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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 4
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Rundfunk heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0380

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usw. usw. Parallelen gibt, ist eigentlich ein Nebenprodukt. Es wird im allgemeinen
als Hauptsache gewertet. Das verdankt es der Tatsache, daß es ebenso wichtig
sein kann wie die Verbreitung eines lebendigen Ereignisses. Bei der Gewinnung
des koffeinfreien Kaffees erhält man als Nebenprodukt das wertvolle
Koffein.
Sicherem Vernehmen nach soll noch eine dritte Form des Rundfunks exi-
stieren: die Sendung als Eigenkunstwerk. Ich habe bisher noch nichts gesehen
bzw. gehört, was diese Bezeichnung rechtfertigt, weder musikalisch noch lite-
rarisch, obwohl ich mich bemühe, alles in dieser Richtung, jede Andeutung, jeden
Versuch vor das Mikrophon zu bringen. Hindemiths Orgelkonzert, das Berliner
Requiem von Brecht und Weill, Bischoffs „Song", der „Lindbergh-Flug", um
vier Beispiele zu nennen, sind Stücke unterschiedlicher künstlerischer Qualität,
die sich zweifellos für Rundfunk sehr gut eignen und sich seinen Möglichkeiten
anpassen. Niemand kann aber behaupten, daß sie ausschließlich und nur durch
Rundfunk zur Wirkung kommen können. Der im Auftrag der Berliner Funk-
Stunde fertiggestellte rein akustische Film „Weekend" von Walter Ruttmann ist
vielleicht der kühnste, eigenartigste und weitestgehende Versuch, den es bisher
gibt. Ferner sind große Hoffnungen auf musikalische Experimente zu setzen, die
im Sommer anläßlich der „Neuen Musik Berlin" (früher Baden-Baden, früher
Donaueschingen) zu hören sein werden: elektrisch erzeugte Sendungen ohne
Mikrophon.
Aber bisher ist noch nichts da.
*
Im Anfang des Rundfunks war die Langeweile. Da sie in einer brillanten und
reizvollen technischen Maskierung einherging (denn immer wieder blendete das
technische Wunder), merkten sie nur wenige. Entsetzliche Dinge wurden damals
getrieben. Das Musikprogramm wurde aus vermoderten Konzertsälen bezogen,
Literatur aus der „Gartenlaube", der Vortragsteil legte Wert auf die Sitten und
Gebräuche der Minnesänger (unter dem Titel „Volksbildung"), LegionenGurken
wurden eingelegt („Für die Hausfrau"). Erst die Erkenntnis der echten Lebens-
nähe des wundervollen Instruments schuf Besserung. Heute bemühen sich die
Sender, alle, die da sind, mit mehr oder weniger Gelingen um ein lebendiges
Programm, das beherrscht ist von der Idee der inneren Verknüpfung der Sender-
darbietung mit den Manifestationen unserer Zeit. Langsam macht das Unverbind-
liche und Konziliante, die Angst vor dem Anstoßen, dem Entschiedenen Platz;
dem Entschiedenen von allen Seiten: das bedingt die Neutralität der Institution.
(Die parteipolitische Neutralität ist notwendige Voraussetzung des monopoli-
sierten Rundfunks, die Monopolstellung ist technisch bedingt.) Die Musik-
programme des Rundfunks haben mehr Interessantes aufzuweisen als Konzert-
saal und Oper (die es allerdings schwerer haben). Das rein Bildungsmäßige,
Historische wird unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit für den heute leben-
den Menschen zusammengestellt. Nach und nach schwindet das Improvisatorische
und macht dem gründlich Probierten, Durchgearbeiteten Platz. Das Programm,
aufgebaut nach dem festen Plan des Leiters, sucht sich von überkommener Starr-
heit zu befreien und vermeidet oberflächliche und dilettantische Behandlung von

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