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Der Querschnitt — 7.1927

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Heft 2
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Roy, Tarachand: Der Bauer und der Kaufmann: Ein indisches Märchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.67280#0181

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DER BAUER UND DER KAUFMANN
Ein indisches Märchen
erzählt von
PANDIT TARACHAND ROY (LAHORE)
Einst wohnte in einem Dorf ein Kaufmann. Eines Tages, als er sich auf dem
Weg nach der naheliegenden Stadt befand, um dort neue Waren einzukaufen,
begegnete er einem Bauern. Dieser wollte auch nach der Stadt, um dort bei
seinem Bankier eine Ratenzahlung auf die Gelder zu leisten, die einst sein Ur-
großvater geliehen hatte. Im Laufe von fünfzig Jahren hatte sich die Schuld,
die 100 Rupien betrug, durch die Zinsen verzehnfacht.
Der arme Bauer ging seines Weges, nachdenkend, was er tun sollte, daß sein
ererbtes Grundstück nicht dem Bankier in die Hände fiele.
„Wo wollen Sie denn hin, Chaudhri ji?" fragte ihn der Kaufmann. „Wohl
zu dem Bankier, um eine Abzahlungssumme zu entrichten? Haben Sie nun
irgendeinen Plan ausgedacht, um das Grundstück zu retten?"
„Shah ji," antwortete der aus seinen Grübeleien aufgescheuchte Bauer,
„was soll ich bloß anfängen? Mein Urgroßvater hatte 100 Rupien geborgt, die
sich jetzt verzehnfacht haben. Volle 1000 Rupien, denken Sie nur! Sogar
mit meinem Grundstück könnte ich diese Riesenschuld nicht abtragen,"
„Chaudhri ji," sagte der Kaufmann, „wozu sich unnütz den Kopf zer-
brechen? Es kommt doch alles, wie es kommen soll. Wenn wir uns mit
traurigen Gedanken abgeben, wird uns der Weg endlos werden. Lassen Sie
uns lieber von etwas Lustigem plaudern!"
„Sie haben recht, Shah ji, das Geschick ist unerbittlich. Erzählen wir uns
lieber ein paar heitere Geschichten, aber bevor wir mit dem Erzählen be-
ginnen, wollen wir eine Bedingung aufstellen:
Keiner von uns darf an der Wahrheit der Geschichte des anderen zweifeln
und Einwendungen erheben, auch wenn sie von den größten Unwahrscheinlich-
keiten und Uebertreibungen strotzt. Wer diese Bedingung nicht erfüllt, der
muß dem anderen 1000 Rupien Strafe zahlen."
„Einverstanden!" sagte der Kaufmann. „Also ich fange gleich als erster an."
Kaufmann : „Sie wissen, daß mein Urgroßvater einer der angesehensten
und wohlhabendsten Kaufleute war."
Bauer: „Ganz richtig, Shah ji!"
Kaufmann: „Als junger Kaufmann war er einst mit 100 Schiffen
nach China gefahren, brachte es dort zu großem Vermögen und kehrte als
schwerreicher Mann in seine Heimat zurück."
Bauer: „Sie haben recht, Shah ji!"
Kaufmann: „Er brachte unzählige seltsame Kostbarkeiten aus dem
fernen Lande mit. Darunter befand sich ein kleines goldenes Götzenbild, das
die wunderbare Eigenschaft besaß, jedem, der es darum befragte, seine Zu-
kunft zu sagen."
Bauer: „Ganz richtig, Shah ji!"

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