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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0169
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168

5. Rechtspflege

unter der Prämisse, dass es hier um Falschurteile gehe. Unter dem Gesichtspunkt
der Justizverweigerung gilt es nun, das Kapitel erneut mit früheren fränkischen
Rechtsquellen, also vor allem der Lex Salica, zu vergleichen. Denn in den Ka-
pitularien der Merowinger und der arnulfingischen Hausmeier wird das Pro-
blem nicht behandelt.

5.2.1 Justizverweigerung in der Lex Salica

Die Lex Salica in der A-Fassung behandelt gemäß der bisherigen Forschungs-
meinung sowohl die Justizverweigerung als auch das Falschurteil unter ein und
derselben Rubrik De rachineburgiis.61 In den Kapiteln 1 und 2 werde die Justiz-
verweigerung und in den Kapiteln 3 und 4 das Falschurteil behandelt. Eine
genaue Lektüre dieses Titulus 57 weckt jedoch Zweifel an dieser Zuordnung. Für
das, was die Rachinburgen tun oder besser gesagt unterlassen, werden drei
verschiedene Formulierungen verwendet: erstens legem dicere nolle, zweitens non
secundum legem iudicare und drittens legem non iudicare. Die Bedeutung der ersten
Wendung, die auf die Totalverweigerung einer Urteilsabgabe abzielt, ist als
einzige klar und eindeutig zu erkennen. Bei der zweiten Wendung wird zwar ein
Urteil abgegeben, dieses ist aber non secundum legem. Das Urteil widerspricht also
entweder den Bestimmungen der Lex Salica, was als Falschurteil bezeichnet
werden kann, oder aber — und dies ist wahrscheinlicher — die Rachinburgen
orientieren sich bei der Urteilsabgabe überhaupt nicht am Recht der Lex Salica.
Im Ergebnis läuft beides auf dasselbe hinaus. Fasst man die dritte Wendung wie
bei der Interpretation des Königskapitulars wörtlich, bezeichnet auch sie die
Nichtabgabe eines Urteils.
Eine wörtliche Auffassung dieser drei Wendungen ermöglicht eine andere
Auslegung des Titulus, die besonders gut in einer Gegenüberstellung einer ei-
genen Übersetzung mit derjenigen von Karl August Eckhardt deutlich wird:62

Lex Salica (A)
Übersetzung Eckhardt Übersetzung Breternitz
1 Si <quis> rachineburgii in mal-
lobergo sedentes, dum causam
inter duos discutiunt, debet eis
dicere qui causam requirit:
,Dicite nobis legem Salicam.'
Si vero legem dicere noluerint,
Wenn die Geschworenen, an Wenn die Rachinburgen in
der Gerichtsstätte sitzend, der Gerichtsstätte sitzen und
wenn ein Anspruch zwischen sie einen Fall zwischen zwei
zweien erörtert wird, muß, [Parteien] verhandeln, muss
der seinen Anspruch fordert, ihnen derjenige, der den Fall
ihnen sagen: „Kündet uns das einbringt, sagen: „Sagt uns

Bestimmung verweist, sind die Bußen des Titels 57, 3. 4 des Pactus Legis Salicae, so daß das
Kapitular Pippins gegenüber dem Recht der Lex Salica keine sachliche Änderung bringt."
61 Vgl. Brunner — von Schwerin, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 474: „Nach altfränkischem Rechte fällt
der nach Ansicht der Partei ungerechte Urteilsvorschlag unter den Gesichtspunkt der Verwei-
gerung eines gerechten Urteils, ist also Rechtsverweigerung."
62 Lateinischer Text und Übersetzung nach Lex Salica (A) c. 57, S. 328-333. Hervorhebungen vom
Verfasser.
 
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