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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Ėrenburg, Ilʹja; Schiratzki, Bertha [Transl.]: Die Pfeife "E. X. 4"
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0361
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Vorsehung zu glauben, da er die Rennen ganz zufällig besucht hatte, die Blässe
der Lady Mary aber eine schnelle Lösung dieser Frage notwendig machte. Lord
William Regent war von hohem schlanken Wuchs und erinnerte an ein Bild des
Lord Grey ton, das diesen im fünfundzwanzigsten Jahre darstellte: die gleichen
wasserblauen, starr aufgerissenen Augen, der gleiche stets zusammengekniffene
Mund, die gleichen langen Beine und Arme, die nur zu kräftigen und absolut
unerläßlichen Bewegungen tauglich waren. — Zu all dem rauchte Lord William
Regent ebenfalls eine Donhill’sche Pfeife mit dem Zeichen: ,,O. W. 48“. Übri-
gens bildeten seine Leidenschaft nicht Pfeifen, sondern Bulldoggen. Er besaß die
beste Zucht der Welt, die aus achthundertvierzehn englischen Rassehunden be-
stand. Mit Lord Robert Saimisson, dem Besitzer des besten Gestüts, bildeten der
Schöpfer der edelsten Pfeifen, Lord Edward Greyton, und der Hundezüchter,
Lord William Regent, den wahren Stolz Groß-Britanniens.
Der Einladung Lord Edward Greytons folgend, erschien Lord William Regent
in Begleitung seines Piqueurs John und einer Meute von zehn hochrassigen Hun-
den in Lais.
Der großmütige Gatte machte ihn mit seiner Gemahlin bekannt und mußte,
nachdem er eines der ihm von seinem Diener auf schwerem Tablett überreich-
ten Telegramme gelesen hatte, sofort nach London fahren. Von da ab ging
alles vortrefflich. Lord Edward Greyton rauchte seine Pfeife, Lady Mary las
die in violettes Wildleder gebundenen Sonette der Elisabeth Browning und besah
die Photographien von Rossetti, auf deren Ähnlichkeit mit ihr von wirklichen
Kennern mehrfach hingewiesen worden war. Monatlich einmal kam Lord William
Regent mit seinem Piqueur John und den zehn Bulldoggen zu Gast.
Lord Edward Greyton hatte oft Gelegenheit zu beobachten, wie seine Ge-
mahlin mit dem jungen Lord die Lindenallee entlangschritt, und hatte seine
Freude an der überlegenen Ruhe der beiden: niemals änderte sich die Farbe
auf Lady Marys Wangen, niemals ging Lord William Regents Pfeife aus.
Es ist anzunehmen, daß die Pfeife ,,E. X. 4“ bis ans Ende wohlbehalten
geraucht worden wäre, wenn nicht Lord Greyton an einem Aprilmorgen einen
unheilvollen Spaziergang durch den alten Park von Lais unternommen hätte.
Lord Edward Greyton war sehr früh erwacht und hatte, nachdem er seine ein-
fachen gymnastischen Übungen gemacht und einen dünnen Milchbrei gegessen
hatte, in Erwartung der Stunde, wo Lady Mary mit dem. zu Gast anwesenden
Lord William Regent zum Frühstück kam, den Weg nach dem Jagdschlößchen
eingeschlagen. Es war ein warmer Morgen, und beim Anblick der außerordent-
lich schnell hervorgebrochenen Kastanienblätter verfiel der Lord in Nachdenken
über die Größe des Schöpfers, der den Gang der Jahreszeiten festgesetzt und
den Bau und die Harmonie der Welt bestimmt hatte. Als er jedoch an die
große Lichtung kam, empfing ihn da ein recht undelikates Schauspiel: die edel-
rassigen Bulldoggen des Lord William Regent nämlich gaben sich hier den
Freuden der Liebe hin, wobei neun Rüden mit lang heraushängenden Zungen, mit
gierig hervorgetretenen Augen und bebenden Kiefern heulend eine Hündin jagten,
die nach langem Schwanken und Bellen sich endlich einem hingab, vor all
den aufgebrachten Nebenbuhlern einem, der offenbar sich durch nichts von den
andern unterschied. Zum ersten Male wohnte Lord Edward Greyton einer der-
artigen Szene bei, und obwohl er mehr als einmal von der Fortpflanzungsweise
der Tiere gelesen hatte, versetzte ihn doch dieser Anblick in Erstaunen und
brachte sogar seine unschuldsvolle Seele in Empörung. Aber bald nachdem er
sich von dem ersten Eindruck erholt hatte, pries er den Triumph der Zivili-

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