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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 2
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Wedderkop, Hermann von: Deutsche Klassiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0148
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der Glockenguß beobachtet wurden, die zwar in deutscher Sprache besungen,
aber doch ausgesprochen südlich konzipiert waren.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß vielen unserer Landsleute das Vaterland
nicht liegt. Sie möchten es anders haben, die Menschen teils griechisch, teils
englisch, teils russisch und die Lage des Vaterlandes kurzerhand auch. Mehr nach
Süden die einen, mehr nach Westen, nach Osten die anderen — und speziell auch
dem Norden, mit seinen Edda-Liedern. Die einen mit Freya-, die anderen mit
Tristan- oder mit Hohenstaufen- und anderen Sehnsüchten, nach allen Richtungen
der Windrose. Gerade da, wo das Vaterland liegt, es auch haben zu wollen —
das wollen wenige! Goethe z. B., der erst in Frankfurt, dann in Leipzig, im Elsaß
und schließlich in Weimar völlig aufging.
Nicht so Schiller. Ihm lag zwar nicht, wie so manchem Norddeutschen, die
Hohenstaufensehnsucht im Blute, damit würde man ihm nicht gerecht. Nein,
er übersprang die Jahrtausende in dieser merkwürdigen, fast kann man respektlos
sagen, karnevalistischen Art und wurde wirklich antik (Grieche, Römer je nach-
dem), wählte antike Ausdrucksformen, rollte Phrasen, lebte in Bildern, die nichts,
aber auch gar nichts mit seiner Umwelt zu tun hatten. Ganz anders als Goethe
war er der Wirklichkeit grundlegend entrückt, wandelte er (gedanklich) stets
auf hohem Kothurn. Von Pegasus kann man nicht sprechen, da er im Gegensatz
zu Goethe nicht das geringste Kavalleristische an sich hat.
Mit ihm gleichen Sinnes wandeln in derselben Schar August von Platen,
Hölderlin, Strachwitz u. a., es sind ihrer nicht viele, es ist eine kleine, aber
auserlesene Schar, die sich ähnlich sieht und doch wieder deutliche Unter-
schiede aufweist. Schiller ist der Stärkste, der Wildeste, der Trunkenste und
zugleich der Beherrschteste: darin liegt seine Macht begründet.
Als Goethe vom Süden heimkehrte und die Serie seiner antiken Dramen
begann, beklagte man das Ende der deutschen Periode, und doch war dieser zu-
rückgekehrte Goethe nichts anderes als der stärkste Ausdruck des damaligen
Deutschlands, trotz allem Antikisieren blieb er so deutsch wie Schinkel etwa
deutsch blieb, während Schiller dagegen mit dieser merkwürdigen equilibristi-
schen Fähigkeit, was sage ich, diesem equilibristischen Genie sich richtig umtrans-
ponierte — so weit dies natürlich einem Schwaben aus dem 18. Jahrhundert
möglich ist, und mit allen Vorbehalten seitens der Natur. Wie man die beiden
Männer zu diesem fest gewordenen Einheitsbegriff „Schiller und Goethe" zu-
sammenschweißen konnte, wird immer rätselhaft bleiben oder vielmehr sich nur
aus dem (Gott seis geklagt) merkbaren Mangel an Wirklichkeitssinn des deut-
schen Volkes erklären lassen.
Schon in den Gedichten der „ersten Periode" (Klassiker oder Leute, die es
werden wollen, haben Perioden) klingen deutlich klassische Elemente an. Beweis:
„Laura am Klavier" (Amalia, Laura, Minna, Emma, Thekla waren die damaligen
Idealnamen). Laura ist unwirklich, sie ist sehr schön und absolut genialisch,
aber unwirklich und gerade daher vielleicht mit unwahrscheinlichen Fähigkeiten
begabt:
Wenn dein Finger durch die Saiten meistert,
Laura, it^t ^ur Statue entgeistert,
It^t entkörpert steh' ich da.

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