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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Duff, Charles: Empire und Lebertran
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0026

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beinigen Geschöpfes sitzt, von dem unsere Kunstkritiker erklären, es sei das
ästhetische Ideal des vollendeten Pferdes, und von dem jeder Zoologe behauptet,
es sei nur die kümmerliche Ausgeburt der Kreuzung eines Kamels und einer
Giraffe. Die Wirkung nach außen steht in jedem Falle fest: ein Cinquecento-Kopf,
ein Rokoko-Schwanz, ein Schimmer von Gotik hinter dem Ohr, Hinterbeine,
die an Hollywood und Wallstreet zugleich erinnern, und dafür das Ganze echt
britisch im Geist.
Der Retter des Empire, den wir so gründlich gefeiert haben, James MacNabb
Macintosh, war angeblich ein Neufundländer, rein schottischer Abkunft, in
Wirklichkeit hieß er einmal Finkelstein und stammte aus Bentschen. Über seine
Jugend ist uns nur die verbürgte Nachricht hinterlassen, daß er bereits in so zartem
Kindesalter mit Erfolg Kapitalgründungen lancierte, daß es ihm möglich war,
schon als sogenannter „Jugendlicher" reich zu sein. In Neufundlands Krise
des Jahres 1940 erblickte der „Retter" seine große Aufstiegchance. Er beschloß,
Neufundland von der Lebertranerzeugung auf die Zellulose- und Zeitungsdruck-
papiererzeugung umzustellen. Diese Umstellung war ein Markstein in der Ge-
schichte unseres Weltreiches.
Die Neufundländer wandten sich also vom Lebertran ab und konzentrierten
ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Anpflanzung und die Aufzucht von zellulose-
haltigen Bäumen. Die Umstellung wurde so gründlich vorgenommen, daß der
neufundländische Millionär nach einiger Zeit die Zelluloseerzeugung für die
ganze Welt und damit die Druckpapiererzeugung souverän beherrschte. Von
der Herrschaft über das Druckpapier war es nur ein Schritt zur Herrschaft über
die Zeitung. Ein Chefredakteur nach dem andern mußte unter der Drohung, daß
ihm die Papierlieferung entzogen werden würde, kapitulieren, und damit hatte
MacNabb Macintosh eine äußerst wertvolle Weltmachtstellung für unser Empire
errungen. Schutz und Verankerung dieser Macht über die Weltmeinüng wurde
Gegenstand imperialer Politik. In Neufundland war die Reaktion eine andere.
Von den Fischen übertrug man die Verehrung auf die Bäume. Es wurden wieder
in Hainen Gottesdienste veranstaltet. In London errichtete man der Baumwelt
Tempel. Die Religion des Baumes verdrängte zuletzt die Überreste des Christen-
tumes; Bäume wurden zärtlich gepflegt wie Weihnachtstruthähne und Martins-
gänse. Endlich kam die vegetabile Welt zu ihrem Machtanrecht. 1950 beherrschten
Neufundlands Millionäre die Weltpresse, damit beherrschten sie zugleich Wall-
street, und da Wallstreet allen nicht englischen Regierungen diktieren konnte,
beherrschte England indirekt wieder unseren Planeten, und MacNabb Macintosh
wurde natürlich Lord Macintosh.
Wie benutzte England seine neue Weltmacht? Abgesehen von der Führung
einiger höchst wohltätiger,Kriege und dem Bau einer großen Flotte für Amerika,
damit die Urheimat des Kelloggpaktes Bolivien gegen den Imperialismus und
den Angriffskrieg der Kamtschatdalen schützen konnte, wurde noch ein deutsch-
englisches Kohlenabkommen abgeschlossen, wonach Deutschland England zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seiner Bergarbeiter für jede in England ge-
förderte Tonne Kohle noch eine Tonne deutsche Kohle liefern sollte. Die deutsche
Kohle wurde natürlich mit Gewinn nach Ecuador weiterverkauft. Eine Ver-
schmelzung der französischen Eisenindustrie mit dem Ruhrbergbau wurde unter-

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