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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 2
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Eulenberg, Herbert: Der rheinische Mensch
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0160

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hück nit, küß do morgen", das heißt: „Kommst du heut nicht, kommst
du morgen", ist nicht umsonst eine allgemein übliche Redensart am Rhein.
„Nirgendwo hab' ich faulere Hausdiener und Gepäckträger angetroffen als an
den Ufern des Rheins" vermerkt schon der freilich leicht gereizte Schriftsteller
Gutzkow auf einer Reise zwischen Mainz und Bonn, die er in den vierziger
Jahren unternahm. Auch die Gasthöfe haben unter dieser Gelassenheit und dem
Stehenbleiben ihrer Besitzer zu leiden gehabt, so daß man da und dort an diesem
Strom noch heute nur so notdürftig und kümmerlich wie in den Abruzzen,
dabei aber kostspieliger als an der Riviera, übernachten wird.
Die Gemütlichkeit geht dem Durchschnittsrheinländer immer über alles.
Darum läßt er sich lieber Musik in jeder Form vordudeln, als daß er sich von der
Bühne herab ernsthaft anpacken ließe oder mit den schweren Fragen der Gegen-
wart auseinandersetzte. Auch hängt er sehr an den leiblichen Genüssen dieses
Lebens, am Essen und Trinken, obwohl es ihm auch hierbei in der Regel mehr
auf die Menge dessen, was er verzehrt, als
auf die besondere Güte und Feinheit an-
kommt. Schlemmerwinkel gibt es außer in
Köln und Bonn nur wenige am Rhein.
Und es ist bezeichnend, daß hier eine be-
kannte frühere Volksgestalt den Beinamen
„Freßklötsch" trug. Das war ein nieder-
rheinischer Gargantua, der ziemlich wahllos
Unmengen von Eßwaren tagtäglich in sich
hineinbeförderte.
Einmal im Jahr pflegt auch der ernsteste
Rheinländer auszuschlagen: das ist zur Karne-
valszeit, zu „Fastelovend", wie man am
Rhein sagt, wo sich das Wort „Fasching"
niemals recht einbürgern wird. In diesen
Wochen und Tagen tollt es den Rhein hin-
auf und hinunter. Von Mainz bis Düsseldorf


Dolbin, Herbert Eulenberg
und Emmerich. Man hat schon viel gegen
die Fastnachtfeierei geschrieben. Und alljährlich entspinnen sich in den
verschiedenen Stadtparlamenten zu Köln wie zu Düsseldorf lebhafte Aus-
einandersetzungen, ob man wieder Geld für den Rosenmontagszug aus-
werfen soll oder nicht: Auseinandersetzungen, die hier mindestens so ernst-
haft genommen werden wie die großen Händel dieser Welt. Niemals wird
man den Karneval am Rhein ganz ausrotten können. Und sobald der Krieg mit
seinen Schrecken vorüber war, begann man wieder hier um die Faschingszeit
die Narrenkappe zu schwingen.

Zugegeben, daß dieser bunte Betrieb mit seinen ständigen Karnevalssitzungen,
die bereits an jedem Elften im Elften eines jeden Jahres beginnen, manches zur
Verflachung der Leute beiträgt. Aber das Volksleben wird dadurch auch wiederum
gefördert und in Bewegung gebracht. Es heißt, daß die Gefühlsseligkeit am Rhein
besonders gedeihe, und daß es nirgendwo anders mehr Schleimbeutel — das

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