Zacharias an Bonifatius (Bonifatius, ep. 68, S. 140-142) vom 1.Juli 746. Zur
Beziehung zwischen Pippin und Virgilius vgl. Hartmann, Kirche, S. 59.

95 Vgl. Ubl, Schatten, S. 423 f.; Reuter, Kirchenreform.
 
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